Andre Sabais

Der Erpresser

 

Der Erpresser hatte seinen Wagen etwa 200 Meter südlich der Kirche geparkt. "Wir treffen uns um Mitternacht bei der alten Kirche", war seine Direktive an das Opfer. Nun ja, er hatte einen gewissen Hang zur Theatralik. Langsam und voller Sorgfalt schraubte er den Schalldämpfer auf seine Pistole. Während der Erpresser sich in Richtung Kirche bewegte, ging er den bevorstehenden Ablauf noch einmal geistig durch. Er hatte sein Opfer bis aufs Blut ausgesaugt, da war nichts mehr zu holen. Aber Leute, die mit dem Rücken zur Wand standen und nichts mehr zu verlieren hatten, konnten sehr gefährlich werden. Entweder sie gingen zur Polizei gestanden alles, und gaben eine Täterbeschreibung ab. Das war absolut inakzeptabel. Möglicherweise schworen sie auch Rache, dass war überhaupt nicht gut, einen Feind im Rücken zu haben der nicht kontrollierbar ist, unkontrollierbare Situationen waren ebenfalls vollkommen untolerierbar. Oder sie versuchten mit kriminellen Machenschaften wieder auf die Beine zu kommen, und das musste unbedingt, unter allen Umständen, verhindert werden. Bei seinen Opfern handelte es sich durchweg um Amateure, Dilettanten, die bei kriminellen Handlungen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gefasst werden, bei den Verhören schlapp machen und alles den Bullen brühwarm erzählten, was wiederum zu Punkt eins führt. Die einzige saubere Lösung war, das Opfer musste entsorgt werden, schnell und gründlich.

 

Der Erpresser war immer darauf bedacht Amateure abzuzocken, Profis waren zu gefährlich, unkontrollierbar, nur Selbstmörder oder Idioten versuchten sich mit Profis. Einen echten Profi zu erpressen glich einem russischen Roulette. Echte Profis drohen nicht, sie töten!! Und zwar möglicherweise ihn, und das war kein schöner Gedanke.

 

Nun stand er im Eingangsschatten der Kirche und seine Aufmerksamkeit war nach Norden gerichtet, von wo er das Opfer erwartete. Er würde warten bis der zu Entsorgende auf  zwei Meter heran gekommen ist, dann seine Waffe ziehen und ihn mit einem Schuss ins Herz ausschalten.  In vielen Filmen und Bücher wurden Leute mit einem Kopfschuss zur Strecke gebracht (er las zwar keine Bücher, dafür sah er um so mehr Filme), aber die Wahrscheinlichkeit, mit einem Kopfschuss zu überleben, war sogar relativ hoch, und das konnte er nicht tolerieren. Ein Herzschuss hingegen war immer eine sichere Sache.

 

Der Erpresser schaute auf seine Armbanduhr, ein asiatisches Roleximitat, und stellte fest, dass der Erpresste schon zehn Minuten über der Zeit war. Das verärgerte ihn, er konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn seine Pläne nicht minuziös eingehalten werden. Nun ja, nicht mehr lange, und sein Ärgernis wäre beseitigt. So in Gedanken versunken sah er sein Opfer erst relativ spät, erdreistete es sich doch aus südlicher Richtung zu kommen, das verwirrte ihn, aber nur kurz. Halt, bleib stehen raunte der Erpresser in John- Wayne- Manier (dafür hatte er lange vor dem Spiegel geübt)!! Ich hab´ nichts mehr sagte der Erpresste! Ich weiß, antwortete der Erpresser, zog seine Waffe und schoss sein Gegenüber ins Herz. Dieser sackte zusammen, und die weiße Daunenjacke färbte sich rot. Der Erpresser nickte, steckte die Waffe ein und ging zurück zu seinem Auto. Gute Arbeit dachte er, ganz große Klasse, das war absolute Spitzenarbeit, erste Liga ganz weit oben, er klopfte sich gedanklich selbst kräftig auf die Schulter und schien, als er so stolz dahin schritt, etwas zu wachsen. Aber er war auch ein bisschen traurig, weil er niemandem von seiner klasse Arbeit erzählen konnte. Es gab einfach zu viele Pfuscher in seinem Genre, zu viele Nichtskönner, schwachsinnige Idioten, die nur ans große Geld wollen, die das Philosophische an dieser Art von Arbeit nicht sahen! Ja, er war in den letzten Jahren ein großer und tiefsinniger Denker geworden, was sich zweifellos in seinem Tun niederschlug.

 

Er schloss sein Auto auf setzte sich hinters Lenkrad und steckte den Zündschlüssel ins Schloss. Eins ließ ihn jedoch noch nicht ganz in Ruhe, wieso kam das Opfer anstatt aus Norden aus südlicher Richtung? Und war der Typ nicht früher einmal Bombenexperte??

 

Nun ist das so eine Sache mit dem Großhirn. Viele Handgriffe und Bewegungsabläufe, die ständig wiederholt werden, werden nicht mehr vom Großhirn gesteuert, sondern direkt vom Rückenmark. Man sagt bei Routinearbeit deshalb auch, es flutscht von der Hand. Ein Jongleur, der erst überlegen muss, welcher Ball aufzufangen, und welcher hochzuwerfen ist, leidet durch ständiges Bücken sehr schell und effektiv an der Bandscheibe.

 

Noch bevor das Großhirn des Erpressers „Halt“ schreien konnte, hatte das Rückenmark bereits den Befehl "Zündschlüssel umdrehen” gegeben.

 

Der Erpresser hörte den Knall nicht mehr. Die Explosion war gigantisch. Jeder psychopatische Bombenleger wäre bei der Symphonie dieser Detonation in höchste Ekstase geraten. Noch in gut 50 Meter Entfernung platzten die Fensterscheiben.

 

Nachdem auch der Nachhall langsam ausklang, erhob sich der ins Herz geschossene langsam, zog den Reißverschluss seiner Daunenjacke herunter, betrachtete die kugelsichere Weste mitsamt dem zerschossenen Farbbeutel, zog den Reißverschluss  wieder nach oben (denn es war kalt), und ging grinsend in Richtung Norden nach Hause.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.03.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.

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