Unbeachtet
stand sie in einer dunklen Ecke des Saales. Nie wurde sie in die Erläuterungen
während einer Führung mit eingeschlossen. Nur ganz selten wurde sie von
neugierigen kleinen Mädchen entdeckt, die sich über ihren Anblick erschraken,
ganz von selbst wieder zur Besuchergruppe zurück liefen, und Sicherheit
suchend, nach Frauenhänden griffen.
Die
alte Rüstung hatte Beulen, Dellen und Kratzer, die von einem kriegerischen
Leben zeugten. Seit einigen Jahren hatte sich an verschiedenen Stellen Rost eingefressen.
Gerne hätte sich die Rüstung dem Zerfall hingegeben. Vor langer Zeit schon
hatte sie ausgedient, ihren Zweck erfüllt. Stumpf und düster stand sie im
Schatten, ein häßliches Überbleibsel vergangener Zeit.
Einst
wurde sie sorgsam gepflegt und geölt, glänzte in sattem Schwarz. Die Menschen
fürchteten sich vor ihrem Anblick, nicht nur weil die Ritter, die sie schützte,
ihre Schwerter und Lanzen meisterlich zu führen verstanden, sondern weil ihr
selbst magische Kräfte nachgesagt wurden. Es hieß, daß wer immer diese Rüstung
anlegte, unweigerlich den Sieg davon trug. Es berührte die Rüstung nicht, daß
sie Tod und Erniedrigung auf ihrem Weg zurückließ. Sie ließ sich von und gegen
Gewalt führen. Sie war nur ein Mittel zum Zweck, die männliche Brutalität zu
verherrlichen. Da die Rüstung keine menschlichen Züge hatte, nie eine Regung
des Mitleids, der Angst oder der Trauer zeigte, erlebte man sie, wenn auch
selten lange, als grausam und unerbittlich. Selbst die edelsten der Ritter
hatten sich einst vor ihr verbeugt und ihr Respekt gezollt.
Jetzt
stand sie in ihrer Ecke und lehnte sich über die Jahre immer ein wenig mehr
gegen die Wand. Sie wurde nicht mehr geölt und gepflegt und auf ihrem Kopf
wurden keine rabenschwarzen Federn mehr befestigt.
Nur
eine stumme alte Frau strich einmal in der Woche mit einem Staubwedel über die
Rüstung, ehe sie den Saal verließ. Vielleicht war es ihr zu anstrengend, sich
anderen mitzuteilen, oder sie wollte gar keine Erklärung finden. Selbst die
müden Augen der Frau konnten doch nicht übersehen, daß sich manchmal Pfützen zu
Füßen der Rüstung gebildet hatten, auch mal Erde, oder ein welkes Blatt an
ihnen klebte. Nein, von der alten Frau ging kein Verrat, aber auch keine
Erlösung aus. Es konnte ja sein, das sie ihre eigenen Geheimnisse zu schützen
hatte, vielleicht trug sie selbst schwer an einer Seele.
Die
Ritterrüstung wußte es nicht. Sie wollte auch nichts wissen oder bedenken, es
stand ihr nicht zu.
Wenn
sich nur diese menschliche Seele nicht in ihr eingenistet hätte! Die Rüstung
Nur
war da leider diese Seele, die in ihr dachte. Den Körper hatte man herausheben
können, die Seele aber hatte sich gleich festgesetzt. Richtig geklammert hatte
sie, sich geweigert sich entfernen zu lassen, irgendwie weitergelebt auf ihre
penetrante Art, Unruhe verbreitet, Gedanken geformt.
Als
man die Rüstung tief in einen ausgetrockneten Brunnen im Inneren der Burganlage
zu den Abfällen stieß, hätte es Ruhe geben können. Das wäre auch recht so
gewesen, nach all den Anstrengungen. Anfangs hatte sie sich geweigert
Bewußtsein zu erlangen, lag reglos auf dem Haufen Gerümpel mit ihren verdrehten
Gelenken und tat so, als ob sie nichts merkte. Später durchzuckten sie Bilder,
zu plötzlich, zu schnell, um sie zu ignorieren, oder erkennen zu können. Mit
der Zeit veränderten sich die Bilder, zogen wie Traumfetzen durch die Rüstung.
