Jürgen Behr

LAUTSPRECHER und WEGE INS NICHTS

Quäkend sprechen Lautsprecher zu der Welt, zu den Menschen, mit rauhen Stimmen, wie heissergeschrien an zu vielen Tagen. Die Stimmen sind papieren und ihr Gesicht, und sie singen Musik hinein in eine Welt ohne Gesang.
 
Die Menschen haben verlernt eigene Lieder zu singen und ihre Töne sind zu schwach für den Lärm der Strassen. Doch die Lautsprecher, die haben knarrende Stimmen; SIE singen jetzt und sie sind laut genug. Sie schreien ihre Botschaft hinaus in das Getöse dieser Welt und werden ein Teil davon. Denn es gibt viele Lautsprecher und in ihrer Stimmgewalt haben sie nur sich selbst zu fürchten, nur sich selbst, nichts sonst. Und sie singen immer richtig, diese Weltmünder, und nur wer ihnen genau zuhört, kann manchmal einen falschen Ton erhaschen in jener verworren komponierten Symphonie.
 
Die Lautsprecher sind überall. Sie sitzen plärrend auf Krankenwagen, Polizei- und Feuerwehrautos, sie sind die Stimmen der Radio- und Fernsehapparate, sie schreien Musik hinein in das Lichterspiel der Diskotheken, knarren auf Bahnhöfen, Flughäfen und in den Strassen; überall sind sie, die Lautsprecher, überall. – Schwarzhohläugig starren sie vor sich hin in trägem Stumpfsinn, und wissen immer etwas zu sagen und zu singen, ihnen gehen niemals die Lieder aus, und die Worte, sie wissen immer etwas, das noch keiner weiss, die Lautsprecher.
 
Sie beherrschen unsere Welt. – Sie erziehen unsere Kinder, treiben mit uns Gymnastik, unterhalten uns, sagen, was wir zu sagen haben, oder zu kaufen, wie viel wir essen dürfen, was wir in unserer Freizeit tun sollen, geben uns die Lieder, die wir singen; sie sind die Herren der Welt.
 
Lautsprecher, in ihrer Stimmgewaltigkeit, in ihrer Unbestechlichkeit und Kälte, mit ihrem unendlichen Wissen und ihrem unerschöpflichen Ideenreichtum, mit all dem, was sie für uns tun, sie sind einfach da, einfach vorhanden, sind interessant, unterhaltend, humorvoll und einfach immer da, nur so.
 
Lautsprecher sprechen zu der Welt, mit fremden Stimmen, von überall her und überall hin, aus schwarzen papierenen Gesichtern, schwarz, wie die Nacht, die alles unter sich erstickt.
 
 
WEGE INS NICHTS
 
Ich möchte schlafen. Viele Tage haben mich müde gemacht, und ich habe zu viel Nacht gesehen, und Nacht ist das, was bleibt, wenn nichts mehr ist.
 
Warum muss es nur immer Winter sein? Ich mag die Kälte nicht, die einen frieren macht, die die leeren Häuser füllt, die leeren Zimmer und die leeren Hände.
 
Wohin führt der Weg, auf dem ich gehe? Ich habe Menschen gesehen, und Menschen haben mich gesehen. Wohin führen all die Wege?
 
Und in den Gärten blühen Blumen ganz aus Eis. Sie sind wie gefrorenes Licht, und wenn man sie greift, zersplittern sie zu feinen Nadeln aus Kristall.
 
Ich möchte Hände haben, wie samt, sie zu halten, schön wie sie sind, ohne dass sie leiden. Weshalb werft ihr mit Steinen nach den Blumen, ihr ohne Zeit und ohne Ziel? Auch ihr geht ins NICHTS. Auch ihr braucht Blumen.
 
Und all die Kinder, die wie Sommerfalter sind, die ihr auf Wege schickt, auf steinige Wege, ohne Ziel - warum?! Seht ihr nicht, dass sie Flügel haben zu fliegen? Sie lieben die Sonne, und ihr schickt sie in den kalten Winter, ohne Ende.
 
Wüsste ich den Fluch, der Welt zu fluchen, würde ich ihn sprechen? - wozu? Ist denn nicht Fluch genug?
 
Oh, ich bin so müde. Wie gerne würde ich doch schlafen. Doch der Weg führt vor mir bis zum Horizont; vielleicht ist er dort zu Ende. Aber nach tausend Schritten wird er scheinbar tausend Schritte länger. Und ginge er auch zu Ende, er bleibt dennoch ohne Ziel.
 
Ich bin schwach; kaum noch bin ich losgegangen und bin schon müde.
 
 
(Lautsprecher und Wege ins Nichts sind genau 30 Jahre alt. Sie zählen daher zu meinen Frühwerken. Zu meinen ersten literarischen "Gehversuche". Damals beherrschte das "GRAU", die Nacht und der Tod mein Schaffen. Daher nenne ich diese Zeit auch die "graue Periode". Die Brücke und Scherben stammen ebenfalls aus dieser grauen Periode.) 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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