Wilhelm Vischer

Referat über Japan

Erinnerlich – 1960 – ich befand mich in der Ausbildung zum Außenhandelskaufmann bei der Fa. Hugo Stinnes in Mülheim/Ruhr, stand plötzlich und unangemeldet ein junger, japanischer Mann an der Rezeption und bat, 1 Stck. oder eine Einheit eines bestimmten Produktes aus unserer Fertigung an ihn zu verkaufen.
 
 
Wir verkaufen nicht stückweise, sondern nur ab bestimmter Volumina, wurde ihm deutlich gemacht. Soviel wollte er aber nicht erwerben. Er verabschiedete sich sehr höflich, mit einem Lächeln.
 
 
 
Mein damaliger Chef, ein sogenannter alter Hase im internationalen Geschäft, meinte, die Japaner kaufen stückweise rund um die Welt, um dann zu Haue zu kopieren.
 
 
 
Ich machte mir wenig Gedanken über den Vorfall. Japan, weit weg, wo liegt das noch mal? – ach ja, Asien, komische Leute, sind das Menschen wie Du und ich – keine Ahnung.
 
 
 
An näherbringende Informationen in meiner Schulzeit konnte ich mich auch nicht erinnern. Cäsar, Cicero, Alexander der Große, 333 = Issos Keilerei ja, aber Tenno, Shogune, Shinto Schreine – niemals.
 
 
 
 
 
Ich wusste also nichts, was Japan betraf. Ich wusste nicht, dass Japan ca. 18 000 Km von uns entfernt liegt, ein Staat bestehend aus mehr als 3000 Inseln ist, davon 4 Hauptinseln – die größte wiederum Honshu ist und dass Honshu ca. 80 % aller etwa 125 Millionen Japaner Lebensraum ist.
 
 
 
Unbekannt, dass Honshu mit ca. 220 000 Km2 60 % der Gesamtfläche Japans ausmacht und nur ca. 25 % dieser Fläche wiederum besiedelbar sind. Alles andere ist unwegsames Gebirge, hochvulkanisch.
 
 
 
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Um es deutlich zu machen: Deutschland hat eine Grundfläche von ca. 357 000 Km2 bei 82 Millionen Einwohnern, dabei fast durchweg besiedelbar.
 
 
Nun ist es heute überhaupt nicht mein Anliegen, Ihnen statistische Daten zu vermitteln, die Sie jederzeit nachschlagen können.
 
 
 
Mein Ansatz ist vielmehr, Ihnen meine Ansicht zu vermitteln, dass Japan und Deutschland weit mehr verbindet, als bei etwas oberflächlicher Betrachtung angenommen wird. Weniger ad hoc politisch, sondern eher grundsätzlich in der Denkweise und den Handlungsmechanismen ihrer Menschen.
 
 
 
Und dennoch erscheint mir wichtig, einen Blick auf die geschichtlichen Abläufe zu werfen, die für die Gesamtbetrachtung gesehen werden müssen.
 
 
 
 
 
Es wird angenommen, dass die japanischen Inseln in der frühen Steinzeit vom asiatischen Festland her besiedelt wurden.
 
 
 
 
 
Funde aus dem 8. und 9. Jahrhundert vor Chr. beweisen, dass zu dieser Zeit schon eifrig Landwirtschaft betrieben und Kriege geführt wurden.
 
 
 
 
 
Im 6. Jahrhundert hatten sich bereits starke Königreiche gebildet.
 
 
 
 
 
Als erster Staatsgründer wird Sumeramikoto bezeichnet, als Jimmu Tenno bekannt, der um 660 also Tenno = Himmelskönig war.
 
 
 
 
 
Jetzt in die Neuzeit:
 
 
 
 
 
Große kulturelle Einflüsse aus China und Korea kennzeichnen die Zeit bis zur Einführung des Konfuzianismus und des Buddhismus. Diese Ereignisse schreibt man der Zeit um 540 nach Chr. zu.
 
 
 
 
 
Die Hauptreligion heute ist der Shintoismus, dem ca. 2/3 der Japaner angehören und der keine Religion im strengen Sinne des Wortes ist. Er ist vielmehr eine
 
 
 
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Mischung aus Moralphilosophie und Kultform zur Verehrung der Ahnen. Seit 1947 übrigens ist die Religionsfreiheit garantiert, sodaß der Shintioismus  und der Buddhismus nebeneinander bestehen. Viele Japaner folgen beiden Religionen.
 
