Ricky Sinclair

Ein wunderschöner Tag in Koblenz... (Teil 1)

 
Seit etwas über einem Monat mache ich jetzt die Hyposensibilisierungstherapie gegen Hausstaub und Milben. Deswegen fahre ich jetzt einmal die Woche mit dem Zug nach Koblenz, um mir dort die Spritze geben zu lassen. Da ich sonst nie nach Koblenz komme, genieße ich den Tag in der Woche dort immer und schlender durch die Löhrstraße (vllt sagt die ja einem was?!).
Als ich die Spritze in den Arm bekommen hatte, wird man vom Arzt gebeten, noch eine halbe Stunde (evtl. mit Kühlakku) im Wartezimmer zu bleiben, falls etwas passiert wie eine allergische Reaktion zum Beispiel.
Ich setzte mich mit meinem Kühlakku ins Wartezimmer gleich an die Türe und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Eine ältere Frau öffnete die Tür und stellte eine Tasche unter den Kleiderständer neben mir. Sie sah mich an, lächelte und fragte: „Sind Sie bitte so freundlich und passen kurz auf meine Tasche auf?“
Ich nickte und lächelte zurück. Sie schloss die Tür von außen.
Kurze Zeit später kam sie zurück, nahm ihre Tasche und setzte sich neben sie. Sie bedankte sich freundlich und wühlte in ihrer Tasche. Dort nahm sie dann schließlich eine kleine Netzpackung heraus und entnahm dieser etwas, das sie mir kurz danach entgegen hielt. „Hier, für Sie.“ Ich öffnete die Hand und sie ließ ein rotes Glasei mit gelben Schlieren hineinfallen. Ich drehte es herum und sah es mir an. Es war wunderschön. Ich lächelte. „Danke schön. Es ist wirklich wunderschön.“
Sie sah mein Kühlakku und gab mir einen Tipp, wie ich es befestigen konnte mit meinem Pullover, ohne dass es abrutschte, wenn ich es nicht mehr fest hielt. Ich konnte endlich meinen linken Arm runter nehmen – der tat nämlich schon weh.
Wir unterhielten uns über alles Mögliche. Krankheiten, Kliniken und wie es uns so zurzeit ging. Ihr ging es weniger gut als mir. Meine Allergien und mein Asthma waren zurzeit mehr als ruhig, aber ihre Allergien schlugen zurzeit volle Kanne zu. Sie berichtete von anderen Krankheiten, die sich aneinander reihten.
Als sie kurz auf Toilette ging, sprach mich ein Typ mit Notebook auf den Knien an und meinte geradezu angewidert: „Dass alte Leute einen immer so dumm anquatschen und uns mit ihrem Leid zumüllen müssen. Die Alte sucht doch nur jemanden, den sie totlabern kann mit ihren ach so schlimmen Wehwehchen!“ Er rollte genervt mit den Augen.
Ich sah ihn überrascht an und meinte nur trocken: „Was haben Sie für ein Problem? Sie hat doch gar kein Wort mit Ihnen gewechselt. Sie hat sich mit MIR unterhalten – nicht mit ihnen! Und hören Sie auf mit den Beleidigungen. Das heißt nicht ‚die Alte’, sondern die Frau oder die Dame. Also, mässigen Sie sich in Ihrer Wort- und Tonwahl.“ Ich sah ihn herablassend an.
Er sah mich pikiert an und hämmerte wieder auf seinem armen Notebook ein. Mir war aufgefallen, dass er rot angelaufen war.
Die anderen Leute grinsten sich einen Wolf und auch die ältere Frau, die sich mit mir unterhalten hatte, war wieder herein gekommen und hatte wohl meine Antwort mitbekommen. Sie setzte sich leicht beschämt wieder neben mich und sagte leise „Danke.“.
„Nicht dafür...“ erwiderte ich mit einem Lächeln auf den Lippen und wir führten die Unterhaltung fort, nachdem ich ihr versichert hatte, dass sie mich keineswegs nervte, sondern ich es fesselnd fand, ihr zuzuhören. Das beschämte sie fast wieder auf ein Neues.
Ich fand es sehr interessant, mich mit ihr zu unterhalten, denn sie erzählte auch von ihrer Jugend. Das finde ich sowieso immer sehr großartig, wenn die ältere Generation von ihrer Jugend damals erzählt. Da könnte ich stundenlang zuhören.
 
Plötzlich ertönte die Stimme der Arztschwester im Lautsprecher und meine Gesprächspartnerin wurde aufgerufen.
Ich verabschiedete mich von meiner Gesprächspartnerin, denn meine Wartezeit war auch vorbei. Ich war sogar etwas über eine Stunde länger geblieben als nötig war, aber es war einfach zu interessant, ihr zuzuhören.
Wir verabschiedeten uns freundlich. „Vielleicht sehen wir uns wieder.“ meinte sie fast schon ein wenig traurig.
Ich nickte fröhlich. „Gerne, es war sehr schön, Ihnen zuzuhören.“
Sie lächelte und ihre Augen glänzten, als sie zur Schwester ging, um ihre Behandlung zu beginnen.
 
 
Mit dem hübschen Glasei und einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ging ich raus und Richtung Löhrstraße, um dort, wie nach jedem Spritzentermin, einen Schaufensterbummel zu machen.
An dem heutigen Tag konnte mir keiner mehr was... Mir hatte jemand etwas Gutes getan, denn ich hatte etwas geschenkt bekommen, und ich gab etwas zurück an die ältere Frau, in dem ich ihr zuhörte und es genoss.
 
 
Gut, vielleicht hatte der Mann mit dem Notebook im Wartezimmer recht damit, dass sie nur jemanden zum Reden brauchte, aber wenn es mich genervt hätte, dann wäre es doch auch meine Entscheidung gewesen, ob ich ihr zuhören wollte oder nicht. Ich hatte es sehr genossen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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