Michael Anger

Jenseits des Spiegels

Jenseits des Spiegels


Ein Wort, ein Buch, ein Autor sind nichts als einzelne Wassertropfen.
Alle zusammen ergeben den Strom, der alles hinwegreisst
und den keine Kraft zurückfliessen lassen kann.

Adalbert de Chamisso,
deutsch-französischer Dichter und Naturforscher (1781 bis 1838)


Prolog


Die Schreibblockade

Eine lange Zeit, sie kam mir damals wie eine halbe Ewigkeit vor, war das Schreiben mein Leben. Der einzigste Weg in eine andere Welt einzutauchen und somit meine Probleme zu verarbeiten oder mich Ihnen zu entziehen. Es war egal was für Probleme und Sorgen ich hatte. Das Schreiben hatte mir immer geholfen. Sogar nach der plötzlichen Trennung von meiner damaligen freundin.
Doch jetzt saß Ich da, mit einem Bleistift bewaffnet und vor mir liegend ein leeres Blatt Papier. Es war mehr als nur eine Schreibblockade. Plötzlich hatte Ich das Gefühl nicht nur das Blatt sei leer sondern auch mein Körper. Meine Gedanken, meine Emotionen,... Ich fühlte mich wie ausgelaugt. Statt auch nur einen Satz zu stande zu bringen blickte Ich ununterbrochen auf die Uhr an meiner Wand. Tick... Tack... Tick... die Zeit verflog. Dieser Augenblick der „Schreibblockade“ schien länger anzudauern als die Zeit in der das Schreiben mein Leben zu sein schien. Was mir damals noch wie eine Ewigkeit vorkam, kam mir nun nur noch vor wie einige, wenige Sekunden. Vielleicht eine,... oder zwei... Tick... Tack...


Das Schreiben,
und wenn man auch nicht ans Druckenlassen denkt,
ist ein wahrhaft diätetisches Stärkungsmittel, dass in unserer überbildeten Zeit
sich ohnehin fast jeder bedienen kann. Man befreit sich von einem quälenden Gedanken,
von einer drückenden Empfindung am besten, indem man ihn klar niederschreibt,
indem man sie rein darstellt. Der Krampf der Seele löst sich,
und der Wiederkehr ist vorgebaut.

Ernst Freiherr von Feuchtersleben,
österreichischer Popularphilosoph, Arzt, Lyriker und Essayist (1806 – 1849)


Ich wachte auf. Ich war wohl am Schreibtisch eingeschlafen. Noch immer... Tick... Tack... ein erster Blick auf die Uhr. Es war Nacht. Vier Uhr. Tick... Tack... Sonst war alles Still. Die typischen, tag täglichen Geräusche auf den Straßen, sie schienen wie erloschen. Nichts als das Ticken meiner Uhr. Ich wusste nicht ob ich diese Stille als unberuhigend oder doch als eher befriedigend empfinden sollte.

Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich. Ich wusste ich würde nicht wieder einschlafen können, daher entschied ich mich dafür ins Badezimmer zu gehen und mir den Schlaf aus den Augen zu waschen. Ich beugte mich über das Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf, griff mit beiden Händen, zu einer Schale geformt, in den herausfließenden Strom von Wasser und wusch mir das Gesicht. Ich fragte mich was mit mir los war, oder ob überhaupt etwas los war. War nicht alles wie immer? Das Wasser lief weiter. Endlich wagte ich einen Blick auf den Spiegel. Bin das wirklich Ich? Ich schaute mich um... und dachte an das leere Blatt Papier. Bin das wirklich Ich? Und war das wirklich mein Leben? Erneut befeuchtete ich mein Gesicht, mit einem großen Schwall von Wasser und wagte anschließend einen weiteren Blick in den Spiegel. Dieser Blick dauerte einige Zeit an, bis ich schließlich zu einer Erkenntnis gelang, die den weiteren Verlauf meines Lebens drastisch ändern würde... Das bin nicht Ich!


Wer bin Ich?

Was war es was sich in letzter Zeit so verändert hatte? Ich versuchte mich an die letzten Tage zurückzuerinnern, wo noch alles in Ordnung zu sein schien. Was tat ich dass ich nun an meinem Leben zweifelte? Wie auch jetzt in diesem Augenblick, machte ich mich, fast täglich, auf dem Weg zur Arbeit. Wie gewöhnlich tat ich das mit dem Bus... Alles Rutine. Diese Zeit erschien mir plötzlich wie ein Film vor Augen...

