Nicole Scheidegger

Das Kellergewölbe

 
Ich steige hinab. Stufe für Stufe setze ich meinen Weg ins Unbekannte des Kellergewölbes fort. Immer tiefer, immer dunkler die Erinnerung. Mit jedem Schritt komme ich der Wahrheit näher, bis ich ihren ewigen Boden erreiche.

Ich lasse meinen Blick durch den Keller schweifen. Mich umgibt ein Netz aus Staub, Schmutz und Spinnweben, die sich beim Durchschreiten des Kellerraumes um meinen Hals legen. Unbewohnt, vernachlässigt, gestorben?

In einer Ecke sind die Überreste einer toten Maus zu erkennen. Nackt und Schwanzlos schläft sie dahin in der Gebärmutter ihres Leidens, welches in Form der Eingeweide aus ihrem Körper quillt. Meine Augen wandern zum nächsten Eckenwinkel, dessen Geheimnisse die Dunkelheit verdeckt.

Vorsichtig nähere ich mich der verschluckenden Schwärze und stoße auf einen Fund. Ein gebrochenes und verschmutztes Messer lasse ich in meinen Händen tanzen. Der Griff ist abgenutzt, das Blut rot. Mein Blut - Dein Blut - Unser Blut?

Das Kribbeln in meinen Füssen veranlasst mich, den nächsten Winkel zu erkunden. Auf halbem Weg stoße ich auf die ersten Hindernisse. Scherben berühren die nackte Haut meiner Füße und bohren sich unangenehm ins Fleisch. Ein stummer Schrei. Ich werde gezwungen umzukehren und das Verborgene für immer ungelöst hinter mir zu lassen. Nur der Gestank dieser Gegend dringt in meine Nase ein und lässt mich das Ungeheuerliche erahnen.

Mit dem letzten Atemzug erreiche ich die vierte und letzte Ecke meines Kellers. Auf alles gefasst starre ich gebannt auf die sich verjüngenden Wände. Ich sehe - Mich. Ein Spiegel gibt mir mein Antlitz preis. Vor mir ein Skelett, dessen stechende Augentiefen mir ein Loch in die Magengegend bohren. Plötzlich sehe ich die Gliedmassen zusammenfallen, so dass sich zu meinen Füssen ein Knochenhaufen auftürmt, der mich überragt.

Überwältigt von dessen Größe, trete ich den Rückzug an und begebe mich in die Mitte des Kellergewölbes. In meinem Inneren suche ich nach einem weißen Seidentuch. Hoffnungsvoll richte ich mein Gesicht empor zur verrußten Decke. Da erblicke ich es, das Tuch. Springend erfasse ich einen Zipfel des Stoffes und lasse ihn auf den Boden fallen. Das Seidentuch ist schwarz. Auf Knien kniend beginne ich die Schwärze wegzuschrubben, doch der Schmutz hat sich eingenistet und will mir den Erfolg meiner Bemühungen nicht eingestehen.

Unerwartet beginnt die bescheidene Glühbirne zu flackern. Fliegen stürzen auf mich zu und schwirren in meinem Kopf herum. Ich versuche eben dieses Geziefer zu vertreiben, doch meine Hände sind zu keiner Bewegung fähig. Passiv beobachte ich das Geschehen um mich herum und erkenne die kreisrunden Fliegbewegungen der tierischen Flugkörper über meinem Haupt. Ein Schein, alles erlischt, die Kellertüre schließt sich, aus.

 

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