Aus seiner Herkunft sollte man keinen Hehl machen. Nicht zuletzt, weil sie
oft der erste Anlaufspunkt im Gespräch zweier sich fremder Menschen ist.
Manchmal reicht es dem interessierten Gesprächsgegenüber allerdings nicht,
zu wissen, man hätte diese oder jene Nationalität. Nein, da muss man schon
genauer lokalisieren.
In meinem Fall und hier in Chile ringe ich mich dann zu einer Antwort wie
"ich bin deutsch, mehr aus dem Süden, genauer gesagt Franken, das liegt in
Bayern" durch. Bayern - ja, das kennt man. Und schon setzt sich eine
Assoziationskette im Kopf des anderen in Gang, die entweder beim denkbaren
Assoziationsglied Villa Baviera - formerly known as Colonia Dignidad - und
Pädophil-Nazi Paul "T"schäfer anknüpft. Oder aber bei München, Bier und
Oktoberfest landet. Das Oktoberfest, eines der grössten und widerlichsten
Saufgelage weltweit, das tatsächlich nur im Rausch zu ertragen ist, das
kennt man, klar, selbst hier am Ende der Welt. Obwohl ich bei aller
Ortskenntnis, die ich besitze, das Oktoberfest gar nicht meinem originären
”Kultur”kreis zuordnen würde.
Das ist mir doch völlig egal, ob sich die Bayern einmal jährlich, drei
Wochen lang und täglich unter den Tisch bzw. in das tiefe Dirndl-Dekollté
der feschen Susi oder Steffi aus Straubing oder Starnberg saufen müssen. Die
Franken als solche haben zwar nicht mehr Kultur und fahren selbst in Scharen
im Herbst nach München um oben genanntes zu tun. Aber ihrem
Selbstverständnis nach legen die Franken wert darauf, dass Franken die
notorisch vernachlässigte Adnexe Bayerns ist, wo sich ein Stoiber nicht mit
der Arbeitslosenquote von Hof oder Wunsiedel brüsten könnte und das
"mir-san-mir" nördlich des Weisswurstäquators schon deshalb komisch klingt,
weil "mir-gar-nicht-so-mir-san". Aber vom verletzten fränkischen
Lebensgefühl kann der durchschnittliche Chilene freilich nichts ahnen.
Ehrlicherweise sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es mir persönlich
an fränkischem Lokalpatriotismus ermangelt. Ich ertrage die Erdung mit dem
fränkischen Mutterland nur wenige Tage im Jahr. Ein fränkischer Overload
führt bei mir günstigsten Falls zu schlechter Laune, anderen Falls zu
Aggressionen gegen unschuldige Dampfplauderer oder sich entspannende
Café-Besucher. Ich möchte heulen, wenn ich Sonntag abend im Grossraumabteil
des ICEs von Bamberg nach Augsburg das Geschwätz wehrpflichtiger,
20-jähriger Franken ertragen muss. In meiner Seele wird es finster, wenn mir
ein Franke auf fränkisch erklärt, dass das sächsische ein grässlicher
Dialekt sei.
Fahre ich dann raus aus Franken und befinde ich mich an meinem Studienort in
Schwaben, bei meiner Schwester im Rhein-Main-Gebiet oder irgendwo auf der
Welt, dann braucht es allerdings nur wenige Tage und ich bin wieder
versöhnt. Denn sooo schlecht ist es doch wieder nicht. Und nach ein paar
Monaten in der Ferne, ertappe ich mich bei dem Gedanken, gerne mal wieder
durch Franken fahren zu wollen um Stippvisite in der Heimat zu machen. In
der Kürze liegt wohl die Würze, wie so oft.
Freilich sieht man sich als Franke auf extra-fränkischem Terrain auch
gelegentlicher Diskrimination ausgesetzt. Mal mehr, mal weniger
schwerwiegend, je nachdem, wie wichtig man sich und seine fränkische
Identität nimmt. So hat mir bereits in der ersten Semesterwoche an meinem
Studienort in Schwaben meine zukünftige Studienkollegin Jutta frei von der
Leber weg erklärt, dass das fränkische nun ein ganz besonders scheusslicher
Dialekt sei. Muss man sich das von einer Schwäbin sagen lassen? Lachhaft und
tragik-komisch obendrein, wenn man bedenkt, dass Jutta und ich niemals
Freundinnen wurden. Manchmal hat vielleicht auch ein rauer oder direkter
Umgangston oder der den Franken durchaus eigene Mangel diplomatischer
Ausdrucksweise zu Missverständnissen im Freundeskreis geführt. Ganz
abgesehen davon, dass ich zuweilen nur nach Tagesform in der Lage bin, die
harten Konsonanten t, p, k so auszusprechen wie es formal-phonetisch
ziemlich oder meiner Freundin aus Lüneburg noch bei 1,5 Promille und um 5
Uhr morgens möglich ist. Meine fränkische Dialektfärbung - wie ich es gerne
elegant ausdrücke - begleitet mich überall hin. Wenn ich französisch
spreche, dann mit fränkischem und nicht mit deutschem Akzent, im spanischen
ist mir wenigstens das rollenden "r" und die harte Modulation beim Sprechen
eine mentale Stütze.
Ich kann das fränkische nunmal nicht leugnen, man merkt es mir an wie einen
Kaffeefleck auf der weissen Sonntagsbluse. Zwar werde ich nie behaupten, dass
Franken der objektiv und empirisch festgelegte schönste Fleck auf Erden sei.
Wie Oma, die ja der Ansicht ist, dass schon die Menschen im 7km entfernten
Nachbarort irgendwie anders wären. Und ich werde auch nicht nach Indizien
suchen, die darauf hindeuten könnten, dass die Franken nun ganz anders wären
als der grosse deutsche Rest ortsgebundener Lokalpatrioten.
Aber wenn ich nächstens mit Oma telefoniere, dann ist mir die deutsche
Grammatik mal wieder genauso egal wie die ts, die ps, die ks und die rs.
Denn eins ist wohl klar: Dialekte und Sprachen sollen Menschen verbinden.
Und wenn ich irgendwann noch bayerisch, sächsisch, schwäbisch, köllsch oder
platt sprechen würde, dann hätte ich von einem föderalen Land nicht das
schlechteste gelernt.
Den Chilenen hier ist es freilich völlig egal, ob mein spanisch von einem
deutschen oder fränkischen Akzent durchsetzt ist. Die finden es toll, dass
irgendjemand ihre Sprache lernt um mit ihnen zu kommunizieren. Und so ein
Akzent hat ja auch seinen eigenen phonetischen Reiz. Wie Dialekte übrigens
auch.