Anna Grundmann
Schweigen
Dort sitzt jemand.
Ich sehe sie.
Sie ist alleine.
Sie sieht aus, als trüge sie die Welt auf den Schultern.
Sie sitzt eng in die Ecke gedrängt, den Kopf gesenkt.
Ihr dünnen Arme liegen auf dem Tisch, sie bewegt sich nicht.
Es scheint, als wäre sie unerreichbar.
Ich habe das Bedürfnis sie zu retten, meine Hände nach ihr auszustrecken.
Ich möchte etwas sagen, ihr einen Gruß zuwerfen.
Möchte dass sie den Vorhang um sich aufzieht.
Ich fürchte, sie erstickt darunter.
Sie blickt auf.
In ihren Augen, so scheint mir, liegt die Trauer und der Hass der ganzen Erde.
Sie sind so dunkel und zugleich so klar.
Ich versinke darin, versinke in diesen dunklen Teichen.
Ich sehe verhungerte Frauen
und ihre Vorbilder
Ich sehe einsame Kinder
halb erfroren inmitten von Dreck.
Ich sehe Blut und Menschen sterben
sehe sie gezeichnet von Leid
höre schreie und gequälte Rufe
spüre die stille und die Sprachlosigkeit.
Ich sehe Eltern an einem Grab stehen
kann ihre Trauer greifen.
Höre Tiere und schüsse
kalter Wind weht durch mein Haar
das meer rauscht
jemand schreit
Blut spritzt
Ich laufe, ich renne, ich... kriege keine Luft
überall Tränen
mir ist so kalt
Dunkle Gassen
böse Worte
leere, stille
Ich tauch auf.
Sie sieht mich noch immer an.
Ihr Blick ist fest und ernst.
Sie weiß alles, denke ich und mache ihren Vorhang wieder zu.
"Hey", sagt sie
"Hey", sage auch ich
Und wir sitzen schweigend am Tisch.
Ich schäme mich ein wenig
Sie sieht so müde aus, so traurig.
Ich hätte etwas sagen können
doch im Grunde wollte ich nichts wissen, von dem was sie sagen würde.
Sie weiß das
und schweigt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2006.
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