Viele Kämpfe schwebten vorbei, vermummte, gewappnete Gestalten, die auf ihren
Pferden in die Schlacht zogen. Auch sah die Rüstung einige Pferde allein,
einmal glaubte sie gar ein Wiehern zu vernehmen. Dann zeigten sich schattenhaft
menschliche Wesen, die sich um den Verbleib des Ritters zu kümmern schienen.
Zwei
von ihnen tauchten immer wieder auf. Sie kristallisierten sich endlich, ließen
sich deutlich erkennen. Es waren ein großer, stattlicher Mann mit einem
freundlichen Lächeln und eine Frau mit einem langen blonden Zopf, mit großen,
blauen Augen, einem schmalen Gesicht und einem runden Bauch. Der Rüstung war es
egal. Sie sah, wunderte sich aber über nichts.
Langsam
stiegen Empfindungen auf, eine sich ausbreitende Wärme, ein schmerzliches
Ziehen, das sie nicht als Sehnsucht einordnen konnte, das alles war ihr ja
unbekannt. Jahre kamen und vergingen, Bilder und Empfindungen zogen dahin, was
blieb war Sehnsucht.
Die
große Veränderung kam mit lautem Hämmern, mit dröhnendem Rollen, mit gellenden
Frauenstimmen und gleißendem Licht. Hätte sie gekonnt, hätte die Rüstung die
Augen zugekniffen und sich die Ohren zugehalten. So aber kehrte sie fluchtartig
ins Nichtsein zurück, was dadurch vereinfacht wurde, daß die Seele sich
ängstlich in den linken Fuß verkrochen hatte. Als nächstes bemerkte die
Rüstung, das sie irgendwo aufgestellt worden war und die Seele sich in ihr noch
breiter gemacht hatte, als zuvor.
Fragen
nach dem Sein und dem Warum tauchten auf. Doch wer fragte? Die Seele? Die
Rüstung? Der Mann mit dem Lächeln? Die Frau mit den großen Augen? Das Lächeln des
Mannes verschwand mit der Zeit, auch sein Gesicht zeigte sich nur noch
lückenhaft und dann nicht mehr. Das sanfte Gesicht der Frau vergrößerte sich,
bis nur
noch die blauen Augen zu sehen waren, die die Rüstung und die Seele vollkommen
auszufüllen schienen. Über die Jahre aber änderte sich der Blick, wie Tränen
stiegen Schneeflocken in die Augen, trübten die Pupillen und fielen dann sanft
ins Nichts.
„Nein!“
Woher
kam der Schrei? Wer hatte ihn ausgestoßen?
Jetzt
war es kalt. Das Nichts war weiß. In der Rüstung zog es sich zusammen. Das
Ziehen war nunmehr als Sehnsucht bekannt. Von irgendwo tauchte ein Name auf:
Isolde.
Isolde
war anwesend, war jung, war schön, flatterte mehrere Jahre ein und aus. Ihre
schlanke Gestalt, ihre blasse Haut mit den überraschenden Kirschlippen
verbanden sich mit der Sehnsucht.
Doch
dann tauchte auch der Mann wieder auf, kam schwer, hatte sein Lächeln verloren,
stieß schmerzhaft an die Grenzen des Erträglichen. Auch bei seinem Anblick zog
die Sehnsucht heftig. Dann war da wieder die Frage:
„Warum?“
Da
verwandelten sich die Gefühle, wurden belastend, bohrten in das bißchen
Bewußtsein. Als das Gefühl der Schwere und des Schmerzes bis zur
Unerträglichkeit gewachsen war, zerriß etwas, stieß die Seele in eine andere
Dimension.
Wolfram
sah sich hoch zu Roß. Er trug seine prächtige schwarze Rüstung und hätte
würdevoll ausgesehen, hätte er nicht ungeduldig die Fersen immer wieder in die
Flanken des Pferdes gerammt und es angefeuert, schneller zu galoppieren. Es war
sehr kalt und Wolfram sah den heißen Atem von den Nüstern seines Pferdes
aufsteigen. Der Weg war verschneit und die Zweige, die sich nach dem Reiter
ausstreckten waren vereist, sie trafen ihn hart, doch das kümmerte Wolfram
nicht.
