Daniel Krooß

Sophia

for all that was and all that could have been
Der Schnee lag hoch und es war eine bitterkalte Nacht. Noch dazu war es Vollmond. „Gleich drei gute Gründe warum ich wohl mal wieder nicht schlafen kann“, dachte Gregor der neben seiner Frau im Bett lag. Sie lag in einem tiefen Schlaf. „Wie immer“, dachte Gregor. 5 Jahre waren sie jetzt schon zusammen. Seit 2 Jahren waren sie verheiratet. Dann kam Mathias, Gregors ganzer Stolz. Genau genommen fühlte er sich als wenn Mathias alles war was ihm noch in dieser Beziehung geblieben ist. „Ja es hatte reichlich gekriselt in ihrer Ehe“, dachte Gregor als er einen weiteren Blick auf seine Frau warf, die neben ihn liegend weiterhin in ihren Schlaf schlummerte. „Ich kann es nicht ertragen wie es zwischen uns geworden ist“, dachte er. Seit einiger Zeit sprachen die beiden kaum noch ein Wort miteinander. Und wenn sie noch miteinander sprachen war es nicht viel mehr als ein formales „Wie war’s heute auf der Arbeit?“ oder „Was läuft heute Abend eigentlich im TV?“ In Wirklichkeit sprachen sie nur noch aneinander vorbei und blockten sich gegenseitig ab. All die Gefühle die sie hatten als sie sich das Eheversprechen gegeben hatten, schienen wie von einer riesigen Welle weggeschwemmt geworden zu sein. Gerne erinnerte sich Gregor an Verenas Gesichtsausdruck als er Ihr den Antrag gemacht hatte. Oh wie sehr er dieses engelhafte Lächeln geliebt hatte. „Doch das ist jetzt vorbei“, dachte sich Gregor. „Ich brauche ein Glas Wasser.“ Er erhob sich aus seinem Bett. Die Müdigkeit erschwerte ihm die Suche nach seinen Hausschuhen. Der Marmorfußboden war in Wintertagen eiskalt und auf nackten Füßen unbegehbar. Gähnend schleppte er seine schweren Knochen zur Tür. „Oh lieber Gott sag mir warum kann ich in den letzten Monaten so schlecht schlafen?“ Er blickte noch ein weiteres Mal rüber zu seiner Frau und verließ anschließend das Schlafzimmer um sich seinen Weg runter zur Küche zu bahnen.

Gregor nahm einen Schluck Wasser. Sein Schädel brummte. Plötzlich hörte er es. Eine Stimme. Ein sanftes Flüstern: „Folge mir nach unten… durch den Wald, unter die Erdoberfläche“. „Was?“ fragte Gregor und versuchte verwirrt die Quelle des Flüsterns auszumachen. Nichts. Stille. „Na toll“, dachte er, „jetzt höre ich schon Stimmen. Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Wasser. „Folge mir nach unten… durch den Wald, unter die Erdoberfläche.“ Da! Da war es schon wieder! „Wer ist da?“ fragte Gregor mit erhobener Stimme. „Folge mir nach unten… durch den Wald, unter die Erdoberfläche.“
„Es muss von der Terrasse kommen“, dachte Gregor und drehte sich um 180 Grad zum Garten hin. Dann sah er es. Auf seiner Terrasse stand ein in grün gekleidetes Mädchen und lächelte ihn an. Es hatte langes blondes Haar, perlweiße Haut und trug einen langen spitzen Hut, der ebenfalls grün war. Doch das bemerkenswerteste waren die grünen Augen die zu Gregor rüberfunkelten. „Folge mir nach unten… durch den Wald, unter die Erdoberfläche.“
Gregor rieb sich die Augen. Er konnte es nicht fassen. „Fange ich tatsächlich an zu halluzinieren?“ Das Mädchen lächelte ihn an. „Folge mir“, sagte es und winkte Gregor zu sich. Und wie in Trance öffnete Gregor die Tür zur Veranda und folgte den Mädchen die Tür hinaus gen Wald.

