Als junger Bursche macht Jonathan die Erfahrung, dass das
Glück und Heil eines Menschen nicht unbedingt im Sich-Ausleben liegt. Die
Suche nach der unbekannten Größe ist das Höchste und Schönste, was Jonathan in
seinem jugendlichen Alter erleben kann. Es gibt bestimmt weltweit Tausende von
Menschen, junge und alte, die ähnlich wie Jonathan denken, aber sie sind
wahrscheinlich alle so verstreut, oder träumen tatenlos dahin, da sie keine
Gemeinsamkeit finden.
Marc unterbreitete gestern Jonathan den Vorschlag, er
möge seine Gedanken mal
niederschreiben, um diese dann einem breiterem Publikum zu unterbreiten. Nach
kurzem Überlegen, sagte Jonathan, dass er gerne auf diesen Vorschlag eingeht.
Jonathan setzte sich anderntags an seinen Schreibtisch und
machte einige ersten Notizen zu seinem Werk. Da immer wieder unter seiner
Oberfläche viele Gedanken fluten, die teils interessante Einfälle sind, fiel es
ihm nicht schwer, die ersten 10 Seiten niederzuschreiben, um sie dann am
nächsten Tag in ein weißes Couvert zu
stecken und Marc zum Lesen zu übergeben, damit sie bei einem nächsten
gemeinsamen Gedankenaustausch in seiner Dachgeschosswohnung darüber plaudern
können.
Ende der Woche stand Marc bereits wieder unter seiner Tür:
"Du, ich muss unbedingt mit Dir reden".
Jonathan: "Ja natürlich, komm schon rein".
Marc: "Deine dargelegten Gedanken auf den 10 Seiten finde
ich...."
Jonathan unterbricht Marc in seinem Redefluss: „Setz dich
erst mal“ und bietet Marc ein Glas Cola an, das er dankend annimmt und mit
seinen Worten fortsetzt: „Also deine Gedanken,
finde ich, gleichen einer Offenbarung". "Jonathans Offenbarung", fügt Marc
schnell noch hinzu.
Jonathan: „Ich glaube, dass alles, was ich von Gott und über
Gott gesammelt habe, falsch ist, auch wenn ich an ihm, oder besser seiner
Negation, hänge. Und irgendwo glaube ich, dass es etwas gibt, das man
vielleicht, mit Schaffung eines völlig neuen Inhalts, Gott nennen könnte. Dies
ist meine Stellung als Vermutender. Eigentlich bin ich vollkommen einsam und
jeder Gedanke an Gott ist eine Qual, ich, der ich Gott nicht kenne und trotz
der Verzweiflung empfinde ich mein Leben als strahlende Freude. Ich glaube,
dass ich mich im Suchen neu erschaffe. Bejahende Lebensstimmung. In einem gewissen
Rausche steuere ich auf mein Ziel zu mit unentwegtem Mut sich den vorbestimmten
Verhängnisse entgegenzustellen. So habe ich für mich eine eigene Trinität
gefunden. Über den Weg vom Fühlen (Gemüt) zum Sagen (Geist) finde ich den
Eingang zum Ewig-Göttlichen, zur unbekannten Größe (Wille). So war mir klar,
dass Trinität nur in den 3 Eigenschaften in einer Person beruhen kann.
Oh tief verborgene Gewalt,
erschaffe mich neu.
Die langen Jahre der Schmerzen
sind nur ein erstickter Schrei,
ein Schrei nach Erlösung.
Du musst irgendwo sein,
Heiler aller Wunden.
Von dem in träume,
über den ich verzehrend, verbrennend nachdenke.
Irgendwo,
Wo ich nicht genug Kraft hatte, umherzustreifen
und dich zu suchen,
Orte, Orte,
zu wenig Licht, dich zu sehen,
als ein schwarzes, gefrorenes Bild...
Wo, wo?
Niemand, niemand
weiss von dir
Marc: Deine Gedanken bewegten ordentlich mein Gemüt.
Jonathan: „Ich erinnere mich in letzter Zeit viel an den
Katechismus und den Dorfpfarrer und die zahlreichen erzwungenen Gottesdienste
und den Religionsunterricht und überhaupt halt an mein Verhältnis zur Religion.
Viel war nicht da außer Furcht, Sturheit, Auswendiglernen und wieder Furcht.
Wer kennt sie nicht, wer hat sie nicht erfahren, die Erzieher, die einem
Göttliches nahe bringen wollen und dabei nur Menschlich – Allzumenschliches
zeigen können. Die sich in einen Glauben flüchten und von denen, die so nicht
glauben können, beneidet oder verachtet werden. Denn der Mensch hat Hunger nach
Glauben, nach Zuversicht, nach Verheißung“.