 
 
Zurück in die Zeit ab 1192. Das erste Shogunat wird errichtet. Der Shogun, Generalissimus oder oberster Kriegsherr, erhält vom Kaiser große politische Privilegien und nimmt Einfluss auf die Regierung. Adel und Ritterstand schaffen sich eigene Landgüter und halten sich Privatsoldaten – die Samurais.
 
 
 
Mongoleneinfälle um 1274 und 1281 werden aufgerieben.
 
 
 
1543 bringen portugiesische Seeleute die ersten Feuerwaffen nach Japan.
 
 
 
1549 beginnt der Jesuitenpater Franz Xaver mit der Christianisierung, einige Jahre später kommt es erstmals zum Verbot.
 
 
 
Die Zeit ist geprägt von großen Turbulenzen im Inneren; Kaiser werden gestürzt und aus anderen Feudalkasten inthronisiert. Shogunate fallen und kommen anders wieder. Gewalt herrscht, Japan wird zum Polizeistaat und schottet sich von der übrigen Welt ab.
 
 
 
1609 dann die Erlaubnis, dass holländische und englische Kaufleute in zwei Häfen Handel treiben dürfen. Es folgt eine lange Friedenszeit, Kunst und Wissenschaft stehen in hoher Blüte. Ein einzigartiger Wirtschaftsaufschwung, mit Edo, dem heutigen Tokyo, als Hauptstadt.
 
 
 
1792 verweigert Japan Russland die Aufnahme von Handelsbeziehungen.
 
1853 erzwingen die USA, den Handel mit Ihnen zu gestatten. Es folgen Freundschaftsverträge mit den USA, später auch mit England und Russland.
 
 
 
In den folgenden 50 Jahren befindet sich Japan auf dem Wege zur Großmacht.
 
 
 
1894 Krieg gegen China mit dem entscheidenden Sieg bei Fort Arthur.
 
1902 englisch/japanisches Bündnis.
 
1904 Krieg gegen Russland, ebenfalls Sieg bei Fort Arthur.
 
1910 Japan annektiert Korea
 
 
 
Im ersten Weltkrieg steht Japan auf Seiten der Alliierten.
 
 
 
1920 tritt Japan dem Völkerbund bei.
 
 
 
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Jetzt die Wende, wie auch in Deutschland
 
 
 
 
1933 verläßt Japan den Völkerbund. Armee und Marine verüben Staatsstreiche und verursachen die Auflösung des demokratischen Parlaments.
 
 
1936 Armeeputsch junger Offiziere, nationalistische Elemente in Armee und Marine gewinnen Einfluß.
 
 
 
1937 allgemeine Mobilisierung. Das Militär reiß die Macht an sich. Neuer Krieg mit China, Nanking wird erobert.
 
 
 
1940 Bündnis mit Deutschland und Italien.
 
 
 
1941 Besetzung Französisch-Indochinas. Der Krieg gegen die USA und die Westmächte beginnt. Die amerikanische Flotte vor Pearl Harbour wird versenkt.
 
 
 
1942 Eroberungen in Burma, Malaya, Indonesien und den Phillipinen.
 
 
 
Dann – Rückeroberungen der Alliierten im gesamten pazifischen Raum.
 
 
 
1945 Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Kapitulation am 15. August.
 
 
 
1952 Friedensvertrag von San Franzisko. Ende der alliierten Besatzung. Die Unabhängigkeit Japans wird wiederhergestellt.
 
 
 
 
 
Soweit einige Fakten zum Staatswesen, die aber natürlich keine Erklärung dafür hergeben, dass ich mich zu dieser Titelung des Referats entschlossen habe.
 
 
 
Gestatten Sie mir einschränkend zu sagen, dass meine Empfindungen und Eindrücke grob den Zeitraum von 1964 bis 1994 umfassen. Innerhalb dieser Jahre entstanden meine Wahrnehmungen und Rückschlüsse. Sehr wichtig erscheint mir, zu bemerken, dass ich in dieser Zeit geschäftlich und zunehmend persönlich Zugang zu japanischen Menschen hatte, die altersmäßig bis zu einer ganzen Generation vor mir lagen, und diese wiederum nicht nur in eigener sondern auch in der Tradition ihrer Altvorderen dachten, lebten und handelten.
 
 
 
Die heutige Generation unterliegt hüben wie drüben sicherlich einem Wandel, den ich hier aber nicht beschreiben kann.
 