Schönen guten Tag... Wie kann Ich Ihnen helfen... Das macht dann... Darf Ich Ihnen eine Tasche anbieten... Schönen Tag noch...“

Alles Rutine... Doch irgendwas war anders.Ich schaute aus dem Fenster. Ich sah wie das ganze Leben an mir vorbeizuziehen schien. Das ganze Leben was stets Rutine für mich war zog just in diesem Moment schlagartig an mir vorbei. Doch es kümmerte mich nicht. Warum noch aktiv am Leben teil haben wenn man nicht weiß wo man im Leben seinen Platz hat?! Dieses ganze Leben schien mir plötzich so fremd... Der Bus hielt an einer Haltestelle. Genug Zeit um sich die Leute genauer anzusehen. Viele Jugendliche kleideten- und benahmen sich wie Ihre Idole, die Sie aus dem Fernsehen her kannten. Bauen sich Ihr Leben nach Ihnen auf, statt auf Ihrer eigenen Identität. Sie versuchen das Leben eines anderen zu leben. Wie erbärmlich... Der Bus fuhr weiter und dieser Gedanke zog an mir vorbei, wie das Leben, außerhalb der Febsterscheibe des Busses, wieder an mir vorbeizuziehen schien. Was redete Ich da? Ich tat so als wäre Ich etwas Besseres als die Anderen, nur weil sie keine eigene Identität hatten. Nur weil sie nicht wussten wer sie wirklich waren. Wusste Ich denn wer Ich war? Ich war keinen Dolch besser als die. Die Wahrheit war sogar, dass ich viel ärmer dran war... Sie hatten die Leben Ihrer Idole auf denen Sie Ihr eigenes aufbauen konnten. Ich hatte nichts... Ich wusste nicht wo mein Platz im Leben war.

Beinahe versäumte Ich es ,an meinem Ziel angekommen, aus dem Bus zu steigen. So vertieft war ich in meine Gedanken.

Schönen guten Tag... Wie kann Ich Ihnen helfen... Das macht dann... Darf Ich Ihnen eine Tasche anbieten... Schönen Tag noch...“

Alles Rutine... Ich fuhr nachhause. Kaum hatte Ich meine Kleider abgelegt, fiel mein erster Blick wieder auf den Spiegel. Der heutige Tag lief ab wie jeder Andere... doch irgendwas war anders.
Wenn Ich so darüber nachdachte kam es mir beinahe so vor als hätte Ich an diesem Tag den Tag eines Anderen gelebt. Ich ließ diesen Tag noch einmal Revue passieren.
Ich sah Ihn aus der Sicht einer dritten Person. Ich sah das Leben dass Ich heute gelebt habe, doch wieder diese Erkenntnis. Das war nicht mein Leben.

Ich brach zusammen... Fiel auf die Knie. Nur meine Handflächen konnten den Sturz einigermaßen dämpfen. Ich brach in Tränen aus... Ich hatte Angst. Angst nicht zu wissen wer Ich bin und davor dies nie wieder zu erfahren. Früher, in meiner Kindheit, hatte Ich Angst vor dem Tod... Sie war damals vermutlich auf den Tod meines Großvaters zurückzuführen.
Heute ist diese Angst wie verflogen. Wahrscheinlich weil Ich zu dem Entschluss gekommen war das mir dies nicht so schnell passieren könne, denn immerhin war mein Großvater, durch den täglichen überreichlichen Konsums hochprozentigen Alkohols, doch selber Schuld an seinem Tod.


Nicht in der Erkenntnis liegt das Glück,
sondern im Erwerben der Erkenntnis.

Edgar Allan Poe,
amerikanischer Schriftsteller (1809 – 1849)


Zwischen zwei Welten

Langsam kehrte Ich in die realität zurück. Tick... Tack... Es war schon komisch an was man sich aus seiner Kindheit noch erinnern konnte...

Ich lebte mit meinen Eltern in einer, bescheidenen und recht rustikalen, Drei-Zimmer Wohnung in einem der berüchtigsten Vierteln unserer Stadt. Vergilbte Tapeten, die sich langsam von den Wänden lösten, waren nur eines der wenigen Problemzonen dieser Wohnung. Etwas besseres konnten wir uns damals nicht leisten. Und trotz Allerdem waren wir glücklich. Heutzutage kann ich mir das schon gar nicht mehr vorstellen. Vermutlich ist das dadurch zu erklären das unsere, oder zumindest meine, Ansprüche damals noch nicht so hoch gestuft waren wie heute.

