Rolf Ulrich

Gewöhnliches im Cafe

Dies ist keine spannende Geschichte!

Ich verbrachte einen Spätnachmittag in einem der Cafes einer Bistrokette, das fünf Gehminuten von meiner Wohnung entfernt liegt. Es ist eingerichtet mit einer Glastheke und Selbstbedienung und einigen Tischen und Stühlen in rot. Ich setzte mich. Am Nebentisch sprach jemand über die fetten Jahre, als ich mir ein Hörnchen in den Mund schob. Die fetten Jahre seien vorbei und jung möchte er weiß Gott nicht mehr sein. Die Jugend täte einem leid. Derartiges zu hören ist natürlich nicht neu. Es gibt Filme über diese Thema, massenhaft Bücher und fast täglich auch in der Zeitung einen Artikel, der uns Gänsehaut bekommen lässt, weil nun unser Leben schwieriger zu werden verspricht. Eine elegante Frau setzte sich wenige Minuten später spontan zu mir an den Tisch und dies gerade in dem Augenblick, als ein anderer Nachbar zu meiner Linken seinen dunkelhaarigen Kopf langsam nach vorne auf seine Brust fallen lies. Ich hörte ihn nun auch leise schnarchen. Er schien erst vor einigen Minuten eingeschlafen zu sein; auf seinem Cafetisch dampfte noch seine Tasse. Die Frau, die sich zu mir gesetzt hatte, sagte zu mir, dass jeder seine Geschichte habe. Die Dame war um die sechzig Jahre alt und nicht schlecht gekleidet. Mich störe es nicht, erwiderte ich. Sie störe es auch nicht, antwortete sie und holte aus, mir aus ihrem Leben zu erzählen. Sie sei sehr konservativ, begann sie, und ihr Vater, 1896 geboren, zwar ein Bayer doch innerlich ein Preuße, sei kaisertreu gewesen bis zum Tod. Auch streng war er, aber liebenswert. Sie hatte ihn zweifelsohne immer geliebt, erinnerte sie sich. Wir rauchten noch eine Weile und plauderten, bevor sie mit einem kurzen Gruß Lebewohl wünschte und sich an einem nahe stehenden Tisch voller Leute niederließ. Dort war sie offenbar bekannt und die Lautstärke der Unterhaltung machte es mir einfach, weiter zu zuhören. Sie sei froh um ihren Hund, erklärte sie ihren Freunden, denn sie zähle zu den Menschen, die zu Depression neigten. Früher sei sie als Pressesprecherin für Siemens tätig gewesen. Ich trank weiter Kaffee. Es war ein Milchkaffee ohne Milch. Nicht, dass er schwach gewesen wäre. Er dampfte heiß und schwarz vor sich hin, während mein erschöpfter Nachbar weiter schlief. Ich liebe solche gewöhnlichen Tage.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.02.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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