Marc: „Diese Erfahrung ist für mich auch nicht neu. Ich
fragte mich auch oft, warum ich eigentlich an einen Gott glauben soll, den ich
nicht getan habe, den niemand kennt. Ich verstand nie, warum ich etwas für wahr
hinnehmen soll, was unsicher ist, Gott war für mich eine absurde Erfindung“.
Jonathan: „Deswegen glaube ich, dass alles, was ich von
Gott, über Gott gesammelt habe, falsch ist. Dies hat einiges nach sich gezogen.
Die Bereitschaft, vielleicht zu glauben, zog die Bereitschaft nach sich, etwas
Praktisches, das in diesem Sinne war, zu probieren, meinem Hunger zu folgen.
Hunger, der wie ich jetzt weiß, Hunger nach Sinn war.
Es wurde mir Brot angeboten. Stilles, sanftes, liebevolles
Brot, dass ich über meine Grobheit weinen musste und über meinen Hass. Brot für
den Hunger eines nicht-körperlichen Etwas in mir.
So komme ich dazu, diese Gedanken, nenne es
Glaubensbekenntnis, nenne es Offenbarung, abzulegen, vor mir und vor diesem
Etwas an Sinn, vor dieser unbekannten Größe, die mir geholfen hat.
Marc trinkt seine Cola, Jonathan schlürft einen Schwarztee und das Gespräch plätschert
dahin.
Marc: „Was für den Menschen von heute zählt, ist ein sattes
und zufriedenes Leben. Er stellt sich weniger die Frage nach Wahrheit und
Richtigkeit“.
Jonathan: „Aber er sieht auch die Voraussetzungen für ein
sattes, zufriedenes Leben schwinden“.
Marc: „Vielleicht wird die Welt auf ein Chaos zu steuern“.
Jonathan: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Menschheit
auf ihrem Zukunftsweg die Gefahr läuft, in den Abgrund zu stürzen“.
Zukunft ist nicht das, was man plant, Zukunft ist das, was
man ahnt. Und so ahnen beide eine ungute Zukunft voraus.
Marc: „In deinem Werk suchst du die Menschen, vor allem die
junge Generation, auf einen Weg zu führen, der möglicherweise der einzig
richtige Weg ist. Jedenfalls konnte ich für meinen
Zukunftsweg wieder ordentlich Mut sammeln“.
Jonathan: Nun, ich dachte, dass ich, wenn ich schon ein Werk
schreibe, dass ich ein Werk für reife
und unreife Geister der Jugend schreibe,
für eine Jugend, die, so glaube ich, nicht ein blinder Elefant im
Porzellanladen ist. Obwohl ich mir wünsche, dass sie so einiges Porzellan
zerschlägt. Man muss Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären,
sagte Nietzsche und ich hoffe auf eine Jugend, die genügend Chaos in sich hat.
So kann und muss man auch der heutigen Zeit ihre positiven Seiten abgewinnen.
Auf das Gebiet der Kunst übertragen, besagt das, dass wir uns dem Standpunkt
des l`art pour l`art
glücklicherweise immer mehr entfernen. Glücklicherweise, denn unter
Kunst verstehe ich die Offenbarung, die Verkündung sinnlicher oder
übersinnlicher Erkenntnisse des Wissenden und Könnenden, das dauerhaft, nicht
an der Außenluft oxydierende, unerschöpfliche Gefäß, das jedem gehört, der
durstig und hungrig ist. Gerade die Beständigkeit und Unerschöpflichkeit geben
uns den Maßstab für die Bewertung einer Kunstform oder -schöpfung. Modern oder unmodern aber ist die
Kunst nur durch ihre Form als Reflex der Zeit.
So ist sie, mag sie entstehen aus was für Ursachen auch
immer, nicht etwas absolutes, das seiner selbst wegen da ist oder berechtigt
wäre, da zu sein, sondern, wie etwa die menschliche Sprache gemeinhin, ein umso
notwendigeres spezifisches Mittel in der Hand des Menschen, je mehr dieser sich
seiner naturgewollten Einordnung in diese organische und unorganische Welt
bewusst wird, je mehr er die Erhebung über das animalische Leben spürt, ohne
dabei den Kontakt mit ihm zu verlieren. Also eine Mitteilung, oder besser noch,
eine Übermittlung, und zwar nicht des Überflusses, sondern des Überfliessenden,
die Preisgabe inneren Reichtums ist die Kunst.
Begeistert von den Gedanken, die aus Jonathan sprudeln, gewinnt Marc immer
mehr große Achtung vor Jonathans Seele,
die ihm zuvor eher rätselhaft erschien und nun ein nicht minder hell-dunkles
Licht auf seine Seele wirft, die sich ihm verbunden fühlt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2006.
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