Die Kacheln meines Badezimmerbodens waren blutverschmiert und ich wachte mit leichten Kopfschmerzen auf. Anscheind war Ich eingeschlafen und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Ein Schmerz der noch einige Tage andauern sollte. Ich stand mühseelig auf und bewegte mich in Richtung Wohnzimmer. Tick... Tack... Die Uhr funktionierte noch. Es war Drei Uhr in der Früh.
War mir das Ticken der Uhr damals eigentlich auch so intensiv vorgekommen? Eine völlig überflüssige Frage, da ich mich sowieso nicht daran erinnern konnte, doch irgendwie schien die Uhr auf irgendeine Art und Weise eine größere Rolle in meinem “neuen“ Leben zu spielen, das ich erst vor kurzem entdeckte. Eine lange Zeit starrte Ich einfach nur auf die Uhr... Tick... Tack... Sie beunruhigte mich. Ein kalter Schauher überrante mich nach jedem einzelnen Sekundenschlag. TICK... TACK...
Ich griff nach der Uhr und schleuderte sie mit einem weitausgeholten Wurf einmal quer durch das Zimmer. Plötzlich schien alles ruhig.

Ich brauchte Ruhe das war es... Ich musste mich irgendwie ablenken, daher beschloss Ich trotz der Uhrzeit einen Spaziergang zu unternehmen. Egal wohin.Ich würde mich einfach von einer höheren Macht leiten lassen, sofern es denn so etwas wie eine höhere Macht gab. Was Ich jedoch bezweifelte. Ich ging aus dem Haus und die Straße entlang. Immer geradeaus. Es fiel mir schwer mich zu beruhigen, da Ich den Versuch nicht lassen konnte eine Antwort auf all das Mir, in letzter Zeit, wiederfahrene zu finden.


Doch Ich fand sie nicht. Ich schaute mich um und merkte dass Ich schon ganzschön weit gegangen war und überlegte ob es nicht ratsamer wäre wieder umzukehren, da meine Gedanken sowieso zu aufgewühlt waren als dass Ich mich ohne weiteres beruhigen könnte. Doch irgendwie war es als würde mich tatsächliche eine übermenschliche Kraft immer weiter an ein Mir noch unbekanntes Ziel führen. Ich überquerte die Stadtgrenze und blieb plötzlich mitten auf der Autobahn stehen.

Das Leben wäre soviel einfacher wenn jetzt ein Auto angerast käme... Nur zwei Möglichkeiten.
Es trifft-, oder verfehlt mich! Nichts weiter.“

schoss es mir durch den Kopf, was mir eine große Furcht einflößte. Doch Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Mein jetziger Standort war gefährlich. Nicht nur weil er mitten auf einer Autobahn war, sondern auch weil er zwei Welten voneinander trennte. Eine neue, mir noch unbekannte und die alte, mir bekannte, welche sich jedoch als immer fremder erwies. Wo war also mein Platz? Welcher Weg ist der richtige? Ich schaute den Weg zurück den Ich gekommen war. Ich wusste es war keine tolle Stadt. Wieso hatte Ich es aber dann so lange dort ausgehalten? Warum habe Ich nicht schon viel früher darüber nachgedacht ob es nicht vielleicht besser wäre die Stadt zu verlassen? Ich versuchte mich zurück zu erinnern. Was war es was mich in der Stadt gehalten hatte? War es wirklich eine übermenschliche Macht welche meinen Weg bestimmte? Die Häuser schienen mir alle ziemlich rustikal. In einem ebenso rustikalen Haus wohnte Ich damals mit meinen Eltern. Kein einziger Gedanke von Flucht. Weder von meinen Eltern noch von mir. Wir waren glücklich...
Es gab nur zwei Möglichkeiten und dennoch viel es mir schwer mich überhaupt für eine zu entscheiden. Ich versuchte mich auf eine Antwort zu konzentrieren, doch dann kamen wieder Gedanken über meinen Standort hinzu.

