Iris Asamoah

Die beseelte Ritterrüstung

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Unbeachtet stand sie in einer dunklen Ecke des Saales. Nie wurde sie in die Erläuterungen während einer Führung mit eingeschlossen. Nur ganz selten wurde sie von neugierigen kleinen Mädchen entdeckt, die sich über ihren Anblick erschraken, ganz von selbst wieder zur Besuchergruppe zurück liefen, und Sicherheit suchend, nach Frauenhänden griffen.

 

Die alte Rüstung hatte Beulen, Dellen und Kratzer, die von einem kriegerischen Leben zeugten. Seit einigen Jahren hatte sich an verschiedenen Stellen Rost eingefressen. Gerne hätte sich die Rüstung dem Zerfall hingegeben. Vor langer Zeit schon hatte sie ausgedient, ihren Zweck erfüllt. Stumpf und düster stand sie im Schatten, ein häßliches Überbleibsel vergangener Zeit.

 

Einst wurde sie sorgsam gepflegt und geölt, glänzte in sattem Schwarz. Die Menschen fürchteten sich vor ihrem Anblick, nicht nur weil die Ritter, die sie schützte, ihre Schwerter und Lanzen meisterlich zu führen verstanden, sondern weil ihr selbst magische Kräfte nachgesagt wurden. Es hieß, daß wer immer diese Rüstung anlegte, unweigerlich den Sieg davon trug. Es berührte die Rüstung nicht, daß sie Tod und Erniedrigung auf ihrem Weg zurückließ. Sie ließ sich von und gegen Gewalt führen. Sie war nur ein Mittel zum Zweck, die männliche Brutalität zu verherrlichen. Da die Rüstung keine menschlichen Züge hatte, nie eine Regung des Mitleids, der Angst oder der Trauer zeigte, erlebte man sie, wenn auch selten lange, als grausam und unerbittlich. Selbst die edelsten der Ritter hatten sich einst vor ihr verbeugt und ihr Respekt gezollt.

 

Jetzt stand sie in ihrer Ecke und lehnte sich über die Jahre immer ein wenig mehr gegen die Wand. Sie wurde nicht mehr geölt und gepflegt und auf ihrem Kopf wurden keine rabenschwarzen Federn mehr befestigt.

 

Nur eine stumme alte Frau strich einmal in der Woche mit einem Staubwedel über die Rüstung, ehe sie den Saal verließ. Vielleicht war es ihr zu anstrengend, sich anderen mitzuteilen, oder sie wollte gar keine Erklärung finden. Selbst die müden Augen der Frau konnten doch nicht übersehen, daß sich manchmal Pfützen zu Füßen der Rüstung gebildet hatten, auch mal Erde, oder ein welkes Blatt an ihnen klebte. Nein, von der alten Frau ging kein Verrat, aber auch keine Erlösung aus. Es konnte ja sein, das sie ihre eigenen Geheimnisse zu schützen hatte, vielleicht trug sie selbst schwer an einer Seele.

 

Die Ritterrüstung wußte es nicht. Sie wollte auch nichts wissen oder bedenken, es stand ihr nicht zu.

 

Wenn sich nur diese menschliche Seele nicht in ihr eingenistet hätte! Die Rüstung  war sicher, es mußte etwas mit dem letzten Kampf zu tun haben. An ihr hatte es nicht gelegen, daß das Visier nicht rechtzeitig herunter gelassen wurde. Sie lehnte jegliche Verantwortung ab! Es handelte sich eindeutig um menschliches Versagen, daß der Ritter so grausam verendete. Die ganze Sache ging die Rüstung nichts an. Nicht einmal denken sollte sie, wollte es auch gar nicht.

 

Nur war da leider diese Seele, die in ihr dachte. Den Körper hatte man herausheben können, die Seele aber hatte sich gleich festgesetzt. Richtig geklammert hatte sie, sich geweigert sich entfernen zu lassen, irgendwie weitergelebt auf ihre penetrante Art, Unruhe verbreitet, Gedanken geformt.

