Reinhard Schanzer

Pfeifenraucher

Sie wundern sich, warum ein männlicher Raucher nicht einfach zu einer bequemen Zigarette greift, sondern sich mit der äußerst umständlichen Prozedur des Rauchens einer Pfeife belastet?
Männer behaupten ja immer, sie würden nur deshalb Pfeife rauchen, damit sie das Aroma des Tabaks besser genießen können, aber dieser Vorwand ist blanker Unsinn. Es geht dabei um einen völlig anderen Genuß.
Ich werde es Ihnen sofort erklären:
 
Eine Pfeife zu rauchen, hat im Grunde überhaupt nichts mit herkömmlichem Rauchen zu tun, ganz im Gegenteil.
Es handelt sich bei dieser Prozedur vielmehr um eine heilige Zeremonie, in Etwa vergleichbar mit der Vorbereitung und dem Entzünden eines Opferfeuers in archaischen Zeiten.
Sicher wird Ihnen schon aufgefallen sein, daß Zigarettenraucher und Pfeifenraucher zwei völlig unterschiedliche Spezies vom Menschen sind? In Etwa zu vergleichen mit einem Neandertaler und einem Alien aus einer anderen Galaxie.
Während man - zu Recht - mit einem Zigarettenraucher ein erhöhtes Kommunikationsbedürfnis assoziiert, stellt der Pfeifenraucher genau das Gegenteil dar.

Entschuldigen Sie bitte, daß ich so weit aushole, aber vielleicht werden Sie sich erinnern, daß schon der große Indianerhäuptling Sitting Bull beim zeremoniellen Rauchen der Friedenspfeife, also des Camulets keinen Pieps gesprochen hat, sondern mit seinen Gedanken in völlig anderen, höheren Sphären schwebte und sein Geist einen längeren, stillen Diskurs mit Manitou, also dem Großen Geist hielt.
Leider ist uns die genaue Zusammensetzung des Krautes, das er dabei rauchte, nicht überliefert. Von Historikern wird jedoch als gesicherte Erkenntnis angesehen, daß es sich um die Beigabe eines halluzinogenen Rauschmittels wie z.B. Mescalin oder getrocknetem Fliegenpilz gehandelt haben muß.
Wie sonst wäre der überraschende Angriff auf die 7th Cavalry von General Custer zu erklären gewesen?
 
Aber kommen wir zurück zum Thema:
Auch der Pfeifenraucher von heute sucht auf gar keinen Fall die verbale Kommunikation mit seinen Mitmenschen, sondern genau das Gegenteil: Er möchte in Ruhe gelassen werden.
Ganz abgesehen davon, daß die meisten Pfeifenraucher auch Besitzer eines großen Hundes, Vollbart- und Brillenträger sind, wirken sie auch in ihrer ganzen Persönlichkeit eher etwas distinguiert, also auf gut Deutsch: ballaballa.
Sowohl ein großer Hund, eine mehr oder weniger lange Pfeife, ein Vollbart, als auch eine dunkle Brille werden nämlich in der Psychologie als klassische, männliche Abstandshalter betrachtet, damit ihnen ja niemand zu nahe auf die Pelle rückt, am Allerwenigsten aber eine Frau.
 