Würde ich mich nicht bald entscheiden konnte wirklich ein Auto kommen...“

Ich presste die Augen zusammen, mein Atem wurde schwer... Ich wollte nicht sterben... Panik stieg in mir auf, durch meine Angst vor dem Tod. Plötzlich ein Bild von meinem Großvater...
Blitzartig öffnete Ich die Augen. Warum habe Ich das all die Jahre nicht gesehen? Mein Großvater war selber Schuld an seinem Tod. Hätte er das richtige getan hätte er ihm entgehen können... Ich wollte nicht genau so enden. Dachte daher Angst vor dem Tod zu haben. Doch jetzt erst sehe Ich das es schon viel früher anfängt. Sterben müssen wir alle einmal. Der Unterschied ist in der Art wie wir sterben. Für meinen Großvater hätte die Zeit noch nicht kommen müssen. Er hatte den Tod herausgefordert. Meine eigentliche Angst bestand also eigentlich weniger in dem Tod, als darin Fehler zu begehen die sich in ähnlich großen Ausmaß auf mein Leben auswirken könnten. Jahre lang habe Ich in dieser rustikalen Stadt gelebt und war dennch glücklich da Ich das Leben dort als richtig erachtet hatte. Nun wo mir seid meiner Schreibblockade irgend etwas anders, oder falsch, vorkommt. Kehrt die Angst zurück. Ich stehe hier zwischen zwei Welten mit der Wahl zwischen richtig und falsch, kein Wunder also für mein Verhalten. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Es war einfach zu komisch dass Ich das Offensichtliche jahrelang übersehen habe. Jahre lang war ich in dieser Rustikalen Stadt glücklich, warum sollte Ich also altbewerte Gewohnheiten auf den Kopf stellen? Ich machte von der Autobahn kehrt und ging mit der Überzeugung, das mein Entscheid sich als richtig erweisen würde, wieder nachhause.


Die Brücke

Am nächsten Tag fuhr Ich nicht zur Arbeit. Nachdem Ich es am Abend zuvor, seit langem, wieder geschafft hatte einen Blick in meine Kindheit zu erhaschen, wollte Ich einfach etwas unternehmen um die Möglichkeit, in die Vergangenheit blicken zu können, weiterhin aufrecht zu erhalten. Ich hatte es endlich geschafft mit meiner Vergangenheit konfrontiert zu werden und meine Ängste, ohne Hilfe eines Psychaters, endlich richtig zu deuten. Doch was war wenn ich diese Deutung nur als richtig empfand, sie jedoch total falsch war? Was war wenn dies, sofern sich meine Deutung als falsch erwies, öfter passierte und Ich mich Mal für Mal tiefer in dem Glauben, das was ich tat wäre richtig, verirrte, sodass Ich dann schließlich doch einen Psychater bräuchte?
Ein Schwall von Angst überkam mich... Ich presste die Augen so fest zusammen das Tränen von Blut mir über die Wange liefen... „Ich wollte nur dass das alles endlich ein Ende nahm...“
Plötzlich sah ich eine Brücke vor Augen. Sie war aus Holz und führte über einen kleinen Bach. Sie lag weit entfernt von sämtlichen Geräuschen die man täglich in unserer Stadt hörte.
Ausser von dort spielenden Kindern, wie mir, wurde diese Brücke kaum benutzt.
Plötzlich schlugen meine Augen wieder auf. Gab es diese Brücke noch? Ich machte mich kurzer Hand auf dem Weg. Von einem höhergelegenden Hügel im Wald hätte Ich die brücke sehen müssen, doch der Nebel war an diesem Tag zu dicht als dass man irgendetwas hätte erkennen können. Ich konnte die Erkenntnis einfach nicht abwarten ob die Brücke noch existierte oder nicht. Also beschloss Ich den schnellst Weg dorthin zu nehmen. Bergab. Langsam tastete Ich mich den Abhang hinunter. Schritt für Schritt hätte der Morast unter meinen Füßen nachgeben können. Ich wäre gestürzt und hätte mir vermutlich etwas gebrochen. Einen Arm, vielleicht sogar das Bein. Wer hätte mich schon an diesem abgelegenden Örtchen finden sollen? Ich schaute mich um und bemerkte wie verwachsen alles, im Vergleich zu früher, war, entschied mich dann aber meinen Blick wieder auf den Boden zu konzentrieren. Die Art wie vorsichtig ich meine Füße auf dem rutschigen Untergrund bewegte erinnerte mich an ein weiteres Erlebnis aus meiner Kindheit. Immer wenn ich in der Stadt spazieren ging bemühte ich mich nicht auf die Fugen zwischen den Platten des gehwegs zu treten. Ungefähr so achtete Ich nun darauf nur über die festen, ebeneren Stellen des Untergrundes herabzusteigen.

