Florence Siwak
Ali - böser Ali
Als in Maria zum ersten Mal der Gedanke aufflackerte, die Welt von
Henry zu befreien, lagen das WIE, WANN und WO, ja selbst das OB noch
verborgen im Dunkel ihrens 50-jährigen grau gelockten Kopfes.
Dann
und wann holte sie diese Idee hervor wie ein Spielzeug, drehte und
wendete sie, betrachtete sie genießerisch, um sie wieder zurück zu
legen. Allein dieser köstliche Gedanke berauschte sie so, dass sie
Henrys Zügellosigkeit, sein trunkenes Geschwätz und seine weinerlichen
Appelle an ihre Loyalität einem armen, gehbehinderten Krüppel gegenüber
mit Gelassenheit, oft sogar mit einem überlegenen Lächeln ertragen
konnte.
Es war aber gerade dieses Lächeln, was Henry noch übellauniger machte.
Seine
Angriffe wurden immer ausfallender. Wie er da oben in seinem Bett saß,
die Bierflaschen neben sich, die sie ihm hochbringen musste, den
Fernseher voll aufgedreht und die Werbeliedchen mit plärrend, hätte sie
ihm zu gern die eine oder andere Flasche über den Kopf gezogen.
Stattdessen flüchtete sie sich, verfolgt von seinen Flüchen, runter in
ihr Reich.
Als er jedoch begann, sich auf Ali, den sanften, hübschen Ali - diese schwarze Brut
- einzuschießen, war das OB keine Frage mehr. Jetzt wurden das WANN und
vor allem das WIE wichtig und beschäftigten sie bei Tag und Nacht.
'Es
müsste ein Unfall sein' überlegte sie, denn sie hatte keineswegs die
Absicht, ihr hübsches Häuschen, ihren gepflegten Garten und ihre petit
fours am Nachmittag gegen graue Anstaltskleidung und trockenen
Topfkuchen einzutauschen.
Aber - Unfälle
wachsen nicht auf Bäumen und schon gar nicht, wenn es sich bei dem
potenziellen Opfer um einen älteren, stark gehbehinderten Mann
handelte, der seine Räume im Obergeschoss schon seit Jahren nicht mehr
verlassen hatte.
Er selbst zeigte ihr
schließlich in all seiner Bosheit den einzig richtigen Weg, als er sich
wieder einmal aus seinem Bett ins Bad geschleppt hatte und über das
Geländer nach unten in den Flur spionierte.
Er dachte, sie
wüsste nicht, dass er sie belauerte. Wenn sie mal - was selten genug
vorkam - Besuch hatte, schlich er sich mit seinen zwei Krücken an den
Treppenabsatz und spähte angestrengt nach unten. Als er dabei wieder
einmal ins Straucheln kam, keifte er zu ihr hinunter.
"Wenn wir statt dieser verdammten Hühnerleiter eine richtige vernünftige Treppe hätten, könnte ich ab und zu mal in den Garten."
Hämisch
sah er Maria an, die genau wusste, dass er am liebsten die nächsten
dreihundert Jahre im Bett verbracht hätte und ihn nur die Möglichkeit
reizte, sie zu verletzen.
"Natürlich nur, wenn Du mir behilflich bist, Mariechen, aber wenn ich Dir dafür dann täglich Gesellschaft leisten kann..."
Er
kicherte, als sie ihn starr anblickte, glaubte er doch, die Aussicht
auf seine dauernde Anwesenheit hätte sie so entsetzt. Weit gefehlt!
'Die
Treppe' dachte sie. 'Natürlich - die Treppe, dieses alte, knarrende,
morsche Fossil, das ihr selbst oft genug boshaft ein Bein gestellt
hatte.'
Es musste nur bald geschehen, denn
Henry erwärmte sich mehr und mehr für den Gedanken, nicht mehr so
eingesperrt zu sein zwischen Bett und Badezimmer, wie er es spöttisch
nannte.
Im Laufe des nächsten Monats sollten schon die Arbeiten beginnen. So lange blieb ihr also noch.
Von jetzt an entwickelte Maria eine rege Geschäftigkeit.
Wenn
Henry in seinen rauschähnlichen Schlaf gesunken war und sein Schnarchen
jedes Geräusch übertönte, saß sie noch lange im dunklen Wohnzimmer mit
Ali zusammen, wisperte und tuschelte.
Sie schlichen nach oben auf das winzige Podest vor Henrys Schlafzimmertür, direkt am Kopf der Treppe.
So
manche Nacht ging das. Tagsüber saß Maria - müde aber zufrieden -
pflichtschuldigst bei Henry, seinen Tiraden gegen Gott und die Welt
lauschend.
Sogar Ali setzte sich manchmal dazu, wenn er des
Gartens müde war. Er wurde von Henry zwar oft hämisch beschimpft, wurde
aber als gottbegnadeter Zuhörer geduldet.
Zwei-
dreimal in der Woche kamen zwei Schwestern aus der Nachbarschaft zu
Besuch, um Henry als Zielscheibe zu dienen, was sie für ihre
Christenpflicht hielten und hinterher über Maria herzuziehen, was halt
auch dazu gehörte. Maria forcierte diese Besuche nun geradezu, sollten
ihr doch diese beiden Frauen helfen, unbeschadet aus der
Säuberungsaktion hervorzugehen.