Es dauerte etwas bis Gregor begriff was er da gerade tat. Die beiden waren inzwischen tief in den Wald vorgedrungen. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Die Bäume waren mit Schnee bedeckt und es war bitterkalt, doch aus irgendeinem unerklärlichen Grund war es Gregor nicht kalt. Ganz im Gegenteil, ihm war sogar recht angenehm warm ums Herz. Nach etwas das sich für ihn wie Stunden angefühlt hatte, traute Gregor sich wieder zu sprechen. „Wer bisst du?“ fragte er. „Ich bin Sophia“, sagte das Mädchen. „Und was machst du hier? Was mach ich hier? Was machst du hier mit mir?“ „Ich bin hier um dich zu führen. Nach unten.. durch den Wald, unter die Erdoberfläche. Ich bin Sophia“. Sophia lächelte. Gregor seufzte, er war verwirrt. Und nichts, ja wirklich gar nichts von dem was dieses kleine Mädchen bisher von sich gegeben hatte, verhalf ihm auch nur ein kleines bisschen dazu einen klaren Kopf zu bekommen; dazu zu begreifen was gerade mit ihn geschah. Gregor kniff sich. War dies ein Traum? Als kleiner Junge hatte Gregor oft geträumt. Doch dies war kein Traum. Schmerzverzehrt verzog er das Gesicht. Gregor wolle noch mal ansetzen, doch ihm fiel einfach keine gescheite Frage ein. Er schaute über seine Schulter nach hinten. Er hatte keine Ahnung wo er war. Nichts außer Bäumen. Der Mond spendete ihnen ausreichend Licht um ihnen auf ihren Weg durch den völlig verlassen Wald Sicht zu verschaffen. Gregor blickte nach oben. Immer schon hatte ihn der Mond fasziniert. „So geheimnisvoll anziehend“, dachte er, „ ich weiß nicht was sich hinter ihm verbirgt und doch oder gerade deshalb zieht er mich so magisch an. So erleuchtend und doch voller Geheimnisse. Genau so hatte es sich angefühlt als ich das erste Mal auf Verena traf.“ Mit einem weiteren Seufzer folgte er Sophia tiefer in den Wald hinein.

Wie ein unendlicher Tunnel schlängelte sich der Weg der beiden. Am Ende war ein Licht zu sehen. Doch je näher sie sich diesem Licht auch zu nähern schienen, desto weiter schien es sich von ihnen zu entfernen. Gregor verspürte diesen unglaublichen Drang nach diesem Licht zu greifen. Es war als glaubte er zu wissen, dass in diesem Licht all seine Antworten lagen. Und auch wenn Gregor die darauf bezogenen Fragen gar nicht so genau kannte, so suchte er doch nach ihren Antworten. Doch er konnte weder nach dem Licht greifen noch konnte er sich ihm entscheidend nähern. Er fühlte sich machtlos. „Habe Geduld“, flüsterte ihn eine Stimme zu. Zum ersten Mal seit er dieses Licht entdeckt hatte, fiel Gregor wieder auf das er gar nicht alleine war. „Sophia“, sagte er, „Wo sind wir?“ „Wir sind unten; unter der Erdoberfläche“. „Wie lange sind wir schon… ähm… unter der Erdoberfläche…?“ Was Gregor nicht sah war das Sophia nun anfing zu lächeln. „Und wo genau gehen wir eigentlich hin?“ „Habe Geduld“, erwiderte Sophia. Gregor wurde aus dieser Sophia nicht schlau. Doch ein weiteres Mal gab er es auf der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Er konnte nicht sagen warum, aber er verspürte keinerlei Angst. Und je weiter sie gingen je wärmer schien es ihm um sein Herz zu werden. „Ich werde einfach das tun, was sie mir sagt. Ich habe Geduld“.

Plötzlich schien das Licht stärker zu werden. Stärker, stärker und stärker. Sie schienen sich den Licht zu nähern. „Endlich“, dachte Gregor. Er versprühte diese unglaubliche Lust einfach in dieses Licht hinein zu rennen. Sie müssen stundenlang gelaufen sein doch seine Beine fühlten sich nicht schwer an. Nein. Er hatte das Gefühl als könnte er fliegen. Das Licht schien ihn geradezu anzusaugen und Gregor musste sich nun nicht einmal mehr bewegen um sich den Licht zu nähern. „Endlich“, dachte er; „endlich. Nur noch ein paar Meter“. Die Dunkelheit um ihn herum schien immer mehr von Licht durchdrungen zu werden. Dieses geheimnisvolle Licht muss eine unglaubliche Power gehabt haben, denn in nur wenigen Augenblicken hatte es das ganze tiefe Schwarz in weiß eingetauscht.

Sie hielten an. „Was jetzt?“ dachte Gregor. Nichts außer weiß. Und Sophia, die er jetzt zum ersten Mal wieder ausmachen konnte. Trotzdem fühlte sich Gregor irgendwie wohl. „Ich werde dich jetzt Lazarus überlassen“, sagte Sophia. Gregor drehte sich um nach ihr zu schauen, doch Sophia war verschwunden. Man könnte annehmen, dass die Tatsache, dass Gregor keinen blassen Schimmer hatte wo er war und das er dort alleine war, ziemlich beängstigend sein sollte. Doch Gregor verspürte keine Angst. Ganz im Gegenteil. Er empfand eine unglaubliche Euphorie. Er war im Licht angekommen. Er hatte es geschafft.