Als Ich unten war schien mir sämtliche Mühe umsinst gewesen zu sein. Die Brücke war weg!
Wie lange war es schon her dass Ich aufhörte mein eigentliches Leben zu führen und an einen anderes, neues Leben, anknüpfte? Und wie konnte mir diese Verknüpfung so lange verborgen bleiben, wo sich diese beiden Wege doch so enorm unterschieden? Vielleicht habe Ich mich schon zu sehr an mein neues Leben gewöhnt gehabt als dass mir diese Veränderung hätte auffallen können. So sehr dass Ich mein altes Leben vernachlässigt, oder sogar vergessen habe?!

Langsam schien sich der Nebel aufzulösen... Um mich herum und in meinem Kopf...
Alles wurde mir allmälig klar. So klar wie schon lange nicht mehr. Ich wusste nun dass die ganze letzte Zeit nicht mein Leben war. Die Frage war nun nicht mehr ob das wirklich mein Leben ist oder wer Ich eigentlich bin, sondern wann genau Ich anfing von meinem Leben abzuweichen. Vor meinem geistigen Auge betrachtete Ich nun die Brücke. Obwohl sie schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr da sein sollte, schien sie mir realer als alles andere was ich in letzter Zeit erlebt hatte. Ich sah sie...
und mit Ihr... tausende, verorengeglaubte Erinnerungen an meine Kindheit.

Damit begannen die Träume...


Leben ist, was einem begegnet,
während man auf seine Träume wartet.

John lennon,
Musiker (1940 – 1980)


Tagträume


Schweissüberströmt wachte Ich auf... Hatte Ich einen Alptraum? Wo war Ich? Ich war wieder Zuhause, doch wie war ich hier her gelangt? Ich erinnerte mich nicht an meinen Rückweg von der Brücke. Das letzte an das Ich mich noch erinnern konnte waren Stimmen... hatte Ich diese vielleicht nur geträumt? Was sagten mir diese Stimmen und zu wem gehörten sie? Ich wusste es nicht. Eine starke Migräne überkam mich sodass Ich mir beide Hände, zu Fäusten geballt, an den Kopf drücken musste, um diese Schmerzen wenigstens halbwegs ertragen zu können. Tausende von Gedanken schienen gleichzeitig, meinen Kopf zu überfluten.
Meine Beine wurden wackelig also setzte Ich mich an den Schreibtisch. Zu viele Gedanken, die Ich nicht Ordnen konnte. Mit zitternden Händen griff Ich nach meinem Bleistift und kritzelte so viele der Gedanken wie möglich auf ein Blatt Papier. Langsam vergingen die Kopfschmerzen und die Worte, die Ich auf das Papier schrieb, ergaben langsam einen Sinn. Ich schrieb weiter. Die Zeilen würden perfekt in mein Manuskript passen, welches Ich wegen meiner plötzlichen Schreibblockade noch nicht vollenden konnte.

Ich schrieb, Satz für Satz.. Zeile für Zeile... als wäre Ich vom Teufe besessen. Die Zeit verging wie im Fluge... Tick... Tack... Mein plötzlicher Aufschwung an Inspiration erlosch nicht, daher nutzte Ich die Zeit weiter aus. Denn wer wusste schon für wie lange Ich meine Kunst zu Schreiben noch behalten würde, bis die nächste Schreibblockade auftrat? Tick tack... Mehrere Stunden waren vergangen. Vor Schmerz ließ ich den Bleistift fallen. Nur mühsehlig verließ er die Fläche meiner rechten Hand. Als hätte er sich eingebrannt. Es schien mir als hätte er einen Abdruck hinterlassn in den er perfekt hinein passte. Ja, er hatte seinen Platz gefunden. Und auch Ich war wieder da wo ich sein wollte.