Endlich
hatte er in der Ferne die Burg entdeckt, in der die Frau lebte, die er zu
ehelichen gedachte. Sie waren sich schon in der Kindheit versprochen worden,
aber während der letzten Jahre hatte sich ein ehrliches, heißes Begehren nach
ihr in Wolfram entwickelt. Er war fast ein Jahr fort gewesen, hatte Abenteuer
erlebt, Schlachten geschlagen. Nun gab er dem Heimweh nach, wollte sich eine
Weile ausruhen, seine Siege feiern. Er stellte sich die liebliche Isolde
bewundernd zu seinen Füßen sitzend vor. Sicher würde sie einwilligen, die
Hochzeit gleich vorzubereiten.
Welch
glücklicher Zufall! Nach einer Weggabelung sah Wolfram von weitem einen Reiter
aus Richtung der Burg auf ihn zu kommen. Es gab keine Frage, kein anderer hatte
solch eine edle Haltung auf dem Rücken eines Pferdes. Immer und überall hätte
Wolfram seinen liebsten Freund Sigurd erkannt! Übermütig winkte Wolfram ihm
entgegen, erst dann bemerkte er die Kutsche vor ihm, am Wegrand. Lächelnd sah
er zu den Frauen hinüber, die sich in unförmigen, dunklen Umhängen im Schnee
tummelten. Tatsächlich, sein Herz wollte vor Freude den Brustkorb sprengen, da
war auch seine Isolde! Nur an ihrem blonden Zopf hatte er sie erkannt, denn
auch sie war von einem weiten, dunklen Umhang verhüllt.
Mit
einem Jauchzen rammte Wolfram nochmals die Fersen in die Flanken des Pferdes.
Als er sich den Frauen näherte, rief er ihnen laute, scherzhafte Grüße
entgegen. Damit aber veränderte sich die Szene. Was war das für eine Begrüßung?
Entsetzt schrien die Frauen auf und Isolde sank in den Schnee! Hatte sie auf
Wolfram zueilen wollen und war ausgeglitten? Der Ritter brachte das Pferd zu
Halt, sprang ab und war in zwei Sätzen bei Isolde. Er wollte sich über sie
beugen, doch ließ ihn der Anblick, der sich ihm bot, einhalten.
Der
dunkle Umhang war auseinander gefallen und die Wölbung Isoldes Leibes zeichnete
sich deutlich ab. Auf dem weißen Schnee waren rote Blutstropfen, auch das Kleid
färbte sich zwischen den Beinen dunkel.
Es
war still im Wald, niemand wagte es, ein Wort auszustoßen. Der Schnee vermochte
den Klang des Hufschlages des herangalloppierenden Pferdes zu dämpfen, doch Wolfram war
schlagartig von den Zusammenhängen überzeugt und schwang sich wieder auf den
Rücken des Pferdes, um dem anderen zu begegnen.
Ein
eisiger Wind erhob sich in diesem Moment und riß den Männern die Rufe von den
Lippen, so daß es zu keiner mündlichen Anklage oder Verteidigung kommen konnte.
Im wilden Treiben des Schnees glaubte Wolfram eine blitzende Klinge zu sehen,
er hob den linken Arm um das Visier zu schließen, während er mit der rechten
Hand auch schon nach seinem Schwert griff. Da strauchelte das Pferd und ein
glühender Schmerz beendete jäh alles Aufbegehren.
Ein
schepperndes Geräusch, ein Schütteln und Stampfen brachten der gequälten Seele
den Schmerz zurück.
„Wie
konnte das nur sein? Was ist geschehen? Isolde? Sigurd? Sprecht mit mir!"
Langsam,
knarrend, mühevoll sagte eine Stimme:
„Mach
das nicht noch mal!“
„Sigurd?
Wovon sprichst du?"