Lassen Sie mich dazu ein anschauliches Beispiel anführen:
So ein Vollbartträger mittleren Alters mit Jagdhund, Hut und dunkler Sonnenbrille kommt an einem sommerlichen Nachmittag in eine Ausflugsgaststätte, in welcher - im Biergarten unter blühenden Kastanienbäumen - reger Betrieb herrscht.
Jäger ist er offensichtlich nicht, da er zwar seinen riesigen Geländewagen vor dem Lokal geparkt hat, dieser aber über chromblitzende Alufelgen verfügt und nicht das geringste Stäubchen auf dem dunklen Lack zu erkennen ist. Außerdem besitzt der Eigentümer keinerlei Jagdausrüstung oder Langwaffen und es handelt sich um ein auswärtiges Kennzeichen.
Er bleibt längere Zeit vor dem Torbogen des Einganges stehen, sieht sich etwas um, ohne die dunkle Brille abzunehmen und entdeckt ganz am Rande des Biergartens einen kleinen, noch freien Ecktisch, obwohl an anderen Tischen noch genügend Platz für mehrere Personen frei und somit auch eine Unterhaltung gut möglich gewesen wäre.
Zielsicher steuert er diesen Tisch an und setzt sich nach alter Manier amerikanischer Kopfgeldjäger und Revolverhelden so, daß er sowohl die Sonne, als auch die Wand der Pergola im Rücken hat. Seinen Köter hat er am vordersten Tischbein angeleint, damit jaa niemand auf die Idee kommt, einen weiteren, noch freien Platz an "seinem" Tisch einzunehmen.
Im Biergarten spielende Kinder machen jedenfalls einen großen Bogen um den knurrenden Köter, schließlich weiß man ja nie...
Bei der Bedienung bestellt der Anonymus ein kleines Wasser für sich und eine große Schale Wasser für seinen Hund. Etwas essen? Nein, danke, möchte er nicht.
Ohne Hut und Brille abzunehmen, kramt er in seinem mitgebrachten Lederkoffer herum, klappt ihn schließlich vor sich auf und wählt mit Bedacht eine der 29 Pfeifen aus, die sich darin befinden.
Sowohl ich, als auch meine Freundin sind tief beeindruckt: Als bekennender Nichtraucher hätte ich es nie für möglich gehalten, daß es überhaupt so viele verschiedene Pfeifen gibt. Das sind ja wesentlich mehr, als der örtliche Tabakladen in seiner Auslage liegen hat.
Was man an einem schönen Sonntagnachmittag nur alles mit sich rumschleppen kann!
Endlich hat er seine Wahl getroffen: Er entscheidet sich für eine dunkle Pfeife mittlerer Länge mit strukturiertem Kopf und leicht gebogenem Mundstück.
Diese beginnt er nun zu reinigen, aber nicht etwa nur das Mundstück kurz durchwischen, neeeiin, sondern eine Intensivreinigung, die den Verdacht nahelegt, er habe diesen Koffer samt Inhalt unmittelbar zuvor aus der städtischen Kanalisation gefischt.
Dabei hat er den gesamten Tisch in Anspruch genommen, an dem mühelos drei bis vier weitere Personen mitsamt Gedeck Platz gefunden hätten. Es ist ganz erstaunlich, was man zum Reinigen einer ordinären Pfeife alles braucht, das Operationsbesteck eines Chirurgen wirkt dagegen regelrecht erbärmlich.
Da gibt es Bürsten verschiedenster Art, bunte Dochte in unterschiedlichen Farben und Längen, Kratzer und Schaber wie bei einem Gynäkologen, lange, verschieden gebogene Ahlen und noch vieles mehr, das ich an dieser Stelle gar nicht alles wiedergeben kann.
Ganz dunkel dämmern in meinem Unterbewußtsein Erinnerungen an die Zeit beim Militär, als wir die langen Kanonenrohre der Panzer reinigen mußten, die der Feldwebel anschließend einer peinlich genauen Überprüfung unterzog, aber diese Assoziation nur am Rande.
Endlich, die Reinigung scheint abgeschlossen zu sein. Aus einer weiteren Schatulle wählt er bedächtig eine von zwölf Tabaksorten aus.
Eine davon wird geöffnet, kurz daran geschnuppert, tief Luft geholt, nach einer kleinen Gedenkpause und einem leichten Kopfschütteln wieder verschlossen und mit der nächsten Tabakdose dieselbe Zeremonie zelebriert, bis er sich endlich für No. 9 entschieden hat.