Ein erneuter Migräneanfall überkam mich... vielleicht hatte Ich mich überarbeitet?!
Ich schaute auf das beschriebene Blatt Papier, aus dem mittlerweile ein ganzer Stapel beschriebener Papiere wurde. Irgendetwas war komisch. Einige Worte sprangen mir sofort ins Auge. Sie schienen dicker geschrieben zu sein als andere Worte. Hatte Ich sie absichtlich so dick geschrieben? Und wenn ja weshalb? Leben, Tot, Glauben, Gut, Böse,.. Nur einige Worte die mir intensiver vorkamen . Worte die irgendwie etwas miteinander zu tun hatten... Doch was hatten sie mit mir zu tun? Ich schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch. Gerade schien Ich noch einige Rätzel meines neuen Lebens gelüftet zu haben, als plötzlich ein neues Rätzel auftaucht. Laut las Ich die Worte vor.
Leben,... Tot,... Glauben,... Gut,... Böse..“ Plötzlich stimmte jemand Anderes mit ein.
Leben,... Tot,... Glauben,... Gut,... Böse..“ Blitzartig drehte Ich mich zu der Ecke meines Arbeitszimmers um, von der die fremde Stimme zu kommen schien, doch niemand außer mir befand sich im Zimmer. Ich ging näher in die Richtung aus der die Stimme zu kommen schien. Etwas lag im Schatten dieser Ecke. Vorsichtig streckte ich meine Hände aus um danach zu greifen, ließ es jedoch, wie von der Tarantel gestochen, wieder fallen, als es zu ticken begann. Tick... Tack... Es war die Uhr die Ich vor einiger Zeit mit einem ordentlichen Schwung durch das Zimmer befördert hatte. Es schien mir wie ein Wunder dass sie diesen Sturz beinahe unversehrt überstanden hatte. Ich hatte sie als zerstört geglaubt. Schmerz durchlief meine Schläfen...
...Glauben...“ brüllte mir die Stimme ins Ohr.

Wer bist du?“

rief Ich in den Raum, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Alles Einbildung. Meine Wahrnehmung musste mir einen Streich gespielt haben. War es soweit? War Ich mich so weit in meine Phantasiewelt vorgedrungen, dass Ich nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann? Realität und Fiktion... Wieder stand Ich zwischen zwei Welten. Ich erinnerte mich daran dass die Worte Realität und Fiktion auch in meinem Manuskript vorkamen. Hastig blätterte Ich einige Seiten des Manuskripts um. Ich konnte es kaum glauben wie viel Ich an diesem Abend geschrieben habe... Schließlich kam ich auf der gesuchten Seite an und erblickte genau dass was Ich glaubte dort zu finden. Die Worte Realität und Fiktion wahren dicker geschrieben als die anderen Worte dieser Seite.






Der dritte Pfad

Ich versuchte mich von dem bisher Geschehenen abzulenken, es scheitterte edoch dadurch dass die Stimmen in meinem Kopf mich immer und immer wieder an die Worte erinnerten. Mittlerweile waren neue Worte hinzugekommen. Worte wie Gott und Teufel veranlassten mich dazu mich mit dem Kirchlichen glauben zu konfrontieren. Glaubte Ich an Gott? Wenn es einen Gott gäbe, warum sah man dann weniger Gutes als Böses selbst am Tage? Sollte das etwa heißen dass Ich eher an den Teufel glaubte, bestückt mit der Macht des Bösen? Nein, schon seit dem Ende meiner Kindheit glaubte Ich nur an das was Ich sehen und rationell erklären kann. Ja, Ich glaube an Gut und Böse. Aber muss Ich Gut und Böse gleich mit Gott und dem Teufel in Verbindung setzen? Ich glaube nicht... Doch auch wenn Ich den Glaube an Gott und Teufel ausschließe, stehe Ich dennoch erneut zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gut... und Böse.

Zeit“... „Wähle“... „Gut...“ „Nacht“ „Böse...“ „Tag“

Wieder bekam Ich starke Kopfschmerzen an die Ich mich wohl nie gewöhnen würde.

Zeit“... „Wähle“... „Gut...“ „Nacht“ „Böse...“ „Tag“

Wollten die Stimmen mich zwischen eine Wahl stellen? Zwischen Gut und Böse? Wie sollte Ich mich entscheiden? Wenn Ich mir die Welt so betrachte würde Ich sagen dass das Böse dominiert. Das Böse scheint so verführerisch... so einfach... Doch wäre diese Wahl wirklich richtig?