 
 
 
 
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Meine erste und eigene Verbindung zu diesem Land und ihren Menschen entstand, als ich 1964 als 24-jähriger eine Anstellung in einem japanischen Handelshaus in Düsseldorf erreichte, die mich im Laufe der Jahre noch zu anderen Ufern trug, aber im Kern immer im Japangeschäft verbleiben ließ.
 
 
 
Im Laufe der Zeit habe ich mich vermehrt gefragt. Was ist das für ein Land, welches deiner Meinung nach so viele Parallelen in der Entwicklung zu Deutschland aufweist.
 
 
 
Japan sieht sich sehr früh ganz anders als seine asiatischen Nachbarn, nämlich als geborenes Herrschervolk, geradezu auserwählt und ausgestattet mit besonderer Intelligenz.
 
 
 
Man beobachtet die Entwicklung ist Westeuropa sehr genau – die Errichtung von Kolonien, die Industrialisierung, aber auch den Aufbau wirklicher oder pseudo-demokratischer Staatsformen wie auch den Niedergang verschiedener Monarchien.
 
 
 
Man wäre vielleicht gerne westeuropäischer Anrainerstaat und könnte hier mitmischen. Dem ist aber nicht so – man ist in Asien.
 
 
 
Also geht man die eigenen Nachbarn an – China und Korea sind naheliegend. Der Krieg gegen Russland wird ihnen eher aufgezwungen. Das Bündnis mit England und die Rolle auf Seiten der Alliierten im 1. Weltkrieg ergibt sich aus der damaligen Lage, weniger – so mutmaße ich -  aufgrund wesensnaher Empfindung.
 
 
 
Dennoch wurde der Blick auf Deutschland nie vernachlässigt. Man fühlte sich irgendwie seelenverwandt und richtete sich im Laufe der Zeit und mit Blick auf die Einführung sozialer Strukturen, Kranken –und Schulwesen auch an deutschen Modellen aus. Man nimmt Kenntnis von Bismarck`schen Reformen.
 
 
 
Und dann geht es – ich wiederhole mich – 1933, hier wie dort, erst richtig los.
 
 
 
Hüben wie drüben die Auflösung demokratischer Parlamentsformen, faschistisches Gedankengut macht sich breit, nationalistische Elemente gewinnen an Einfluß.
 
 
 
Das war nun wirklich keine konzertierte, aufeinander abgestimmte Aktion oder Politik.
 
 
 
Das Faktum der Duplizität eher ein Faszinosum oder Mysterium – wer weiß ?
 
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Vielleicht aber eine Entwicklung in der Evolutionsgeschichte, die sich hier kreuzt.
 
 
Aber das sind die Seelen von damals. Die können wir jetzt ruhen lassen. Jetzt betrachten wir die neuen Seelen, aber auch diese sind ja fast schon wieder von damals – vielleicht.
 
 
1969 besuchte ich Japan zum ersten Mal. Wir waren ein Kollegenkreis von 6 Deutschen und saßen eines Abends in der Bar unseres Hotels in Tokyo. Der Raum war fast leer. Entfernt in einer Ecke saß ein japanischer Mann höheren Alters, allein, uns mit griesgrämiger Miene betrachtend. Irgendwann fragte uns der Bartender in versuchtem englisch, woher wir kämen, denn er könne unsre Sprache nicht einschätzen.
 
 
Oh, aus Deutschland, also Deutsche? Diese Frage war wohl die des alten Mannes, denn wir sahen, dass der Barmann sofort zu ihm ging und etwas mitteilte. Anschließend überbrachte uns der Barkeeper eine Einladung dieses Mannes zum Frühstück am folgenden Morgen, x-Uhr, Treffpunkt Lobby.
 
 
Bei aller Verwunderung nahmen wir dankend an. Der Mann lächelte uns zu und verließ den Raum.
 
 
Am anderen Morgen wurden wir in einen separaten Raum geleitet, eingedeckt für 7 Personen und mit Tischblumen geschmückt.
 
 
Unser Gastgeber saß bereits zu Tisch, seine Handbewegung lud zum Frühstück. Er lächelte unentwegt und sagte nichts. Wir waren verlegen und bedankten uns immer wieder mit wortfreier Körpersprache.
 
 
Unser Gastgeber stand irgendwann auf, bedeutete uns, in Ruhe weiter zu frühstücken und  verließ den Raum.
 
