Pascal Kreuzberger

Mein Ritual


Es war mal wieder soweit. Ich führte mein altes Ritual aufs Neue durch. Ich war jetzt fast seit drei Jahren hier und hatte es unzählige Male abgehalten.
Und jedes Mal hatte ich mir geschworen dass es das letzte Mal sein würde. Aber ich konnte es nicht aufhalten es überkam mich von alleine ohne das ich es bemerkte, ehe ich bereits mittendrin war.
Ich sah mich um und sog jedes Detail in mich auf, betrachtete die Männer die mit mir hier waren ganz genau und versuchte all ihre Facetten zu erfassen.
Ich sog sie in mich auf, so dass ich sie niemals vergessen würde. So tat ich es jedes Mal.
Der kleine Raum in dem wir saßen war durchtränkt vom Licht der Morgendämmerung die durch den schmalen Eingang hineinfiel.
Der Mann der mir gegenüber saß zog an seiner Pfeife die noch älter zu sein schien als er selbst. Der rötliche Schimmer der Glut ließ sein von Falten zerfurchtes Gesicht gespenstisch erscheinen. Er warf mir ein zahnloses Grinsen zu.
Gott weiß warum sie diesen alten Ackergaul nicht schon längst nach Hause in den wohlverdienten Ruhestand geschickt haben.
Aber Unkraut vergeht nicht. Ich war mir fast sicher dass er mich noch um einige Jahre überleben würde.
Ich ließ meinen Blick weiter schweifen. Links neben dem alten saß das genaue Gegenteil von ihm. Der Bengel war grade einmal 17 Jahre alt, sein strohblondes Haar hing ihm wild ins Gesicht. Unsicher blickte er um sich, immer dann wenn wieder ein größerer Brocken von der Decke stürzte und irgendwo zwischen uns landete.
Ich hasste sie dafür dass sie Leute wie ihn hierher schickten. Er war doch noch ein Kind!
Ein unschuldiges Kind. Aber früher oder später wurde jeder hier draußen zum Schuldigen.
Den Ausdruck in seinen Augen konnte ich nur zu gut deuten.
Es war Angst. Große Angst, kurz vor der Grenze zur Panik. Und ich wusste nur zu gut dass diese Angst keineswegs übertrieben war. Auch ich spürte sie jedes Mal aufs Neue. Und manchmal, wenn es ganz besonders schlimm kam, drohte sie selbst bei einem alten Hasen wie mir übermächtig zu werden. Und verdammt noch mal, heute war wieder einer dieser Tage.
Nichts zeigte mir diese Tatsache deutlicher als das Zittern meiner Hände als ich mir eine Zigarette anzündete. Gierig sog ich den Qualm in meine Lungen . Er schmeckte köstlich. Der Geschmack und das kribbeln in der Brust zeigte mir das ich noch am Leben war.
Irgendwie jedenfalls. Nicht auf die Art die ein Mensch der all das hier nicht kannte leben nennen würde. Aber auf unsere Art war ich immer noch sehr lebendig.
Ich sah dem Man zu meiner Rechten in die Augen.
In diesen Augen hatte ich die Angst noch nie gesehen. Noch nicht einmal ein leises Flackern der Angst, dass selbst die härtesten unter uns nicht immer verbergen konnten.
Das alleine zeigte mir das er ein verdammter Narr war. Wie immer umspielte die Andeutung eines Lächelns seine Lippen. Ein kaltes Lächeln, das seine ohnehin harten Züge in Granit zu verwandeln schien.
Sein “Werkzeug“, wie er es nannte, ruhte auf seinem Schoß.
Wir alle hatten dieses Werkzeug, aber keiner von uns konnte auch nur annährend so gut damit umgehen wie er.
Er war gut, wahrscheinlich einer der Besten. Das musste ich ihm zugestehen.
Trotzdem war er ein Narr.
Ich wandte mich dem Rest meiner Jungs zu, als plötzlich eine Veränderung eintrat.
Die Männer hoben die Köpfe und lauschten. Zuerst konnte ich nicht genau sagen was sich verändert hatte. Doch dann bemerkte ich es. Der Donner war verstummt, die Erde hatte aufgehört zu beben. Dann ertönte ein schriller Pfiff.
Mein Ritual war beendet. Jetzt war es Zeit für das was jedes Mal danach folgte.
Ich warf meine Zigarette weg, schnappte mir mein Gewehr und stürmte aus dem schmalen Eingang des Unterstandes.
Meine Männer nahmen links und rechts von mir Aufstellung an der Grabenwand und pflanzten ihre Bajonette auf.
Hunderte andere Soldaten taten es ihnen gleich.
Der Pulverdampf brannte in meinen Augen und in meiner Kehle.
Ich sah auf in den Himmel. Durch den dicht hängenden Qualm und Nebel konnte ich die Morgensonne sehen. Der 19.Oktober 1917 würde ein schöner Tag werden.
Zumindest dort oben im Himmel.
Erneut ertönte ein schriller Pfiff. Unzählige Maschinengewehre begannen ihr unbarmherziges Konzert. Ich  sprang aus dem Graben und rannte los wie vom Sensenmann persönlich gehetzt.
Und verdammt noch mal, er war mir wie jedes Mal dicht auf den Fersen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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