Zeit... ZEIT!“

Die Kopfschmerzen wurden imemr stärker. Gehst du den geraden Weg fürchtest du Gott. Gehst du den krummen verachtest du Ihn... Waren dass die Stimmen, oder bloß eine Erinnerung an frühere Kirchengänge?

Wähle“... „Gut...“ „Nacht“ „Böse...“ „Tag“

Gut oder Böse, Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, zog es daher vor zu versuchen dieses Problem so zu lösen wie Ich alle anderen bisher auch gelöst hatte. Mit dem Schreiben. Ich griff nach einem Stift und einem Stück Papier. Ich zeichnete zwei Wege und beschriftete sie mit Gut und Böse. Ich ließ den Stift hin und her über das Papier wandern und schloß die Augen.

Hin... und her... zwischen Gut... und Böse... bis Ich den Stift schließlich ansätzte und die Augen öffnete. Auf welchen Weg zeigte der Stift? Auf Gut oder Böse? Ich richtete meinen Blick auf den Stift und bemerkte dass Ich unbewusst einen Strich zwischen den beiden Wegen gezogen hatte. Symbolisierte das einen dritten Weg? Meinen eigenen Weg jenseits von Gut und Böse?
Einen der völlig neutral war? So musste es sein, denn die Stimmen waren weg. Jetzt musste Ich nur noch lernen diesen Weg zu gehen.


Nachtwandler

Wie schon des öfteren wachte Ich mitten in der Nacht auf. Allmählig hatte Ich mich daran gewöhnt, denn irgendwie hatte die Nacht etwas beruhigendes an sich. Ich ging ins Badezimmer um mich zu waschen, denn vermutlich würde ich wieder einen, mittlerweile gewohnten, nächtlichen Spaziergang machen. Ich fuhr mit meinen beiden nassen Händen über mein Gesicht. Ich nahm die Hände wieder weg un blickte in den Spiegel. Langsam glaubte Ich mich wieder zu erkennen.

Als Ich schließlich hinaus ging vielen mir einige wenige personen auf die wie Ich mitten in der Nacht, alleine, spazieren zu gehen schienen.

Gut...“ „Böse...“ „Tag“ „Nacht“

Durchlebten sie eine ähnlich depremierende Phase wie Ich? Auch in den folgenden Nächten sah Ich sie. Nacht für Nacht die selben Gesichter. Ich glaubte dass auch Sie mich registriert hatten, mich als einen von Ihnen glaubten. Am Tage sah Ich diese Menschen nie, daher nannte Ich sie mit Vorliebe „die Nachtwandler“. Und vielleicht gehörte wirklich auch Ich dazu...

Während Wir am Tage geduckt an den „normalen“ Menschen vorüber ziehen, uns versteckt halten und versuchen so wenig Aufmerksamkeit auf uns zu lenken wie möglich, stolzieren wir in der Nacht, erhobenen Hauptes, durch die Straßen der Stadt. Die Nacht ganz für uns alleine zu haben, scheinbar die letzten Wesen auf Erden zu sein... Die Macht zu haben...

Oft erscheinen dunkle Gestalten, in Kluften, aus schwarzem Stoff, umhüllt, in Wäldern und auf Friedhöfen... mit ihren Büchern und Hexagrammen... sie spielen mit Mächten die sie nicht verstehen!

Was ist Macht? Oft wird gesagt das die großen Kriegsherrn aus vergessenen Zeiten Macht besaßen... Ist Macht Menschen zu töten nur weil man es könnte, wo doch die eigentliche Macht eher darin besteht etwas tun zu können, dies edoch zu unterlassen oder zu verbergen?

Wir haben Macht, doch wir halten sie, wie auch uns, im Verborgenen.
Wir haben Meinungen, doch äußern diese nicht.
Unsere Inteligenz, meist unterschätzt... oder gefürchtet...

Wir könnten überall mitreden, doch wir unterlassen es. Unsere Meinungen unterscheiden sich zu sehr von den “Gewöhnlicher“. Sie würden sie nicht verstehen und versuchten uns umzustimmen, doch unsere Meinung steht fest!
Wir könnten überall mitreden, doch wir tun es nicht. Wir verbergen unsere Macht ohne Krieg und Hexerei.