 
Dann trat plötzlich eine andere Person – wohl ein Hotelmanager – an unseren Tisch und übermittelte eine Entschuldigung unseres Gastgebers dafür, dass er uns am Abend zuvor so missbilligend betrachtet habe. Aber – er habe vermutet, wir wären Amerikaner.
 
 
Zurück zu den Anfängen:
 
 
 
 
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In der Firma 1964 bekam ich einen leeren Schreibtisch, eine Mitarbeiterin für die Korrespondenz, die üblichen Utensilien der allgemeine Büroausstattung und Prospektunterlagen von japanischen Metallbearbeitungsmaschinen, die ich versuchen sollte, zunächst mal in Deutschland zu verkaufen.
 
 
Eine neue Abteilung. Weitere ca. 2o deutsche Angestellte in anderen Sparten – Import wie Export – waren schon beschäftigt. Ca. 10 Japaner waren auch da, alles nominelle Chefs, die sich allesamt für Superhirne hielten, aber hier in Deutschland nur zuschauen und beten konnten, dass die lokalen Angestellten einen Weg finden, der Erfolg verspricht.
 
 
Anlaufkosten für Marktstudien, Messebesuche, entsprechende Reisespesen – alles kein Problem. Bitte zurückhaltende Kleidung, Friseurbesuche während der Arbeitszeit erlaubt –  Hauptsache gut gekämmt.
 
 
Wirklich gutes Gehalt, zu Ostern ein halbes und zu Weihnachten ein dreizehntes extra muß sein. Wer geht schon in dieser Zeit zu den Japanern, wenn der Arbeitsmarkt in Deutschland doch genug Positionen freihält.
 
 
Meine Seele hüpfte – das war was für mich. Ich war so verfasst. Ich traute mir zu, etwas bei null zu beginnen und eine eigene Firma in der Firma zu werden. Als Kriegskind war die „Null“ für mich eine durchaus bekannte Größe.
 
 
Ich fing schon an, die Japaner zu mögen. Es wurde mein berufliches Leben. 12 Jahre später, also 1976, einmündend in eine tatsächliche Selbständigkeit – mit einem japanische Partner.
 
 
Was war nun mit kopieren, billig nachmachen und verramschen? Von Anfang an nicht Japan, meine Damen und Herren. Da gab es und gibt es andere.
 
 
Wie stand Japan denn da? Doch ähnlich wie Deutschland.
 
 
Jedenfalls nicht autark. Eisen, Manganerze, Schwefel, Kupfer und Blei werden gewonnen. Auch Kohle, aber schon von geringer Qualität. Und so gut wie kein Erdöl. Die Produktion von Erdöl deckt gerade 2 % des Bedarfs. Also – wesentliche Mineralien und Öl müssen eingeführt werden, um das Land als Industrieland in Gang zu halten oder zu bringen. Hinzu kommt, dass nur 15 % der Bodenfläche fruchtbare Ebenen sind, genutzt für Reis, Soja, Kartoffeln, Obst und Gemüse.
  
 
 
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Wieviel kann man da ernten für 125 Mio. Menschen? Weideland gibst es nur spärlich, daher geringe Viehzucht. Bleibt erst einmal nur der Fischfang, um überhaupt genug Nahrung zu gewinnen und vor allem den Bedarf an Eiweiß zu decken.
 
 
Das muß man im Auge haben, wenn man Japan so vehement kritisiert, immer wieder die Walfangquoten zu unterlaufen, was im übrigen auch andere tun. Kanada lässt grüßen ! Aber ich mag auch die Kanadier.
 
 
Man kann nocht nicht Musterknabe sein und alles importieren, was heute allerdings in großem Maße getan wird. Zum Import braucht man Geld, hartes konvertierbares Geld – also Devisen. Der Yen war auch keine Hart –bzw. Leitwährung.
 
 
Wie kommt man an hartes Geld? Indem man Waren ins Ausland verkaufen kann – gegen solches Geld. Die Alternative war und ist, andere Länder zu bekriegen, wo Reichtum zu holen oder anders ausgedrückt, wo Reichtum zu kapern ist. Es lässt sich schließlich nachweisen, dass bei den – milde ausgedrückt – Auseinander- setzungen in dieser Welt von gestern, heute und wohl auch morgen , es nahezu immer um die Verteilung von  Ressourcen geht, weniger um Ideologie.
 
