Katja Heinrich

Gelb

 
Ich schaue dir beim Hände waschen zu, während ich an der Wand lehne und warte.
Irgendwas an dir macht mich heute rasend. Ich muss dich anfassen. Jetzt.
Als du dich umdrehst stürme ich auf dich zu, dränge dich gegen die Wand und küsse dich als gäbe es kein Morgen.
Nach einer Sekunde der Überraschung erwiderst du meinen Kuss. Mindestens genauso gierig. Was mich noch mehr abheben lässt, ich kann meine Hände nicht ruhig halten und lass sie auf Wanderschaft gehen, an deinem Körper entlang.
Meiner kribbelt überall. Ich will dich.
 
Eine Frau versucht sich an uns vorbei zu den Waschbecken zu zwängen.
Kurz irritiert öffne ich die Augen ohne jedoch meinen Mund von dir zu lösen. Sehe im Spiegel den Blick der Frau und ihr fassungsloses Kopfschütteln.
Ja, scheinbar trifft sie nicht jeden Tag zwei knutschende Frauen auf dem Damenklo.
Moment mal. Auf dem Klo?
 
 
Ich weiß überhaupt nicht, was mich da überkommen hat.
Was mache ich da? Geht’s noch abgeklatschter?
Hastig ziehe ich mich von dir zurück.
Ich bin mit dir hierher gekommen, weil du irgendwas kaufen und nebenbei einen Freund besuchen wolltest und eben stehe ich mit dir in diesem riesigen Möbelgeschäft und falle ich dich wie eine Bekloppte im Damenklo an und knutsch dich fast bewusstlos.
Ich meine, geht es noch schlechter? Auf dem KLO.
Gott, ich weiß echt nicht, was mich da überkam, mir war einfach so danach und ich hab überhaupt nicht drauf geachtet, wo wir stehen.
Du schaust mich an, als würdest du mich gar nicht kennen, ich möchte vor Scham im Boden versinken.
Kann ich mich hier irgendwo unauffällig erhängen?
„Wow.“ kommt aus deinem Mund.
„Äh….?!“ kriege  ich zusammen, ich weiß nicht mehr, wie man spricht, Worte formt, atmet.
„Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so geküsst worden bin!“ meinst du.
Wie „so“? Auf einer Kaufhaustoilette?
Ich huste nur verlegen und wechsle das Standbein.
„Eigentlich würde ich jetzt lieber mit dir nach Hause verschwinden, aber wir sind mit KarlA verabredet.“ erklärst du mir. Ich kann es kaum glauben.
„Wie? Ähm, entschuldige, ich … mir war so danach.“ versuche ich schwach.
„Mir ist jetzt nach weit mehr als nur einem Kuss.“ erwiderst du und grinst mich an.
Langsam dämmert mir, dass es dir scheißegal ist, dass ich dich eben fast in einem Klo vergewaltigt habe.
Ich kann wieder atmen, ich weiß auch wieder wie das geht. Und Worte finde ich auch wieder.
„Entschuldige, ist nicht gerade der bester Ort dafür, na ja und der Zeitpunkt stimmt auch nicht, aber…..“
„Ist doch egal. Lass uns jetzt lieber schnell KarlA suchen. Umso schneller können wir abhauen und wenigstens noch kurz allein sein, bevor du arbeiten musst.“ unterbrichst du mich.
KarlA ist dein schwuler Kumpel, deine beste Freundin und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass du mich ihm unbedingt vorstellen willst, damit er abcheckt, ob ich was tauge für dich.
Egal, da muss ich nun durch.
KarlA entpuppt sich allerdings als wirklich nett, muss ich kurz darauf feststellen, wenn auch ein bisschen angetuckt. Was aber nicht weiter unangenehm wirkt bei ihm. Daher hat er wohl seinen Spitznamen, denn eigentlich heißt er Karl-Anton.
„Du bist also die viel gepriesene Sina.“ stellt er lakonisch fest als du uns in der Cafeteria des Möbelhauses, in dem KarlA nämlich arbeitet, vorstellst. „Rea hat mir ja schon einiges von dir erzählt!“
Ach ja? Mit hochgezogener Augenbraue schaue ich dich an und bemerke wie dir eine leichte Röte ins Gesicht zieht. Süß. Ich grinse frech. „So? Was hat sie denn erzählt?“
KarlA grinst fies. „Ich weiß nicht, ob es Rea recht ist, wenn ich jetzt aus dem Nähkästchen plaudere.“
Deine Gesichtsfarbe wird einen Tick dunkler.
„Wenn ich sie mir gerade so ansehe, dann möchte ich eigentlich umso mehr wissen, was sie dir erzählt hat über mich.“
Deine Augen schießen böse Blicke auf KarlA, der die aber ganz gelassen ignoriert.
„Ach weißt du, eigentlich ist es gar nicht so sehr, was sie sagt, sondern viel mehr wie … und wie oft.“
„Reicht es jetzt?“ fragst du verlegen. Ich finde dich so süß gerade und möchte dich hier in der Cafeteria vernaschen.
„Na gut,“ meine ich, „ dann lassen wir es dabei. Wollen dich ja nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.“
„Danke.“ erleichtert atmest du aus. „Sina hat mich gerade auf der Toilette fast verführt.“ erzählst du nun an KarlA gewandt. Nun ist es an mir, rot zu werden.
KarlA lacht.
„Ihr passt, glaube ich, ganz hervorragend zusammen – einer bekloppter als die andere. So und jetzt lasst uns mal was essen, ich hab nämlich nicht ewig Mittagspause und ihr wollt wohl sicher auch ganz gerne bald wieder allein sein können.“ grinst er anzüglich.
 
