Jörg Schwedler
Die Evolution der Übertreibung
Himbeerkuchen,
Kokosmakrone, Erdbeerkuchen, Apfelstrudel,
Käsekuchen-Limette, Tiramisu, Rhabarberkuchen, Russischer
Zupfkuchen, Fruchtstrudel, Schokomuffin und Mokka. Was sich hier
anhört, wie die Speisekarte eines Cafe`s im örtlichen
Seniorenheim, hat der Fachmann natürlich sofort erkannt.
Genau. Es
handelt sich um Joghurtsorten. Der Mensch verfügt
über eine
Eigenschaft, die es zu solchen Entgleisungen kommen lässt.
Nicht
nur im Kühlregal, sondern in allen Situationen des Lebens.
Diese
Eigenschaft nennt sich „Übertreibung“. Wir
übertreiben alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Wir
zelebrieren die Übertreibung.
Nehmen wir zum Beispiel eine Talkshow. Als Gast fungiert eine in die
Jahre gekommene Frau mit einer sehr umfangreichen körperlichen
Ausstattung. Wenn uns nun diese Frau erzählt, dass sie mit
ihrem
Gewicht vollkommen zufrieden ist, dann ist das schön
für sie,
aber schlecht für die Quote. Darum wird spätestens in
der
nächsten Woche eine ältere, dicke Frau mit der selben
Aussage
in die Sendung kommen und sich ausziehen. Noch eine Woche
später
wird wieder eine Frau dieser Sorte in die Sendung kommen, sich
ausziehen und fürchterlich mit einem jungen Herren streiten,
der
nicht auf Übergewichtige steht, aber schwer unter Akne leidet.
In
der nächsten Talkshow dann wird die Frau den jungen Mann mit
ihren
Brüsten erschlagen. Und dann stimmt die Quote.
Nun ist das Fernsehen zwar prädestiniert für
Übertreibungen, aber selbst im normalen Leben gibt es tausende
Beispiele. Das beginnt mit am Internet angeschlossenen Toastern, die
eine normales Scheibe Toast in 47 verschiedenen
Bräunungsstufen
zelebrieren und endet beim 17-lagigen -Seidenraupen-Toilettenpapier de
Luxe, welches gleichzeitig Blinddarmentzündungen vorbeugt.
Aber
warum ist das so? Warum übertreiben wir modernen Menschen
einfach
alles?
Warum rüsten wir einen Toaster so lange auf, bis er irgendwann
zum
Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird und
die
Weltherrschaft übernehmen will? … Und warum sollte
ein
Toaster eigentlich schlechter sein als der jetzige Präsident.
Bei
genauerer Betrachtung würde ich ihn aus Mangel an Alternativen
wahrscheinlich auch wählen. Ich finde schon, dass Toaster das
Recht
haben sollten, Präsident zu werden. Arnold Schwarzenegger ist
schließlich auch Gouverneur.
Aber zurück zum Thema. Ich glaube, die Übertreibung
ist ein
Ergebnis der Evolution. Nicht weil wir das Übertreiben zum
Fortbestand unserer Rasse benötigen, sondern weil die
menschliche
Evolution nicht mehr existiert. Das hat nichts mit Intelligentem Design
zu tun, sondern beruht einfach auf der Tatsache, dass die menschliche
Evolution von der technischen Evolution abgelöst wurde. Wenn
es in
der jetzigen Zeit eine Abkühlung des Klimas gibt,
würde uns
Menschen über die Jahre kein neues Fell wachsen. Stattdessen
würden wir einfach wärmere Klamotten herstellen.
Falls unsere
Nahrung nur noch auf Bäumen wachsen würde, entwickeln
unsere
Körper keine Kletterorgane oder lange Hälse, sondern
wir
legen den Baum einfach mit einer Motorsäge um,
züchten einen
gentechnisch veränderten Minibaum oder gehen zu Mc
Donald’s.
Sogar das Denken wird uns inzwischen abgenommen. Wir lassen uns im Auto
die 600 Meter zum nächsten Zigarettenautomaten von einem
Navigationssystem erklären, Kühlschränke
sagen uns
übers Internet, wann der mediterrane Brotaufstrich mit
getrockneten Tomaten abgelaufen ist, der Wahl-o-Mat rechnet aus, welche
Partei zu uns passt, und die Bild bildet unsere Meinung.
Der Körper musste früher viel Energie für
die Evolution
oder das Denken aufwenden. Da dies in der heutigen Zeit nicht mehr
notwendig ist, verfügt der Körper über
unglaubliche
Energiereserven und diese nutzen wir gnadenlos für die
Übertreibung.: Ob in der Unterhaltung, in der Wirtschaft, in
der
Technik oder in der Wissenschaft. Wir übertreiben einfach
alles
und erlangen in diese Richtung immer mehr Wissen - Wissen, welches uns
Evolution und vor allem das Denken erspart. Das erklärt auch
gleichzeitig das Gefühl, dass alle um uns herum langsam
verdummen,
und beweist zudem die These, dass die Intelligenz auf diesem Planeten
konstant bleibt, obwohl die Bevölkerung wächst - denn
je mehr
von diesem Wissen die Menschheit erlangt, um so mehr verblödet
sie. Es könnte sein, dass ich jetzt etwas übertreibe,
aber
bedenken sie das bitte, wenn sie das nächste mal einen
Käsekuchen-Limette-Joghurt kaufen. …. oder einen
Toaster.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.04.2006.
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