Pascal Kreuzberger

Der Himmel kannte kein Pardon

Der Motor sang sein monotones, einschläferndes Lied.

Mark sah hinaus in die Nacht. Am Horizont war bereits der Sonnenaufgang zu erahnen.

Hier oben, hunderte Meter über der dichten Wolkendecke war der Himmel absolut klar.

Die Sterne waren stumme Zeugen ihres Fluges.

Mark war todmüde. Eine Zigarette würde ihn jetzt sicher etwas munter machen.

Er zog das zerknitterte Päckchen aus der Tasche seiner dick gefütterten Lederjacke und zündete sich eine seiner Zigaretten an. Mit einem zufriedenen Lächeln sog er sich die Lungen voll. Er wusste genau was in wenigen Augenblicken kommen würde.

„Verdammt noch mal! Ich hab dir schon tausendmal gesagt das in meinem Flugzeug nicht geraucht wird!“

Mark ignorierte die Worte des Piloten, der Rücken an Rücken mit ihm in dem kleinen Cockpit der Junkers saß.

Frank und er flogen nun schon eine ganze Weile miteinander und hatten sich in dieser Zeit so gut kennen gelernt wie sich wohl sonst nur Brüder kannten.

Mark wusste ganz genau wann er einen Befehl ernst meinte, und wann er nur ein wenig seinen höheren Dienstgrad raushängen ließ.

Und obwohl beide es niemals vor dem Rest ihres Geschwaders zugeben würden waren sie sich wohl auch emotional so nahe wie Brüder.

Das kleine Cockpit begann sich langsam mit blauem Dunst zu füllen. Ein weiteres mürrisches Knurren drang vom Pilotensitz zu Mark herüber.

„Eines Tages werden wir wegen deiner scheiß Qualmerei noch abstürzen.“

Mark beschloss nicht weiter darauf einzugehen und stattdessen das Thema zu wechseln.

„Nächste Woche haben wir beide drei Tage Heimaturlaub Kamerad.“

Frank korrigierte den Kurs des Sturzkampfbombers, und der Motor heulte kurz auf.

„Ich glaub da noch nicht so recht dran.“ Er machte eine kurze Pause und starrte konzentriert auf seine Instrumente, um den soeben korrigierten Kurs erneut zu ändern.

Mark musste schmunzeln. Frank war ein hervorragender Pilot, aber ein lausiger Navigator.

Zum Glück flog er nicht die Führungsmaschine der acht Stukas zählenden Gruppe.

Sonst wären sie wahrscheinlich schon längst über Nordafrika anstatt über Südengland.

Als er sich sicher war die Maschine wieder auf den richtigen Kurs gebracht zu haben fuhr er fort. „Ich glaub wenn wir den Urlaub wirklich bekommen, dann fahr ich nach Paris und lass im Puff mal richtig die Sau raus.“

Mark stieß einen überraschten Laut aus. Frank lachte. „ Quatsch, ich fahr natürlich zu meiner Frau nach hause.“

Mark musste kurz an sein eigenes Zuhause denken, wischte den Gedanken aber schnell wieder beiseite.

„Wenn die Adler der dicken Ente nicht noch vorher in den Arsch beißen.“

Die Dicke Ente, das waren sie. Die Adler die englischen Jagdflieger. Frank und Mark hatten während ihrer vielen Flugstunden über England ihren eigenen Galgenhumor entwickelt.

Die Verluste bei den Stukas waren hoch. Sie waren langsam und träge.

Ohne den Schutz eigener Jagdflugzeuge wurde ein Kampf zwischen ihnen und den englischen Spitfires und Hurricanes schnell zum Tontaubenschiessen.

Auch heute Nacht waren keine deutschen Jäger bei ihnen.

Ihr Galgenhumor half zumindest ein wenig dabei die Angst, die immer mit ihnen flog,

 im Zaun zu halten.

Die Stimme des Geschwaderführers kam knackend aus dem Funkgerät.

„In Sinkflug übergehen. Noch 2 Minuten bis zum Ziel.“

Frank ließ die Maschine in die Wolkendecke Abtauchen. Mark lud sein Maschinengewehr durch. Obwohl sie diese Situation schon etliche Male erlebt hatten schoss jedes Mal das Adrenalin wie flüssiges Feuer durch ihre Adern.

Das Ziel heute Nacht war eine kleine Infanterie Kaserne. An und für sich ein absolut bedeutungsloses Ziel. Aber die beiden hatten schon lange aufgehört sich über Sinn und Unsinn ihrer Missionen Gedanken zu machen. Was zählte war lediglich das Überleben.

Die Stukas brachen aus der Wolkendecke heraus.

„In Sturzflug übergehen.“ Knisterte das Funkgerät. Frank warf die Maschine in den Sturzflug.

Die Sirene, die einzig und allein dazu diente den Terror am Boden noch zu verstärken, begann unbarmherzig zu heulen.

Mit wahnwitziger Geschwindigkeit stürzten sie ihrem Ziel entgegen.

In diesem Moment, waren sie die Raubvögel, die ihre Klauen in das Genick ihrer Opfer rammen würden. Ohne Gnade. So wie sie von denen die sie jagten keine Gnade erwarteten.

Der Himmel über England kannte kein Pardon. 

Sie waren nur noch wenige hundert Meter über dem Boden. Das Feuer leichter Flaks schlug ihnen entgegen. Mit jeder Sekunde verloren sie weiter an Höhe. Die Nase des Bombers zeigte nun fast senkrecht auf den Boden. Die Sirene heulte, die Anspannung stieg ins unermessliche.