 
 
Mir werden die Knie weich.
Mit dir allein in deiner Wohnung. Ich habe leider nicht mehr viel Zeit, muss in einer Stunde zur Arbeit, ich arbeite bei einer Zeitung als Layouter und habe Spätdienst.
Ich setze mich auf das Sofa, während du uns etwas zu trinken aus der Küche holst. Wo bleibst du nur so lange, ich bekomme Sehnsucht, und als du endlich ins Wohnzimmer kommst, einen meiner unsäglichen Knutschanfälle.
Komme dir entgegen und nehme dir die Gläser aus der Hand, stelle sie auf der Kommode ab und küsse dich schon wieder überfallartig.
Deine Arme umschlingen mich und du erwiderst stürmisch meinen Kuss.
„Daran könnte ich mich gewöhnen.“ sagst du als wir uns nach tausend Stunden voneinander lösen. Ich ringe nach Atem und möchte dennoch weiter machen.
„Ich mich auch.“ japse ich. Du schiebst mich zum Sofa, ich stolpere, falle und ziehe dich mit. Bleibst auf mir liegen, schaust mich an und - ich sehe gelbe Sterne – küsst mich weiter.
„Ich will nicht weg jetzt.“ erkläre ich nach einer Ewigkeit. Es ist Zeit zur Arbeit zu fahren, dabei steht mir der Sinn gerade nach tausend anderen Dingen. „Entweder musst du zur Arbeit oder ich, das nervt mich.“
„Mich auch, glaub mir.“ antwortest du und verwuschelst meine Haare. „Vor allem die bescheuerten Schichtdienste machen uns immer alles kaputt.“
„Ich nehme mir nächste Woche Urlaub.“ sage ich spontan, „Weiß zwar noch nicht, wie ich das dem Chefredakteur beibringen soll, aber irgendwas fällt mir schon ein.“
„Ehrlich?“ fragst du. „Dann können wir endlich … dann kannst du ja…. Das willst du machen?“
„Ja, wieso nicht? Außerdem hab ich einen Haufen Überstunden durch die Sache mit dem Papst.“
Glücklich strahlst du mich an. Meine Knie werden weich und ich hab tausend Hummeln im Hemd. Oh Mann, für diesen Blick aus deinen Augen würde ich meinem Chef den Kopp zulügen.
„Ich muss jetzt gehen, am besten, ich sag es ihm gleich heute noch.“
Nach anständiger Verabschiedung mache ich mich auf den Weg zur Arbeit und vermisse dich bereits als ich aus deiner Haustür trete.
 
 
 
In der Redaktion kann ich mich kaum auf meine Aufgaben konzentrieren. Immerzu denke ich an dich und die letzten Tage. Daran wie wir uns vor gut zwei Wochen das erste Mal gesehen haben. Auf deiner Station, als ich meinen Kumpel Jan besuchte.
 
Ich hab dich gesehen und bei mir hat der Blitz eingeschlagen. Eine Woche lang bin ich um dich rumgeschlichen wie doof und hab keine Worte gefunden.
Zuhause habe ich gegrübelt, was mit mir los ist. Ich meine, bis auf ein paar harmlose Knutschereien mit Freundinnen hatte ich bisher nie wirklich Interesse an einer Frau. Dafür einige, nicht wenige, Erfahrungen mit Männern.
Aber du warst so unheimlich süß in deinem weißen Schwesternkittel mit den schwarzen Fransenhaaren, den hellgrauen Augen und dem Piercing in deiner Braue, und dein Lächeln hat mich dann vollkommen aus der Fassung gebracht.
Ich saß in jeder freien Minute am Bett von Jan, bloß um dich zu sehen. Und immer wenn du bei Jan im Zimmer zu tun hattest, hast du mich so unheimlich süß angelächelt.
Bis Jan mich dann drauf angesprochen hatte, wieso ich dich nicht einfach mal auf einen Kaffee einlade. Ich hab ihn angeguckt als hätte mich ein Blitz getroffen, aber er meinte nur unheimlich entspannt, dass mir ins Gesicht geschrieben steht, wie sehr ich auf dich abfahre.
Scheiße, und ich dachte, ich hätte mich unter Kontrolle. Jan fand es nicht einmal befremdlich, dass ich hinter einer Frau her bin.
 