 

Als man die Rüstung tief in einen ausgetrockneten Brunnen im Inneren der Burganlage zu den Abfällen stieß, hätte es Ruhe geben können. Das wäre auch recht so gewesen, nach all den Anstrengungen. Anfangs hatte sie sich geweigert Bewußtsein zu erlangen, lag reglos auf dem Haufen Gerümpel mit ihren verdrehten Gelenken und tat so, als ob sie nichts merkte. Später durchzuckten sie Bilder, zu plötzlich, zu schnell, um sie zu ignorieren, oder erkennen zu können. Mit der Zeit veränderten sich die Bilder, zogen wie Traumfetzen durch die Rüstung. Viele Kämpfe schwebten vorbei, vermummte, gewappnete Gestalten, die auf ihren Pferden in die Schlacht zogen. Auch sah die Rüstung einige Pferde allein, einmal glaubte sie gar ein Wiehern zu vernehmen. Dann zeigten sich schattenhaft menschliche Wesen, die sich um den Verbleib des Ritters zu kümmern schienen.

 

Zwei von ihnen tauchten immer wieder auf. Sie kristallisierten sich endlich, ließen sich deutlich erkennen. Es waren ein großer, stattlicher Mann mit einem freundlichen Lächeln und eine Frau mit einem langen blonden Zopf, mit großen, blauen Augen, einem schmalen Gesicht und einem runden Bauch. Der Rüstung war es egal. Sie sah, wunderte sich aber über nichts.

 

Langsam stiegen Empfindungen auf, eine sich ausbreitende Wärme, ein schmerzliches Ziehen, das sie nicht als Sehnsucht einordnen konnte, das alles war ihr ja unbekannt. Jahre kamen und vergingen, Bilder und Empfindungen zogen dahin, was blieb war Sehnsucht.

 

Die große Veränderung kam mit lautem Hämmern, mit dröhnendem Rollen, mit gellenden Frauenstimmen und gleißendem Licht. Hätte sie gekonnt, hätte die Rüstung die Augen zugekniffen und sich die Ohren zugehalten. So aber kehrte sie fluchtartig ins Nichtsein zurück, was dadurch vereinfacht wurde, daß die Seele sich ängstlich in den linken Fuß verkrochen hatte. Als nächstes bemerkte die Rüstung, das sie irgendwo aufgestellt worden war und die Seele sich in ihr noch breiter gemacht hatte, als zuvor.

 

Fragen nach dem Sein und dem Warum tauchten auf. Doch wer fragte? Die Seele? Die Rüstung? Der Mann mit dem Lächeln? Die Frau mit den großen Augen? Das Lächeln des Mannes verschwand mit der Zeit, auch sein Gesicht zeigte sich nur noch lückenhaft und dann nicht mehr. Das sanfte Gesicht der Frau vergrößerte sich, bis nur noch die blauen Augen zu sehen waren, die die Rüstung und die Seele vollkommen auszufüllen schienen. Über die Jahre aber änderte sich der Blick, wie Tränen stiegen Schneeflocken in die Augen, trübten die Pupillen und fielen dann sanft ins Nichts.

„Nein!“

Woher kam der Schrei? Wer hatte ihn ausgestoßen?

 

Jetzt war es kalt. Das Nichts war weiß. In der Rüstung zog es sich zusammen. Das Ziehen war nunmehr als Sehnsucht bekannt. Von irgendwo tauchte ein Name auf: Isolde.

 

Isolde war anwesend, war jung, war schön, flatterte mehrere Jahre ein und aus. Ihre schlanke Gestalt, ihre blasse Haut mit den überraschenden Kirschlippen verbanden sich mit der Sehnsucht.

 

Doch dann tauchte auch der Mann wieder auf, kam schwer, hatte sein Lächeln verloren, stieß schmerzhaft an die Grenzen des Erträglichen. Auch bei seinem Anblick zog die Sehnsucht heftig. Dann war da wieder die Frage:

„Warum?“

Da verwandelten sich die Gefühle, wurden belastend, bohrten in das bißchen Bewußtsein. Als das Gefühl der Schwere und des Schmerzes bis zur Unerträglichkeit gewachsen war, zerriß etwas, stieß die Seele in eine andere Dimension.

