Vadim Pryde

Die letzte Welt (Teil IV)

Ein Floß setzte uns über und wir spürten den weichen gewärmten Sand unter unseren Füßen. Ich bedankte mich wie es Sitte war mit einer verbeugenden Geste beim Wasser und wir bewegten uns ein wenig landeinwärts. Ein Palmenhain, die Blätter alle gen See gestreckt, Sand und Küste soweit das Auge reichte. Hier und dort traf man auf einen kleinen funkelnden Stein, eine Puppe oder ein Plüschtier. Sie lagen und sonnten sich. Wenn man genau hinsah, konnte man sogar sehen, wer von ihnen schon eingeschlafen war und wer noch nicht. Eine Kleinfamilie aus sieben Holzenten warteten Welle für Welle um ein wenig das Naß zu erkunden und ein großes Nashorn aus Holz baute eine Burg aus bunten Steinchen die alle viereckig waren.
            Die Insel war ein Wohnort für alle verlorenen Spielzeuge die es je gegeben hat. Manchmal, wenn ein Kind seinem Liebling entrissen worden ist, wurde ihm gestattet in seinen Träumen hierher zu kommen und es zu besuchen. Mit dem Wandel der sich allerdings jüngst vollzogen hatte, wird die Erinnerung getrübt, wenn nicht gar ausgemerzt. Die Kinder beginnen schon viel zu früh zu vergessen und die Spielsachen werden nicht mehr so oft gebraucht.
 
Jeder der diese Ebene seine Heimat nannte, konnte spüren wer sie waren, die kleinen Geschöpfe, konnte spüren was sie erlebt haben und wenn man sie berührte es sogar deutlich sehen. Die meisten von ihnen waren einst Seelen gewesen, die wenig Freude erfahren haben, also kehrten sie zurück in ihre ursprüngliche Welt um das zu genießen was kaum ein Mensch so wahrnehmen kann: die reine Liebe eines Kindes, seine Phantasie und seine Freude. Sie lernten das Teilen, sie lernten Trost zu spenden und einige konnten den Kindern sogar etwas beibringen ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
            Doch nach Jahren dieses Daseins wurden sie vergessen, ersetzt oder einfach verloren. In manchen fällen sogar beseitigt. Und jetzt sind sie hier. Manche warteten darauf, besucht zu werden – oft reichte nur ein einziger Gedanke eines jetzt erwachsenen Kindes an die Zeit zurück um das Gefühl der Hoffnung nach Wiederkehr zu alten Zeiten in ihnen zu wecken. Hoffnung kann eine sadistische Illusion sein, wenn man mit ihr das verbindet was man am meisten liebt. Dem Schüler namens Hoffnung ist kein Lehrmeister der Welten je gewachsen gewesen, weder im Leben – noch danach. Aber zuweilen kehrten sie zurück. Viele von ihnen blieben jedoch hier in der Annahme genau das zu sein, was sie schon immer sein wollten – und sie fragten sich jeden Morgen aufs neue was jetzt nicht mehr so ist wie früher. Ich hoffte nur meinem neuen Freund würde es anders ergehen und er würde sich bald erinnern, an das was er war und warum er so geworden ist, denn sein Kind habe ich gesehen und ich weiß das es nicht mehr zurückkehren wird. Aber wie könnte er das wissen?
            Ich setzte den kleinen grünen Truck auf den Sand und er begann kleine Sätze nach vorne zu wagen. Einige Male fuhr er im Kreis und hielt vor mir an. Er fühlte sich wohl. „Wenn Du soweit bist, daß Du mit mir sprechen kannst und ein wenig mehr über Dich weißt, denk an mich und ich komme zu Dir.“ Ich fuhr mit meinem Finger auf dem Dach der Fahrerkabine entlang und er fühlte nach mir. Er war unsicher und hatte Angst, daß ihn niemand mehr haben wollte. „Mach Dir keine Sorgen.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „Ich kann Dir nichts versprechen außer das Du keine Angst mehr zu haben brauchst. Du bist hier und ich bin auch nicht weit weg.“ Er war immer noch sehr aufgebracht, zuckte nach vorn und zurück wie ein Schwimmer an dem ein Fisch angebissen hatte. Ein kleines Greifen in meine Richtung – ich fuhr noch mal mit meinem Finger an ihm entlang und nickte. Dann drehte er sich ab und fuhr erst langsam, dann immer schneller werdend davon. In meinem Inneren klumpte sich ein großer schwerer Ball zusammen, der mir das Gefühl verlieh, etwas Finstres zu erahnen, ohne das ich es näher ausmachen konnte.
 
„Du fühlst Dich unwohl. Du bist schwach. Wir müssen zurück.“, Serene hatte wieder diesen besorgten Gesichtsausdruck, der an ihr fast schon unnatürlich aussah. „Ich weiß. Ich konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Wenn andere sich nicht um ihre Rückruflinge kümmern, ist mir das gleich. Aber ich lasse meine Arbeit ungern halb getan!“ „Jede Verbindung kostet Dich Kraft. Heute hast Du sie nicht! So einen Sprung durchzuführen – und auch noch in diese Stadt – die Rückkehr, die Insel..“, sie klang wieder wie mein schlechtes Gewissen. „Immer noch besser als ihn einfach auszusetzen mit nichts weiter als einem ‚gute Reise wohin es auch gehen mag’ wie es einige andere gern tun!“, entgegnete ich. „Ich weiß warum Du es tust und ich verstehe es auch, ich will nur nicht, daß Du Dich selbst auflöst.“
Gar nichts wusste sie. Ich habe diese Geschichte so tief in mir vergraben, daß noch nicht mal ich mehr alles wusste. Sie hatte wohl einige Eindrücke mitgenommen als wir uns das letzte Mal in eins gossen, aber ich konnte sie nicht damit in Berührung kommen lassen. Dieser Schmerz, diese unendliche Leere – das konnte ich ihr nicht antun. Sie hatte Recht behalten. Der Hass und Zorn der letzten Welt würde alles verderben, wenn er nur könnte – selbst das Gran in mir würde schon reichen um dieses klare Wasser zu trüben, diese endlose Schönheit der Dinge um mich in einem Atemzug zu Asche zerfallen zu lassen. Das darf nicht geschehen.
 
Schweigend fuhren wir zurück und ohne einen Laut zu verschwenden begaben wir uns auf einem kleinen Trampelpfad in Richtung Siedlung. Ich habe das alles vermisst. Jedes mal wenn ich hier gewesen bin, schien es fast selbstverständlich. Der süße und frische Duft der wachsenden Kräuter, die klare und kühle Brise die vom Ozean her landeinwärts weht. Serena. Alles das war für mich so schön und gewöhnlich zugleich. Wohl wahr, eine Perversion des Geistes sich nicht ständig an ein und dem selben erfreuen zu können.
            Jeden Moment an dem ich fort war hätte ich gewünscht ich wäre genau hier gewesen, genau da wo ich jetzt stand. Und so ungern ich es mir eingestehen wollte, ich habe einen großen Teil der Verplombung mitgenommen als ich heimkehrte. Doch vielleicht war das nur Einbildung – dieser Tag hat mich enorm viel gekostet an Kraft wie auch an Form, vielleicht aber war ich einmal zu viel in der letzten Welt gewesen. Ich musste ruhen. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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