Dann klinkten sie ihre Bombe aus. Frank riss das Steuer herum und die Maschine schoss wieder steil in die Höhe. Für Mark war es jedes Mal ein Gefühl als ob sein inneres nach außen gekehrt würde. Die anderen Stukas taten es ihnen gleich.

Ihre Bomben schlugen in der Kaserne ein. Häuser stürzten ein oder gingen in Flammen auf.

Die Schreie der sterbenden vermischten sich mit dem Geräusch explodierenden Treibstoffs.

Von alldem bekamen Frank und Mark wie immer nichts mit.

Mit Höchstgeschwindigkeit gewannen sie wieder an Höhe und machten sich auf den langen Heimweg.

Marks Atem ging schwer, sein Puls raste. Jeder Sturzflug war eine enorme körperliche Belastung. Zusammen mit der Angst ergab sie eine Mischung die ihn jedes Mal fast das Bewusstsein verlieren ließ.

Als die Maschine wieder auf einem stabilen Kurs war brach Frank als erster das Schweigen.

„Alles klar da hinten bei dir?“ Mark stockte. „Ja…. alles klar. Du weißt ja, ich hab nen empfindlichen Magen.“

Frank lachte schallend. „Du hast dir eindeutig den falschen Beruf ausgesucht mein Freund.“

Das Funkgerät meldete sich rauschend: „BANDITEN! 9 UHR HOCH!“

Glühende Nadeln stachen in Marks Herz.

„Verdammte Scheiße!“ tönte es vom Pilotensitz. Frank ließ die Junkers hart zur Seite wegrollen.

Die Stukas stoben auseinander wie ein Schwarm aufgeschreckter Tauben, als die englischen Jagdflieger mit ratternden Maschinengewehren auf sie herabstießen.

Mark war schwarz vor Augen als Frank das wilde Flugmanöver fortsetzte. Als er wieder sehen konnte war die Spitfire schon hinter ihnen.

Mark ergriff sein MG und eröffnete das Feuer. Mit fast spielerischer Leichtigkeit wich der Jäger seinen Salven aus.

Der Schweiß lief Mark in Strömen von der Stirn. Er feuerte ohne Unterlass, aber er konnte die wendige Maschine einfach nicht erwischen.

Dann erwiderte die Spitfire das Feuer.

Frank hörte das Knacken und Splittern der einschlagenden Kugeln im Heck der Maschine. Eine warme Flüssigkeit spritze ihm in den Nacken. Er wusste was es war, aber er ließ diesen Gedanken nicht zu. Er musste sich voll auf die Steuerung seines Flugzeugs konzentrieren. Der Jäger war immer noch hinter ihnen.

Er spürte ihn fast körperlich. Wie den Atem eines Raubtieres in seinem Rücken.

„Verdammt Mark, schieß weiter! Glaubst du der Tommy will Tee mit uns trinken? Mach den Scheißkerl fertig!“

Plötzlich sackte die Maschine ab und geriet ins trudeln. Frank bekam sie nicht mehr unter Kontrolle. Der Boden kam unbarmherzig näher. Er riss mit aller Kraft am Ruder aber er bekam keine Reaktion.

Frank hielt die Luft an. Der Aufschlag musste jede Sekunde kommen.

Plötzlich glitt die Nase der Maschine wieder in die waagrechte und sie stabilisierte sich.  Frank atmete erleichtert aus. Keinen Moment zu früh. Sie flogen kaum 30 Meter über einem weitläufigen Feld.

Ein perfekter Platz für eine Notlandung. Aber sie waren immer noch viel zu schnell. Frank drosselte langsam die Geschwindigkeit. Der Motor begann zu stottern, aber er würde noch einen Moment weiterlaufen.

„Hah! Siehst du Mark, wir schaffen es. Der Sensenmann muss früher aufstehen wenn er uns  holen will. Wir sind noch nicht an der Reihe!“

Frank begriff bereits im nächsten Moment das er sich täuschte. Das Dämmerlicht gab den Blick auf einen Waldrand frei. Nicht einmal 800 Meter vor ihnen.

Frank wusste im selben Moment als seine Hand die Bewegung ausführte dass er ein Fehler gemacht hatte. Er hätte versuchen sollen hochzuziehen, stattdessen drückte er den Steuerknüppel nach oben und versuchte noch vor der Baumreihe zu landen.

„Halt dich fest Kleiner, das wird die härteste Landung deines Lebens!“

Das Fahrwerk der Stuka berührte den Boden und wurde mit solcher Wucht abgerissen das die ganze Maschine noch einmal in die Höhe geschleudert wurde.

Frank riss wie ein wahnsinniger am Steuerknüppel, aber es war sinnlos.

Hart schlug die Maschine auf dem Boden auf. Der Propeller hackte in den Boden und wurde in Fetzen gerissen. Frank nahm kein Geräusch mehr war. Absolute Stille herrschte in dem zerberstenden Bomber.

Wie in Zeitlupe sah er die Trümmer des Propellers durch die Scheibe brechen und auf ihn zukommen.

Dunkelheit.

 

Ian besah sich das letzte Wrack der acht Stukas die am frühen Morgen runtergekommen waren. Seine Männer durchsuchten es nach wichtigen Unterlagen, konnten aber wie bei den anderen sieben nichts finden. Es waren die gleichen Maschinen die kurz zuvor seine Kaserne bombardiert hatten.

Wie alle Wracks die nicht vollständig ausbrannten bot es einen fürchterlichen Anblick.

Der Bordschütze war von mehreren Kugeln durchlöchert, der Pilot der Länge nach aufgeschlitzt.

Ian hatte ein merkwürdiges Gefühl bei diesem Anblick. Es empfand keinen Triumph.

Aber auch kein Mitleid.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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