Die dunklen Gestalten... Sie lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Wir würden das nie tun und dennoch werden wir immer wieder mit ihnen verglichen oder sogar verwechselt. Doch wir beschweren uns nicht. Wir könnten es... doch wir tun es nicht. Wir wissen es einfach besser.
Wir verbergen unsere Meinungen, unsere Identität... und bleiben ein Geheimnis für dieenigen die uns nicht verstehen und überall mitreden obwhl sie doch von nichts wirklich ahnung haben.

Es heißt “alle Menschen sind gleich“. Kennt man Einen, kennt man also Alle! Sie sind zu leicht zu durchschauen. Wir kennen sie... zu genüge. Doch uns... Wir bleiben für sie ein Geheimnis. Ein Mysterium. Und vielleicht bedeutet gerade das Macht zu haben... und in diesem Punkt wären wir den “Gewöhnlichen“ hoch überlegen...
Wir wissen es und dennoch schlendern wir schweigend durch dunkle Gassen und verbergen unser Geheimnis. Denn wir wissen...

...Irgendwann,... werden sie verstehen...

Als Ich wieder nachhause kam setzte Ich mich sofort an meinen Schreibtisch und kramte nach einem Stift. Erneut überflutete mich eine Welle voller Inspirationen. Scheinbar hatte Ich endlich meinen Platz in der Welt wieder gefunden. Die Nachtwandler... Ich war wie Sie... Wir waren nicht verrück oder so nur weil wir eine Andere Weltanschauhung hatten.
Wir waren einfach nur missverstanden. Noch in dieser Nacht würde Ich auf die Straße laufen und mich mit einem von Ihnen unterhalten. Ihm zeigen das Ich einer von Ihnen war. Das Ich Ihr Freund war. Doch auch hier sollte es dasselbe sein wie mit anderen Freunden, oder einer Geliebten,... Man glaubt man hätte jemanden gefunden der jederzeit hinter einem stehen würde doch ehe man sich versieht fallen sie einem in den Rücken. Ich konnte froh sein dass Ich diese Nacht überlebte.
Ich schätzte Sie falsch ein nd kassierte dafür Prügel. Doch außer einigen blauen Flecken, einer Migräne und einem gebrochenen Ego fehlte mir eigentlich nichts. Ich hatte mich wieder für den falschen Weg entschieden. Es war der Weg der nachtwandler und nicht mein eigener.
Ich war wieder am Anfang. Ich stand vor meinem Spiegel und fragte mich wer Ich war und wohin Ich gehörte. Wie gewohnt erwartete Ich keine Antwort auf meine Frage. Was hatte mir die ganze Fragerei denn auch schon gebracht? Ich habe wochenlang meine Zeit vergeudet und meinen Job verloren. Das einzigste was mir geblieben war, war das Schreiben... Wie gewohnt...


Auszüge aus den Memoiren eines Dichters

Anfangs wird unser Leben von einem, oder mehreren, Dichtern bestimmt. Meist sind es unsere Eltern die unser Leben, wie nach Drehbuch, vorbestimmen. Wir sind Schauspieler auf einer Bühne und bemühen uns darum alles möglichst so zu machen wie es im Drehbuch steht. Es wirkt beinahe so als wäre das Leben ein böses Marionettenspiel. Jede unserer Bewegungen vorbestimmt. Doch irgendwann kommt die Zeit in der wir von unseren Fäden erlöst werden oder uns von Ihnen befreien. Bei einigen früher... bei anderen später. Wir sehen das Leben nun aus den Augen anderer.
Wir können nun unseren Weg selber wählen, doch nur der der es schafft einen eigenen Weg zu erschaffen, anstatt einen der zur Wahl stehenden einzuschlagen, wird eines Tages die Fäden selber in die Hand nehmen können und ein Dichter werden...

Dieser Weg ist noch unergründet und daher nur mit vorsicht zu genießen. Nur ein unüberlegter Schritt und man könnte ins Verderben stürtzen...

Ich sah mein Leben wieder aus der Perspektive eines Dritten. Wie erschöpft lag ich auf meinem Manusskript. Erst als Ich genauer hinsah fiel mir auf....

Meine Geschichte war endlich fertig...
doch Ich... war tot.



Manchmal verbringt man zu viel Zeit damit, nach dem Sinn seines Lebens zu suchen,
anstatt die Zeit dafür zu nutzen sein Leben wirklich zu leben...
Doch irgendwann ist es zu spät...

Michael Anger 24/02/06









Jenseits des Spiegels © 2006; ~ 01/06 – 03/06 ©® Michael Anger,
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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