 

Wolfram sah sich hoch zu Roß. Er trug seine prächtige schwarze Rüstung und hätte würdevoll ausgesehen, hätte er nicht ungeduldig die Fersen immer wieder in die Flanken des Pferdes gerammt und es angefeuert, schneller zu galoppieren. Es war sehr kalt und Wolfram sah den heißen Atem von den Nüstern seines Pferdes aufsteigen. Der Weg war verschneit und die Zweige, die sich nach dem Reiter ausstreckten waren vereist, sie trafen ihn hart, doch das kümmerte Wolfram nicht.

 

Endlich hatte er in der Ferne die Burg entdeckt, in der die Frau lebte, die er zu ehelichen gedachte. Sie waren sich schon in der Kindheit versprochen worden, aber während der letzten Jahre hatte sich ein ehrliches, heißes Begehren nach ihr in Wolfram entwickelt. Er war fast ein Jahr fort gewesen, hatte Abenteuer erlebt, Schlachten geschlagen. Nun gab er dem Heimweh nach, wollte sich eine Weile ausruhen, seine Siege feiern. Er stellte sich die liebliche Isolde bewundernd zu seinen Füßen sitzend vor. Sicher würde sie einwilligen, die Hochzeit gleich vorzubereiten.

 

Welch glücklicher Zufall! Nach einer Weggabelung sah Wolfram von weitem einen Reiter aus Richtung der Burg auf ihn zu kommen. Es gab keine Frage, kein anderer hatte solch eine edle Haltung auf dem Rücken eines Pferdes. Immer und überall hätte Wolfram seinen liebsten Freund Sigurd erkannt! Übermütig winkte Wolfram ihm entgegen, erst dann bemerkte er die Kutsche vor ihm, am Wegrand. Lächelnd sah er zu den Frauen hinüber, die sich in unförmigen, dunklen Umhängen im Schnee tummelten. Tatsächlich, sein Herz wollte vor Freude den Brustkorb sprengen, da war auch seine Isolde! Nur an ihrem blonden Zopf hatte er sie erkannt, denn auch sie war von einem weiten, dunklen Umhang verhüllt.

 

 

Mit einem Jauchzen rammte Wolfram nochmals die Fersen in die Flanken des Pferdes. Als er sich den Frauen näherte, rief er ihnen laute, scherzhafte Grüße entgegen. Damit aber veränderte sich die Szene. Was war das für eine Begrüßung? Entsetzt schrien die Frauen auf und Isolde sank in den Schnee! Hatte sie auf Wolfram zueilen wollen und war ausgeglitten? Der Ritter brachte das Pferd zu Halt, sprang ab und war in zwei Sätzen bei Isolde. Er wollte sich über sie beugen, doch ließ ihn der Anblick, der sich ihm bot, einhalten.

 

Der dunkle Umhang war auseinander gefallen und die Wölbung Isoldes Leibes zeichnete sich deutlich ab. Auf dem weißen Schnee waren rote Blutstropfen, auch das Kleid färbte sich zwischen den Beinen dunkel.

 

Es war still im Wald, niemand wagte es, ein Wort auszustoßen. Der Schnee vermochte den Klang des Hufschlages des herangalloppierenden  Pferdes zu dämpfen, doch Wolfram war schlagartig von den Zusammenhängen überzeugt und schwang sich wieder auf den Rücken des Pferdes, um dem anderen zu begegnen.

 

Ein eisiger Wind erhob sich in diesem Moment und riß den Männern die Rufe von den Lippen, so daß es zu keiner mündlichen Anklage oder Verteidigung kommen konnte. Im wilden Treiben des Schnees glaubte Wolfram eine blitzende Klinge zu sehen, er hob den linken Arm um das Visier zu schließen, während er mit der rechten Hand auch schon nach seinem Schwert griff. Da strauchelte das Pferd und ein glühender Schmerz beendete jäh alles Aufbegehren.

 

Ein schepperndes Geräusch, ein Schütteln und Stampfen brachten der gequälten Seele den Schmerz zurück.

„Wie konnte das nur sein? Was ist geschehen? Isolde? Sigurd? Sprecht mit mir!"

Langsam, knarrend, mühevoll sagte eine Stimme:

„Mach das nicht noch mal!“

„Sigurd? Wovon sprichst du?"

