Ein Floß setzte uns über und wir spürten den weichen
gewärmten Sand unter unseren Füßen. Ich bedankte mich wie es Sitte war mit
einer verbeugenden Geste beim Wasser und wir bewegten uns ein wenig
landeinwärts. Ein Palmenhain, die Blätter alle gen See gestreckt, Sand und
Küste soweit das Auge reichte. Hier und dort traf man auf einen kleinen
funkelnden Stein, eine Puppe oder ein Plüschtier. Sie lagen und sonnten sich.
Wenn man genau hinsah, konnte man sogar sehen, wer von ihnen schon
eingeschlafen war und wer noch nicht. Eine Kleinfamilie aus sieben Holzenten
warteten Welle für Welle um ein wenig das Naß zu erkunden und ein großes
Nashorn aus Holz baute eine Burg aus bunten Steinchen die alle viereckig waren.
Die Insel
war ein Wohnort für alle verlorenen Spielzeuge die es je gegeben hat. Manchmal,
wenn ein Kind seinem Liebling entrissen worden ist, wurde ihm gestattet in
seinen Träumen hierher zu kommen und es zu besuchen. Mit dem Wandel der sich
allerdings jüngst vollzogen hatte, wird die Erinnerung getrübt, wenn nicht gar
ausgemerzt. Die Kinder beginnen schon viel zu früh zu vergessen und die
Spielsachen werden nicht mehr so oft gebraucht.
Jeder der diese Ebene seine Heimat nannte, konnte spüren wer
sie waren, die kleinen Geschöpfe, konnte spüren was sie erlebt haben und wenn
man sie berührte es sogar deutlich sehen. Die meisten von ihnen waren einst
Seelen gewesen, die wenig Freude erfahren haben, also kehrten sie zurück in
ihre ursprüngliche Welt um das zu genießen was kaum ein Mensch so wahrnehmen
kann: die reine Liebe eines Kindes, seine Phantasie und seine Freude. Sie
lernten das Teilen, sie lernten Trost zu spenden und einige konnten den Kindern
sogar etwas beibringen ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
Doch nach
Jahren dieses Daseins wurden sie vergessen, ersetzt oder einfach verloren. In
manchen fällen sogar beseitigt. Und jetzt sind sie hier. Manche warteten darauf,
besucht zu werden – oft reichte nur ein einziger Gedanke eines jetzt
erwachsenen Kindes an die Zeit zurück um das Gefühl der Hoffnung nach
Wiederkehr zu alten Zeiten in ihnen zu wecken. Hoffnung kann eine sadistische
Illusion sein, wenn man mit ihr das verbindet was man am meisten liebt. Dem
Schüler namens Hoffnung ist kein Lehrmeister der Welten je gewachsen gewesen,
weder im Leben – noch danach. Aber zuweilen kehrten sie zurück. Viele von ihnen
blieben jedoch hier in der Annahme genau das zu sein, was sie schon immer sein
wollten – und sie fragten sich jeden Morgen aufs neue was jetzt nicht mehr so
ist wie früher. Ich hoffte nur meinem neuen Freund würde es anders ergehen und
er würde sich bald erinnern, an das was er war und warum er so geworden ist,
denn sein Kind habe ich gesehen und ich weiß das es nicht mehr zurückkehren
wird. Aber wie könnte er das wissen?
Ich setzte
den kleinen grünen Truck auf den Sand und er begann kleine Sätze nach vorne zu
wagen. Einige Male fuhr er im Kreis und hielt vor mir an. Er fühlte sich wohl.
„Wenn Du soweit bist, daß Du mit mir sprechen kannst und ein wenig mehr über
Dich weißt, denk an mich und ich komme zu Dir.“ Ich fuhr mit meinem Finger auf
dem Dach der Fahrerkabine entlang und er fühlte nach mir. Er war unsicher und
hatte Angst, daß ihn niemand mehr haben wollte. „Mach Dir keine Sorgen.“,
versuchte ich ihn zu beruhigen, „Ich kann Dir nichts versprechen außer das Du
keine Angst mehr zu haben brauchst. Du bist hier und ich bin auch nicht weit weg.“
Er war immer noch sehr aufgebracht, zuckte nach vorn und zurück wie ein
Schwimmer an dem ein Fisch angebissen hatte. Ein kleines Greifen in meine
Richtung – ich fuhr noch mal mit meinem Finger an ihm entlang und nickte. Dann
drehte er sich ab und fuhr erst langsam, dann immer schneller werdend davon. In
meinem Inneren klumpte sich ein großer schwerer Ball zusammen, der mir das
Gefühl verlieh, etwas Finstres zu erahnen, ohne das ich es näher ausmachen
konnte.
„Du fühlst Dich unwohl. Du bist schwach. Wir müssen
zurück.“, Serene hatte wieder diesen besorgten Gesichtsausdruck, der an ihr
fast schon unnatürlich aussah. „Ich weiß. Ich konnte ihn nicht einfach so gehen
lassen. Wenn andere sich nicht um ihre Rückruflinge kümmern, ist mir das
gleich. Aber ich lasse meine Arbeit ungern halb getan!“ „Jede Verbindung kostet
Dich Kraft. Heute hast Du sie nicht! So einen Sprung durchzuführen – und auch
noch in diese Stadt – die Rückkehr, die Insel..“, sie klang wieder wie mein
schlechtes Gewissen. „Immer noch besser als ihn einfach auszusetzen mit nichts
weiter als einem ‚gute Reise wohin es auch gehen mag’ wie es einige andere gern
tun!“, entgegnete ich. „Ich weiß warum Du es tust und ich verstehe es auch, ich
will nur nicht, daß Du Dich selbst auflöst.“
Gar nichts wusste sie. Ich habe diese
Geschichte so tief in mir vergraben, daß noch nicht mal ich mehr alles wusste.
Sie hatte wohl einige Eindrücke mitgenommen als wir uns das letzte Mal in eins
gossen, aber ich konnte sie nicht damit in Berührung kommen lassen. Dieser
Schmerz, diese unendliche Leere – das konnte ich ihr nicht antun. Sie hatte Recht
behalten. Der Hass und Zorn der letzten Welt würde alles verderben, wenn er nur
könnte – selbst das Gran in mir würde schon reichen um dieses klare Wasser zu
trüben, diese endlose Schönheit der Dinge um mich in einem Atemzug zu Asche
zerfallen zu lassen. Das darf nicht geschehen.
Schweigend fuhren wir zurück und ohne einen Laut zu
verschwenden begaben wir uns auf einem kleinen Trampelpfad in Richtung
Siedlung. Ich habe das alles vermisst. Jedes mal wenn ich hier gewesen bin,
schien es fast selbstverständlich. Der süße und frische Duft der wachsenden
Kräuter, die klare und kühle Brise die vom Ozean her landeinwärts weht. Serena.
Alles das war für mich so schön und gewöhnlich zugleich. Wohl wahr, eine
Perversion des Geistes sich nicht ständig an ein und dem selben erfreuen zu
können.
Jeden Moment an dem ich
fort war hätte ich gewünscht ich wäre genau hier gewesen, genau da wo ich jetzt
stand. Und so ungern ich es mir eingestehen wollte, ich habe einen großen Teil
der Verplombung mitgenommen als ich heimkehrte. Doch vielleicht war das nur
Einbildung – dieser Tag hat mich enorm viel gekostet an Kraft wie auch an Form,
vielleicht aber war ich einmal zu viel in der letzten Welt gewesen. Ich musste ruhen.