„Gregor“. Eine Stimme riss Gregor aus seinen Gedanken. Sie klang sanft und einladend. Nie hatte Gregor eine so schöne Stimme gehört. „Ich bin Lazarus“. Gregor drehte sich. Er konnte nicht ausmachen wo die Stimme her kam. Sie schien von allen Seiten zu kommen. Doch noch immer verspürte er keine Angst. „Du kannst mich nicht sehen Gregor“, sagte die Stimme. „Doch das wird auch nicht vonnöten sein. Komm ich möchte dir was zeigen“. Mitten im weiß bildete sich ein schwarzes Loch. Gregor näherte sich diesem Loch. Es schienen Stimmen aus ihm zu kommen.
„Gregor!“ hörte er eine Stimme nach ihm schreien. „Gregor!“ Es war Verena. Es war seine Frau. Plötzlich war Gregor wieder in seinem Schlafzimmer. „Gregor“, es war tatsächlich seine Frau, die schluchzend über seinen Körper gebeugt lag und nach ihn schrie. „Aber Verena, ich bin doch hier!“ sagte Gregor. Doch sie konnte ihn nicht hören. Nun begriff Gregor etwas. Er war nicht in seinen Körper. Er blickte von außen auf die Geschehnisse. Zum ersten Mal verspürte er Angst. Und wie er das tat. Er fing an am ganzen Körper zu zittern. War er etwa… „Habe keine Angst“, sagte Lazarus. „Du wirst zu ihr zurückkehren sobald ich es für angemessen halte“. Doch Gregor schien Lazarus nicht gehört zu haben. „Aber Verena…“sagte Gregor. Im Hintergrund hörte er ein kleines Kind schreien. „Mathias!“ schrie Gregor. Er fing an zu weinen. Mathias fiel seiner völlig verstörten Mutter in die Arme. „Papa?“ fragte Matthias. „Aber Mathias, ich bin doch hier!“ schrie Gregor. „Sie können dich nicht hören“, sagte Lazarus. Gregor konnte es nicht ertragen seine Frau und seinen Sohn so leiden zu sehen. Es brach ihn das Herz. Er hatte so eine Kälte verspürt die sich über seine Ehe gezogen hatte, doch hier begriff er zum ersten Mal seit langem wieder, wie sehr er seine Frau und seinen Sohn liebte und wie wichtig sie ihn waren. Verzweifelt versuchte er nach ihnen greifen. Doch er konnte sie nicht fassen. „Ich glaube das sollte genügen“, sagte Lazarus. Und bevor er es begriff zog es Gregor zurück ins Licht.

Gregor war wieder umgeben von weiß. Verzweifelt versuchte er sich zu beruhigen, doch sein Herz raste. „Sophia hat dich ins Licht geführt“, sagte Lazarus. Gregor beruhigte sich. Er blickte in die Leere. Ein weiteres Mal wurde er nicht ganz schlau aus dem was ihm gesagt wurde und doch schien Gregor all die Antworten die er gesucht hatte gefunden zu haben. Plötzlich tauchte Sophia wieder auf. Er lächelte Gregor an. „Komm Lazarus, es ist Zeit für Gregor ist es Zeit zu gehen“. Gregor wusste nicht wie ihm geschah. Das Licht schien ihn auszuspucken und er fiel durch den Wald zurück in seinen Körper.

Gregor wachte auf. Er lag wieder in seinem Bett. Er drehte sich zur Seite. Neben ihn lag Verena. Sie war noch am schlafen. Durch das Fenster sah er die ersten Sonnenstrahlen eindringen. Er beobachtete Verena im Schlaf bis sie langsam erwachte. Sie schaute zu ihm rüber. „Was ist los Schatz;“ fragte sie verträumt. Gregor lächelte sie an. „Verena ich sag dir dies vermutlich nicht oft genug, aber ich liebe dich über alles.“ Verena presste ihre zarten Lippen auf seine. Keiner von den beiden sagte noch etwas. Doch das musste auch niemand. In seinem Kopf hörte Gregor Lazarus ihm zuflüstern: „Sophia hat dir die Antwort gezeigt“. Schweigend lächelte er Verena an. Oh wie sehr hatte er dieses Funkeln in ihren Augen vermisst.

Eine Hilfestellung zum lesen dieses Textes:
Gregor, griechisch = der Wachsame
Mathias, hebräisch = Geschenk Gottes
Sophia, griechisch = die Weisheit
Lazarus, hebräisch = Todesengel

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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