„Ich bin nicht Sigurd. Ich bin deine alte Rüstung und ich bitte dich: Mach das nicht noch mal!“

„Wie kommt Er denn dazu so mit mir zu reden? Was fällt Euch ein?“

„Ich muß reden. Ich muß der Sache ein für alle mal Einhalt gebieten. - Immer wenn es besonders unwirtlich und eisig kalt ist, piesackst du mich dich in den Wald zu bringen, wo du ja doch nichts mehr findest, nicht einmal die Burg. Sie sind doch alle fort und du kannst nichts mehr ungeschehen machen! Es ist zwecklos, immer wieder diesen Spuk abzurufen, mir die Qualen dieser Pirsch aufzubürden! Halt ein! Ich zerfalle mehr und mehr wegen deiner wilden Exkursionen und kann nicht mehr Schutz bieten oder auch nur dein Träger sein!“

„Fort? Alle fort? Wohin sind sie denn gegangen? Ich muß sie finden, sie sollen mir Antwort stehen! Ich muß verstehen, was geschehen ist! Wie konnte Sigurd mir Leid zufügen? Isolde war mein, nur mein! Vielleicht war es ein böser Zauber gewesen, der mich diese unerhörten Grausamkeiten sehen ließ. Eine Erklärung muß her! Unbedingt! Sofort! Kehre auf der Stelle zurück und laß uns suchen.“

„Niemals, nie wieder! Wenn du suchen mußt, finde eine andere Art der Fortbewegung als mich! Ich sagte es schon, es ist sinnlos, alle sind fort.“

„Aber wohin denn? Sagt mir doch wenigstens wohin!“

„Sie werden ihre ewige Ruhe gefunden haben, im Gegensatz zu dir. Wenn du nur endlich Frieden zulassen würdest! Kannst du dir kein anderes Gehäuse suchen?“

„Unverschämtheit! Man stelle sich vor, so redet eine Rüstung mit ihrem Ritter! Vielleicht bin ich krank. Das sind doch wohl alles Hirngespinste? Möglicherweise sollte ich tatsächlich ein wenig ausruhen. Das geht doch irgendwie alles nicht mit rechten Dingen zu!"

„Das ist mal ein Wort“, knarrte die Rüstung, als sie sich mit letzter Kraft mühselig in ihre Ecke schleppte.

„Gib Ruhe. Schlafe tief und fest. Schlaf nur recht lange und sei friedlich. Vielleicht kommt dann Heilung auch zu dir.“

 

Es waren feste, sichere Schritte, die am Ende noch einmal das Gehör der Rüstung erreichten. Das helle Lachen schien ein Echo zu haben, kam von überall her.

„Was ist das denn für ein witziges Ungetüm?“

„Ein Relikt aus uralter Zeit. Wohl eher nicht so komisch. Es wurde benutzt als Männer noch mit ihren Kriegen die Erde verwüsteten, Frauen als ihr Eigentum betrachteten und mit ihren Schwänzen Kinder zeugten.“

„Pfui! Erzählen Sie mir nun bitte nicht, das Sie mit diesen Schauergeschichten den Stolz unserer Schwestern beleidigt haben!“

„Nein! Das Ding stand immer nur dort in der einzigen dunklen Ecke des Hauses. Ich schwöre Ihnen, ich habe es niemals gezeigt oder über es gesprochen!“

„Aber warum haben Sie es denn überhaupt aufbewahrt?

„Ich kann es selbst nicht begründen. Da war so ein Gefühl, als wäre noch ein Hauch von Leben in dieser Rüstung, als gäbe es einen Grund, für sie, da zu sein.“

„Blödsinn! Weg mit dem alten Trödel. Es soll vernichtet werden, und zwar sofort!"

„Endlich!“ dachte die Rüstung.

Krachend lehnte sie sich noch etwas weiter gegen die Wand.

 

Die Frauen beachteten sie nicht mehr. Ihre Schuhe klapperten laut und geschäftig auf dem Steinboden, als sie sich entfernten. Noch einmal hörte die Rüstung lautes Gelächter, dann war es still.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 






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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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