„Da ist `was Rotes.“ bemerkte die eine Besucherin des
Gartens.
„Manche können nicht einmal ihr Bonbonpapier bis zum
Mülleimer tragen.“ schnaubte die zweite.
„Sie hat hier keinen guten Standplatz!“ erklärte die
Botanikerin.
„Man müßte sie eben umpflanzen.“ überlegte die Gärtnerin.
„Wenn man sie züchten könnte ...“
„... ließe sie sich unter Umständen ganz gut verkaufen.“ fuhr die
Händlerin fort.
„Die ist doch so fehlerhaft, daß sie auf dem Markt gar keine
Chance hätte.“ wehrte die Marketingexpertin ab.
„Nicht alle sind so. Dieser hier allerdings fehlen Blätter
an einer Seite des Stengels.“ präzisierte die Lehrerin.
„Außerdem steht sie gebückt.“ diagnostizierte die Ärztin.
„Die Ärmste.“ flüsterte die Traurige mitfühlend.
„Ein wirklich unordentlicher Garten!“ beschwerte sich die
Kritische. „Man sollte so etwas schlicht ausreißen. Es stört den
Gesamteindruck. Was sich hier alles Platz machen darf ... .“
„Einfach häßlich.“ pflichtete die Ästhetin bei.
„Sie hat ein Recht darauf behütet und gestützt zu werden.“ bestimmte
die Minderheitenbeauftragte energisch.
„Das ist doch eine ganz natürlich vorkommende Art!“ ereiferte
sich die nachhaltig Ökologische.
„Sie ist wunderschön!“ hauchte die Enthusiastin ergriffen.
„Die ist doch nichts Besonderes, davon gibt’s bei uns auf’m
Hof Hunderte.“ meinte die Landwirtin wegwerfend.
„Dieses winzige, rote Pflanzenspitzchen, freundlich
leuchtend im Verborgenen ruhend, ist ein lebendiger Beweis für die gütige, alles
überstrahlende Allmacht Gottes.“ sprach die Priesterin bewegt-salbungsvoll,
gymnastizierte das Weihezeichen darüber und biß zufrieden in ihre Leberkässemmel.
Die Verliebte kicherte respektlos. „Sie ist das Sinnbild der
Leidenschaft.“ raunte ihr die ins Ohr, die in dichter Berührung neben ihr ging.
Die Hassende sagte nichts, ging vom Weg ab in das niedrige
Gestrüpp und trat sie um. Doch sie richtete sich wieder auf, inspirierte eine
Musikerin zu einer Melodie, eine Malerin zu einem Bild.
„Laßt mich ihre Schönheit in Stein verewigen!“ rief die
Bildhauerin begeistert aus.
Die Suchende wartete, bis das lärmende Geschäft vorüber war,
und sprach dann zu sich: „In ihr birgt sich ein Geheimnis. Ich will es
ergründen.“ und setzte sich in Andacht davor, um zu meditieren.
Eine Frau kam des Weges, wunderte sich über die am Boden
Sitzende, trat näher. Neugierig. Vorsichtig, um nicht zu stören. Belustigt
darüber, was den unbewegten Blick auf sich ziehen mochte.
„Ah,“ sagte sie, ohne die Lippen zu bewegen. „Du bist
Blume.“
Da öffnete sich die Blütenknospe und lächelte in gleicher
Weise: „Du bist Frau.“
Die Suchende stand nach tiefem Ein- und Ausatmen auf und
sagte zu der Frau: „Sie hat sich mir geöffnet, weil ich Geduld hatte.“ Damit
ging sie, um sich ein neues Objekt für ihre Meditation zu suchen.
Die Blume aber lebte fortan das Leben von den Worten der
Frau. Die Frau lebte es von den Worten der Blume.