An DEM bewussten Tag befand sich Maria geradezu in Hochstimmung.
Ali
saß bei ihr in der Küche. Sie erwartete die beiden guten Seelen zum
Kaffee und hatte schon alles vorbereitet, als es endlich klingelte.
Mit einem strahlenden Lächeln öffnete sie die Tür.
"Hallo, wie schön, dass Ihr da sein. Kommt doch rein, es ist schon gedeckt."
Und - lauter als es sonst ihre Art war:
"Es gibt allerhand zu erzählen".
Sie führte die beiden in ihr helles, warmes Wohnzimmer und drehte sich zu Ali um.
"Ach, geh Du doch schon mal hoch zu Henry, ja? Er ist sonst so allein da oben."
Sanft schob sie ihn hinaus und wandte sich an ihre Besucherinnen.
"Ihr geht doch nachher auch noch kurz hoch. Er freut sich immer so auf Euren Besuch..."
"Das
versteht er aber gut zu verbergen, aber natürlich, wenn Du meinst..."
polterte die Ältere barsch los und nahm sofort von dem bequemsten
Sessel Besitz.
"Ali ist in der letzten Zeit nur noch bei Dir zu finden; er muss Dich ja richtig ins Herz geschlossen haben..."
Was die Ältere barsch war, war die Jüngere süß.
'Falsche
Biester' dachte Maria, brachte aber ein freundliches "ich ihn aber
auch" zustande, wobei sie auf das tapp tapp der Krücken lauschte. Henry
war wieder auf seinem Lauschposten. Gut so!
"Nur Henry kann manchmal schon recht garstig zu ihm sein" fuhr sie seufzend fort.
"Nicht nur zu ihm - nehme ich an?" bellte es aus dem tiefen bequemen Sessel.
Dieser Bemerkung folgte vielsagendes Schweigen und es wurden verständnisvolle Blicke getauscht.
Genau in dieses Schweigen hinein kreischte und polterte es von oben.
Dann herrschte erneut Stille, der dumpfe Geräusche folgten, als ob jemand einen schweren Sack die Treppe hinunter werfen würde.
Die
drei Frauen stürzten in den Flur und wären fast über Henrys leblosen
Körper gestolpert, der verkrümmt, mit gebrochenen Augen am Fuß der
Treppe lag, die Krücken neben sich.
Maria zitterten plötzlich die Knie, so dass sie wie von selbst neben ihm nieder sank.
"Mein Gott, wie oft habe ich ihn gewarnt, vorsichtig zu sein, wenn er mit den Krücken da oben herum spazierte".
"Komm schon, Maria. Kopf hoch; er hat es nun hinter sich, in einer besseren Welt."
Pathetisch schnüffelten beide.
"Nun musst Du an Dich denken!
Wo ist überhaupt Ali?"
"Ach, der ist schon gegangen; ich habe die Tür gehört. Henry wird ihn wohl vergrault haben".
Maria sah, dass sich Henrys Schlafzimmertür bewegte. Ali war nirgends zu sehen. Sie atmete erleichtert auf.
"Können wir Dich allein lassen, Maria?
Dr. Hofmann ist unterwegs; wir haben ihn vorhin wegfahren sehen.
Wir gehen vorbei und sagen seiner Frau Bescheid. Dann brauchst Du nicht zu telefonieren.
Wir erledigen das schon - gerne!!"
Die
beiden konnten es nicht erwarten, weg zu kommen, um die Nachricht wie
einen Schnupfen zu verbreiten. Maria war es nur recht, konnte sie sich
doch dann um Ali kümmern.
"Geht nur; ich werde mich nur einen Moment hinlegen; kann mich kaum auf den Beinen halten."
Ihr zitterten tatsächlich die Beine und sie schleppte sich in ihr Schlafzimmer.
"Endlich allein" flüsterte sie und ließ sich auf ihr Bett sinken.
Da bewegte sich die Tür, schwang auf und Ali stand vor ihr - die schwarze Brut.
"Komm
nur her, mein kleiner Liebling" lockte sie ihn, klopfte auf die
Matratze und mit elegantem Schwung sprang der nachtschwarze riesige
Kater neben sie und presste sein kräftiges, rundes Köpfchen liebevoll
an ihre mollige Schulter.
"Ganz toll hast Du das gemacht, mein Süßer, ganz toll."
Er schnurrte metallisch.
"Aber Dein Frauchen hat auch schön mit Dir geübt, nicht wahr?"
Sie legte sich zurück und dachte an die Nächte, in denen sie mit Ali auf dem Podest "geübt" hatte.
Hier
ein Stoß mit Henrys Stock, auf der anderen Seite das Ausweichen des
Katers. Dann ein Nachsetzen und der spielerische Angriff Alis, der
Henry schließlich zu Fall gebracht hatte, als er wie so oft oben auf
dem Podest horchen wollte und Alis Aufforderung zum Spiel in seiner
Bosheit mit Stockschlägen beantwortet hatte.
"Du
bist ein ganz schön böser Junge, Ali. Aber - hätte er Dich nicht
gestoßen" murmelte sie schläfrig, das seidige Fell streichelnd, "wäre
das nicht passiert. Meinst Du nicht auch?"
Ein zufriedenes Rollen antwortete ihr.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.01.2006.
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