 
Japan und Deutschland hatten dem abgeschworen bzw. abschwören müsse – ein Neuanfang unter fast identischen Bedingungen.
 
 
Was ist zu tun? Wenn möglich, dann ist die genuitive Kraft eines Landes und ihrer Menschen zu bündeln, um etwas herzustellen, was andere nicht haben, aber haben wollen und dieses etwas mit gutem Geld bezahlen, weil dieses etwa so gut ist.
 
 
Das konnte und kann Japan. Das konnte und kann Deutschland. Der Beleg sind die Exporterfolge beider Länder.
 
 
Und beide sind gewachsen aus dem Schutt des unseligen 2. Weltkrieges mit verblüffenden, sich ähnelden Erfolgen auf den Weltmärkten, nicht als Feinde, sondern als Konkurrenten mit gegenseitigem Respekt.
 
 
Warum Japan da hinten, so weit weg? Zu einer Zeit, als China, Korea und andere in diesem Teil der Welt sich noch weitere 20 oder 30 Jahre nach innen betrachteten.
 
 
Ein japanischer Freund fragte mich einmal, ob ich einen Japaner von einem Koreaner oder Chinesen unterscheiden könne. Ich meinte, dass ich das können. Er war erleichtert und bemerkte, dass dieses ein großes Anliegen aller Japaner sei. Dieses Öffnen seiner Seele geschah, nachdem wir uns schon mindestens 10 Jahre kannten.
 
 
Wenn schon Asiaten, dann sehen sich Japaner als Edelasiaten, Asiaten der besonderen, der überlegenen Art. Ohne eine Bestätigung meinerseits zu erwarten – im übrigen während eines kräftigen Umtrunks – meinte dieser Freund, wir, die Deutschen sähen uns doch wohl ähnlich im europäischen Vergleich.
 
 
 
 
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Wie viel kann man da ernten für 125 Mio. Menschen? Weideland gibt es nur spärlich, daher geringe Viehzucht. Bleibt erst einmal nur der Fischfang, um überhaupt genug Nahrung zu gewinnen und vor allem den Bedarf an Eiweiß zu decken.
 
 
 
Das muß man im Auge haben, wenn man Japan so vehement kritisiert, immer wieder die Walgangquoten zu unterlaufen, was im übrigen auch andere tun. Ich grüße Kanada, ich mag auch die Kanadier.
 
 
 
Man kann noch nicht Musterknabe sein und alles importieren, was heute allerdings in großem Maße getan wird. Zum Import braucht man Geld, hartes, konvertierbares Geld – also Devisen. Der Yen war auch keine Hart –bzw. Leitwährung.
 
 
 
Wie kommt man an hartes Geld?  Indem man Waren in`s Ausland verkaufen kann – gegen solches Geld. Die Alternative war und ist, andere Länder zu bekriegen, wo Reichtum zu holen  oder anders ausgedrückt, wo Reichtum zu kapern ist. Es lässt sich schließlich nachweisen, dass  bei den – milde ausgedrückt – Auseinandersetzungen von gestern, heute und wohl auch morgen, es nahezu immer um die Verteilung von Ressourcen geht, weniger um Ideologie.
 
 
 
Japan und Deutschland hatten dem abgeschworen bzw. abschwören müssen, ein Neuanfang unter fast identischen Bedingungen.
 
 
 
Was ist zu tun? Wenn möglich, dann ist die genuitive Kraft eines Landes und ihrer Menschen zu bündeln, um etwas herzustellen, was andere nicht haben, aber haben wollen und dieses etwas mit gutem Geld bezahlen, weil dieses etwas so gut ist.
 
 
 
Das konnte und kann Japan. Das konnte und kann Deutschland. Der Beleg sind die Exporterfolge beider Länder.
 
 
 
Und beide sind gewachsen aus dem Schutt des unseligen 2. Weltkriegs mit verblüffenden, sich ähnelnden Erfolgen auf den Weltmärkten, nicht als Feinde, sondern als Konkurrenten mit gegenseitigem Respekt.
 
 
 
Warum Japan da hinten, so weit weg? Zu einer Zeit, als China, Korea und andere in jenem Teil der Welt sich noch weitere 20 oder 3o Jahre nach innen betrachteten.
 
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Ein japanischer Freund fragte mich einmal, ob ich einen Japaner von einem Chinesen oder Koreaner unterscheiden könne. Ich meine, dass ich das könne. Er war erleichtert und bemerkte, dass dieses ein großes Anliegen aller Japaner sei. Dieses Öffnen seiner Seele geschah, nachdem wir uns schon mindestens 10 J. kannten.
 