Als Jans Entlassung aus dem Krankenhaus bevor stand, war ich gezwungen zu handeln. Aber du kamst mir zuvor. Hast mich einfach gefragt, ob wir mal ausgehen.
Ich hab mir einen abgestottert und wurde bestimmt knallrot.
„Am Freitag um zehn vorm Casino?“ hast du mich gefragt und mir dabei eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen. Ich dachte, ich verglühe bei der Berührung.
Das Casino ist eine Kneipe, in der ich öfter mal mit der Clique die Sau raus lasse.
Du bist mir dort noch nie aufgefallen, aber wahrscheinlich war ich ohnehin immer zu sehr mit meinen Leuten beschäftigt.
 
Bis Freitag hatte ich mich dann in meiner Nervosität so hochgeschraubt, dass ich zweimal duschen musste und mich ungefähr tausendmal umgezogen habe.
Ich war nervös wie ein Hundefloh und hatte keine Ahnung worauf der Abend hinauslaufen würde.
 
Ich war eine halbe Stunde zu früh da – lieber zu früh als zu spät, dachte ich als ich vorm Casino stand.
Und kaum zwei Minuten später kamst du schon um die Ecke gerast, mit erhitzten Wangen standest du vor mir, die Arme tief in den Manteltaschen vergraben.
Gott, war das eine klemmige Begrüßung.
Im Casino war bereits die Hölle los, wir quetschten uns durch bis ganz hinten und fanden tatsächlich noch einen kleinen Tisch in einer Nische.
Ich hab mich noch nie im Leben so nach Alkohol gesehnt wie an diesem Abend.
Ich hab viel zu schnell viel zu viel getrunken. Du allerdings auch.
Die Unterhaltung kam irgendwie auch nur schleppend in Gang. Zwischenzeitlich wollte ich losheulen.
Irgendwann bist du aufgestanden und zur Toilette gegangen. Als du wiederkamst, hast du meine Hand genommen und mich hinter dir her nach draußen gezogen.
„Da drin ist mir zu laut, ich möchte mich mit dir unterhalten können, also hab ich bezahlt. Ich hoffe, das ist ok für dich?“
Hm-hm. Ich nickte und schluckte.
Im Casino war es wenigstens zu laut zum Reden, jetzt aber war ich gezwungen dazu, ich bekam kurzfristig einen Schweißausbruch.
Wir stiefelten dann erstmal schweigend in Richtung Stadtpark los.
Du hattest dabei vergessen meine Hand loszulassen.
Im Park hast du mich auf eine Bank gedrückt, mich angeschaut, dass mir der Atem stehen blieb und mir dann gesagt, dass du mich süß findest, dass du mich immerzu ansehen musstest im Krankenhaus, dass du mich die ganze Zeit ansprechen wolltest, aber dich nicht getraut hast, weil du nicht wusstest …
Abgebrochen.
WAS wusstest?
Ich hab dich nur schweigend und mit mächtig Schiss angeschaut und gewartet.
Und du hast geseufzt und weg geschaut. Und mich wieder angesehen.
Ich bekam Gänsehaut rauf und runter, Schweißausbrüche, zittrige Hände, das ganze Programm.
Dann nahm ich allen Mut zusammen und deine Hand in meine.
Ich dachte, ich müsste sterben.
Dann hast du gelächelt. Dich zu mir gebeugt und mich geküsst. Auf den Mund. Ganz leicht. Und mein Herz …
 
Seitdem sehen wir uns jeden Tag – und wenn es nur für eine Stunde ist.
Aber mehr als küssen und unser Leben erzählen war bisher noch nicht und ich bin nervös.
Irgendwann wird da wohl mehr sein. Und ich habe null Erfahrung. Du schon.
Und nun habe ich tatsächlich Urlaub bekommen.
Meine Hummeln im Hemd haben sich karnickelartig vermehrt. Mein Urlaub.
Dein „dann können wir endlich…“ wird dann wohl fällig – ICH werde dann wohl fällig.
Vorhin im Kaufhaus war ich nicht so unsicher. Da wollte ich dich einfach nur haben. Anfassen. War total verrückt nach dir. Und nun mache ich mir Gedanken, wie das wohl sein wird.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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