Sandra Egging

Schatten

Langsam wandert Brittas Blick über die Straße. In fast allen Häusern brennt Licht. Kinder spielen und tollen auf der Straße und in den Häusern herum. Ein Kind fällt mit dem Fahrrad auf der Straße hin. Bei seinem Geschrei kommt dieMutter direkt angelaufen. Alles ist so lebendig. Nicht nur bloße Schatten. Noch sind die Kinder unbekümmert. Ahnungslos über die Erwartungen, die einst an sie gestellt werden.
Irgendwo riecht es nach Pizza.
Dicke Regentropfen prasseln jetzt gegen die Scheibe. Blick auf die Uhr. Erst halb fünf. Noch so früh. Britta schließt das Fenster. Das Lachen verstummt. Stille. Kein Geräusch mehr. Auch ihre Schwester, die nebenan schläft, ist nicht zu hören. Auch kein Geruch mehr. Fast kein Gefühl mehr.
Britta schaltet den Fernseher an. Ein Mädchen ist abgehauen. Einfach mit ihren 14 Jahren von zu Hause weggelaufen. Die Eltern und die Freunde sind enttäuscht. Das hätte niemand von ihr erwartet. Anderer Kanal. Drogentod einer 17-jährigen. Wieder große Enttäuschung.
Britta schaltet den Fernseher wieder aus und räumt ihr Briefpapier beiseite. Sie legt es unten links in die Schublade. Wie jeden Tag. Den unbenutzen Stift ordentlich daneben. Zweimaliges Umdrehen des Schlüssels. Wieder wandert der Blick aus dem Fenster. Ohne den Ton wirkt alles so leer. So weit weg.
Das laute Knarren der alten Eichenholztür unterbricht die Stille. Beängstigend. Hastig springt Britta auf. Viertel vor fünf. Eigentlich zu früh. Sie zieht sich schnell um, schließt ihre Zimmertür und läuft nach unten.
„Ich bin weg, muss zum Ballet. Emelie schläft noch. Die Spülmaschine hab ich ausgeräumt und meine Mathearbeit liegt auf dem Küchentisch. Bis später, Mama!“ Schnell läuft Britta hinaus in den Regen. Sie schließt die Haustür so leise wie möglich und atmet dann endlich wieder ein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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