„Ich
bin nicht Sigurd. Ich bin deine alte Rüstung und ich bitte dich: Mach das nicht
noch mal!“
„Wie
kommt Er denn dazu so mit mir zu reden? Was fällt Euch ein?“
„Ich
muß reden. Ich muß der Sache ein für alle mal Einhalt gebieten. - Immer wenn es
besonders unwirtlich und eisig kalt ist, piesackst du mich dich in den Wald zu
bringen, wo du ja doch nichts mehr findest, nicht einmal die Burg. Sie sind
doch alle fort und du kannst nichts mehr ungeschehen machen! Es ist zwecklos,
immer wieder diesen Spuk abzurufen, mir die Qualen dieser Pirsch aufzubürden!
Halt ein! Ich zerfalle mehr und mehr wegen deiner wilden Exkursionen und kann
nicht mehr Schutz bieten oder auch nur dein Träger sein!“
„Fort?
Alle fort? Wohin sind sie denn gegangen? Ich muß sie finden, sie sollen mir
Antwort stehen! Ich muß verstehen, was geschehen ist! Wie konnte Sigurd mir
Leid zufügen? Isolde war mein, nur mein! Vielleicht war es ein böser Zauber
gewesen, der mich diese unerhörten Grausamkeiten sehen ließ. Eine Erklärung muß
her! Unbedingt! Sofort! Kehre auf der Stelle zurück und laß uns suchen.“
„Niemals,
nie wieder! Wenn du suchen mußt, finde eine andere Art der Fortbewegung als
mich! Ich sagte es schon, es ist sinnlos, alle sind fort.“
„Aber
wohin denn? Sagt mir doch wenigstens wohin!“
„Sie
werden ihre ewige Ruhe gefunden haben, im Gegensatz zu dir. Wenn du nur endlich
Frieden zulassen würdest! Kannst du dir kein anderes Gehäuse suchen?“
„Unverschämtheit!
Man stelle sich vor, so redet eine Rüstung mit ihrem Ritter! Vielleicht bin ich
krank. Das sind doch wohl alles Hirngespinste? Möglicherweise sollte ich
tatsächlich ein wenig ausruhen. Das geht doch irgendwie alles nicht mit rechten
Dingen zu!"
„Das
ist mal ein Wort“, knarrte die Rüstung, als sie sich mit letzter Kraft mühselig
in ihre Ecke schleppte.
„Gib
Ruhe. Schlafe tief und fest. Schlaf nur recht lange und sei friedlich. Vielleicht
kommt dann Heilung auch zu dir.“
Es
waren feste, sichere Schritte, die am Ende noch einmal das Gehör der Rüstung
erreichten. Das helle Lachen schien ein Echo zu haben, kam von überall her.
„Was
ist das denn für ein witziges Ungetüm?“
„Ein
Relikt aus uralter Zeit. Wohl eher nicht so komisch. Es wurde benutzt als
Männer noch mit ihren Kriegen die Erde verwüsteten, Frauen als ihr Eigentum
betrachteten und mit ihren Schwänzen Kinder zeugten.“
„Pfui!
Erzählen Sie mir nun bitte nicht, das Sie mit diesen Schauergeschichten den
Stolz unserer Schwestern beleidigt haben!“
„Nein!
Das Ding stand immer nur dort in der einzigen dunklen Ecke des Hauses. Ich
schwöre Ihnen, ich habe es niemals gezeigt oder über es gesprochen!“
„Aber
warum haben Sie es denn überhaupt aufbewahrt?
„Ich
kann es selbst nicht begründen. Da war so ein Gefühl, als wäre noch ein Hauch
von Leben in dieser Rüstung, als gäbe es einen Grund, für sie, da zu sein.“
„Blödsinn!
Weg mit dem alten Trödel. Es soll vernichtet werden, und zwar sofort!"
„Endlich!“
dachte die Rüstung.
Krachend
lehnte sie sich noch etwas weiter gegen die Wand.
Die
Frauen beachteten sie nicht mehr. Ihre Schuhe klapperten laut und geschäftig
auf dem Steinboden, als sie sich entfernten. Noch einmal hörte die Rüstung
lautes Gelächter, dann war es still.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Iris Asamoah).
Der Beitrag wurde von Iris Asamoah auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2006.
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