 
Wenn schon Asiaten, dann sehen sich Japaner als Edelasiaten, Asiaten der besonderen, der überlegenen Art. Ohne eine Bestätigung meinerseits zu erwarten – im übrigen während eines kräftigen Umtrunks – meinte dieser Freund, wir, die Deutschen, sähen uns doch wohl ähnlich im europäischen Vergleich.
 
 
 
Worauf dieses – ich benutze mal den Ausdruck „Sendungsbewusstsein“ – zurückgeht, kann ich nicht erklären, aber über einen der sicherlich vielen Gründe möchte ich mutmaßen.
 
 
 
Ziehen wir einen Vergleich – zu Großbritannien!
 
 
 
Wieso und warum entwickelte England einen Expansionsdrang, der ihm das weltumfassende Empire bescherte? Warum ging die substantielle Industrialisierung der westlichen Welt von England aus – ungeachtet der kongenialen Beiträge, die sich schnell in Ländern wie z. B. Deutschland einstellten?
 
 
 
Vielleicht aus der Insellage heraus!
 
 
 
Immerhin ist ein Mann wie der 1887 verstorbene Alfred Krupp im 19. Jahrhundert mehrmals inkognito nach England gereist, um vorsprüngliche Entwicklungen zu studieren und dann in seine Fabriken einzubringen.
 
 
 
Das war nicht anderes als ein Stück weit Industriespionage, die dann als geniales Unterfangen bezeichnet wird, wenn die neue Erkenntnis sich umsetzen lässt in noch einmal verbesserte Produkte. Dann spricht man nicht mehr von Kopieren.
 
 
 
Und genau das trifft auf Japan zu .
 
 
 
Nehmen Sie Produkte der Unterhaltungsindustrie, Autos, Schiffe, Computer, phototechnisches Gerät und anderes. Da kommen keine Kopien aus Japan, sondern hoch- bzw. weiterentwickelte Produkte, die auch – aber eben nicht nur – durchaus zurückgehen können auf Erfindungen anderer. Dann hat man Lizenzen gekauft und Lizenzgebühren bezahlt, im Sinne internationalen Rechts.
 
 
 
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Nach Ablauf der Schutzzeit erschienen viele Produkte dann effizienter als in ihrer ursprünglichen Erfindung. Übrigens liegt Japan heute bei Patentanmeldungen mit in der Weltspitze.
 
 
 
Daß man die Hülle eines Produkts dem Geschmack des jeweiligen Käuferlandes anzupassen versucht, ist wohl bare Selbstverständlichkeit.
 
 
 
Wer nun glaubt, dass Japan ein Billiglohnland sei und überden Preis verkaufe, der irrt. Wenn aus Japan ein Auto z.B. bei vergleichbarer Qualität preisgünstiger angeboten wird, dann aus dem Grund, weil die Fertigung effizienter gestaltet wird. Die Rohstoffe sind preisgleich und die Löhne durchaus vergleichbar mit Deutschland. Japan ist ein Hochpreisland!
 
 
 
Ganze Heerscharen von deutschen Politikern und Wirtschaftsführern sind ab Mitte der achtziger Jahre nach Japan gepilgert und haben nach ihrer Rückkehr das Motto ausgegeben, wir müssten von Japan lernen.
 
 
 
Was diese Herren vergessen haben oder nicht in der Lage waren, zu tun, war, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Bis heute nicht.
 
 
 
Auf der Spielwiese der Bürokraten und Ideologen wächst evtl. viel Gras, aber weniger Produktives.
 
 
 
Aber es bleibt dabei: Japaner fühlen sich wohl in Deutschland. Sie bewundern dieses Land ob seiner Erfolge  -  was immer man hier nennen mag. Deutsche Produkte genießen einen ausgezeichneten Ruf – man vertraut diesen fast blind.
 
 
 
Aber wie erkenne ich diese besondere Zuneigung der Japaner zu Deutschland, wie ich sie in diesem Referat deutlich zu machen versuche? Ich denke, erst mal gar nicht – nicht auf den ersten und nicht auf den zweiten Blick, jedenfalls nicht im Geschäftsleben.
 
 
 
Japaner treten überall und irgendwie fast immer gleich auf, nach außen. Immer dunkelblau oder grau gekleidet, höflich, abwartend, lächelnd. Kein vorschnelles Wort, kurzum: nicht durchschaubar. Immer bemüht, das eigene wie das Gesicht des anderen zu bewahren. Am Verhandlungstisch nie die Arme auf den Tisch, Protokolle werden in kleine Notizbücher geschrieben. Mag doch der geneigte Geschäftspartner großformatig auftreten, mag dieser sich doch durch Ausdruck und Gestik überlegen fühlen. Das lockt ihn aus der Reserve.
 
 
 
 
 
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Es wird viel gelobt, das Gastland, der Gastgeber und überhaupt. Man sagt – Amerika ist groß, ein sehr bedeutender Markt für japanische Produkte. Wir verdienen dort viel Geld. Was machen wir mit dem Geld? Wir kaufen zuhauf amerikanische Schuldverschreibungen bzw. Staatsanleihen, ohne die kein amerikanisches Staatsbudget mehr aufzustellen wäre. Also gehört ein Stückchen Amerika schon uns – das schützt. Von Hawai ganz zu schweigen- das ist japanisch durchkapitalisiert, der andere Weg nach Pearl Harbour.
 
 
 
Dir, lieber Freund, können wir es ja sagen. Wir kennen uns lange genug. Ihr denkt doch ähnlich in Euren Belangen – oder ? Irgendwie sind wir doch Brüder im Geiste.
 
 
 
Erinnerlich die Maßnahmen Frankreichs in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, Importquoten für japanischer Fernseher, Videorecorder und anderes zu verhängen. Man wollte die einheimische Industrie schützen.
 
 
 
Japan nahm das ohne großes Lamento hin und vertraute auf den Markt. Irgendwann war das dann vorbei.
 
 
 
Die Ironie war, dass sich die japanischen Hersteller von TV-Geräten sowieso schon zur Übernahme des deutschen PAL-Farbsystems entschieden hatten und gegen das französische SECAM-Bild unter Zahlung von Lizenzgebühren über – ich glaube 20 Jahre – an AEG-TELEFUNKEN.
 
 
 
Ein bemerkenswertes Eingeständnis der Grand Nation!
 
 
 
Englands Maggie Thatcher ging einen anderen Weg. Wohl sehend, dass die industrielle Entwicklung im Land in zu vielen Bereichen hinterherhinkte, lud sie die Japaner mit großzügigen Subventionen ein, Fertigungsstätten in England aufzuziehen, um die europäischen Märkte eben von England aus zu beliefern mit Produkten wie Autos oder Industriemaschinen, die wettbewerbsfähig herzustellen England nicht mehr in der Lage war.
 
 
 
Für Japaner nicht vorstellbar, dass das eine oder das andere in Deutschland – aus der Not geboren – passieren würde.
 
 
 
Natürlich läuft auch in Japan nicht alles rund. Das Platzen der Immobilienblase und die folgende Bankenkrise Anfand der neunziger Jahre hat einen Schlag versetzt, der heute noch nicht wirklich verdaut ist.
 
 
 
 
 
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Firmenpleiten finden genau so in Japan statt. Ich kenne genug Dinge, die mir nicht behagten oder einfach fremd blieben.
 
 
 
Hochrangige japanische Kollegen vom Toshiba Maschinenbau gingen ins Gefängnis, weil sie strategische, dem westlichen Embargo unterliegende Spezialmaschinen hinter den eisernen Vorhang verkauft hatten. Die Muttergesellschaft, Toshiba Elektrik, durfte 3 Jahre lang keines ihrer Produkte mehr auf dem US-Markt verkaufen – offiziell jedenfalls.
 
 
 
Aber das, was nicht stimmig erscheint, ist nicht das Thema meiner Ausführungen. Ich wollte hier nachvollziehbar machen, dass Japan, dass die Japaner eine besondere Affinität zu Deutschen bzw. zu Deutschland empfinden.
 
 
 
Ich saß einmal in der Wartelounge am Pariser Flughafen zufällig neben der Gruppe der Berliner Symphoniker. Es gab eine Verspätung und ich kam mit meinem Nachbarn ins Gespräch. Gelegentlich fragte ich ihn, in welchem Land das Orchester die größte Verehrung erfahre.
 
 
 
Die Antwort dieses Musikers war:
 
 
 
Ovationen erhalten wir überall, aber in Japan noch ein Stück deren SEELE!
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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