Doch halt! - Nach einem prüfenden Blick auf die blühenden Kastanienbäume wird diese Dose wieder sorgfältig verschlossen und - nach kurzem Zögern - die No. 7 gewählt.
Dann wird - mit weiteren, chirurgisch anmutenden Geräten - die Pfeife in mehreren Lagen kunstvoll mit Tabak gestopft. Nicht zu fest und nicht zu locker, schließlich sollte ein gleichmäßiger Abbrand erreicht werden und die Glut nicht von selbst erlöschen.
Schließlich und endlich ist es so weit: Die "geladene" Pfeife wird - nach einem prüfenden Blick in alle vier Himmelsrichtungen - zum bärtigen Mund geführt und die Zeremonie des Feuerentfachens steht auf dem Programm.
Wenn Sie aber geglaubt haben, daß er nun einen Holzstock, Feuerstein und Zunder aus seinem Lederkoffer entnehmen würde, so muß ich Ihnen leider eine herbe Enttäuschung bereiten.
Zwar besitzt er kein ordinäres Gasfeuerzeug, aber aus einer weiteren Ecke seines Koffers kramt er eine riesige Schachtel Streichhölzer hervor, die mich ganz Entfernt ein wenig an die große, hölzerne Griffelschachtel meiner frühen Schulzeit erinnert.
Ein Streichholz mit über 20 cm Länge wird entzündet und mit einem kurzen Seitenblick zur Eingangstür der Gaststätte erkenne ich, daß der Wirt bereits den großen Feuerlöscher in der Hand hält.
Aber keine Sorge: Der Pyromane macht dies ja nicht zum ersten Mal!
Die Flamme wird an den gefüllten Pfeifenkopf geführt und mit mehreren langsamen Zügen der Tabak zur Glut gebracht.
Auch der Duft des verwendeten Krautes erinnert irgendwie an getrockneten Fliegenpilz. Genau wie damals bei Sitting Bull, Sie erinnern sich?
Inzwischen hat die freundliche Kellnerin das gewünschte Wasser für den Herrn und die Schale Wasser für den - immer noch knurrenden - Köter gebracht und zwischen all den Utensilien, die der passionierte Pfeifenraucher dringend benötigt, hat sich noch ein kleines Plätzchen gefunden, wo sie das Glas Mineralwasser abstellen kann.
Endlich kann er sich entspannt zurücklehnen und eine konzentrierte Rauchwolke in die Richtung eines - glücklicherweise nicht vorhandenen - Gesprächspartners blasen.
Ich warte gespannt darauf, ob er nach dem nächsten Zug vielleicht eine andere Himmelsrichtung wählen würde, denn genauso habe ich es bei Karl May gelesen.
Er tut es aber nicht, Karl May hat wohl zum erstenmal in seinem Leben gelogen. Ich nehme mir jedenfalls vor, nie wieder eines von seinen Büchern zu lesen.
Der Biergarten hat sich inzwischen gut mit weiteren Gästen gefüllt, ein junges Pärchen fragt höflich, ob denn wohl noch ein Plätzchen an diesem Tisch frei wäre, aber der Anonymus schaut nur völlig konsterniert auf. Das Knurren des Köters nimmt bedrohliche Ausmaße an und das junge Pärchen sucht sich schnell einen anderen Platz drinnen in der Gaststube.
Nach endlos lang erscheinender Zeit hat er seine Pfeife fertig geraucht und die Kellnerin erkundigt sich freundlich, ob er denn noch einen Wunsch habe.
Mit einem leichten Kopfschütteln und einer herablassenden Handbewegung bedankt sich der Anonymus bei der Kellnerin für diese Frage, jedoch ohne sie eines Blickes zu würdigen. Er begleicht seine Rechnung, überprüft diese mit einem kritischen Blick und fängt an, seine Utensilien langsam und bedächtig wieder zusammenzupacken. Er leint seinen - immer noch knurrenden - Hund los und macht sich - alleine, wie er gekommen war - wieder auf den Weg zu seinem Geländewagen.
Eine Gruppe junger Leute hat schon eine ganze Weile auf einen frei werdenden Platz gewartet und sie freuen sich, daß der seltsame Anonymus mit seinem Köter endlich verschwunden ist.
 
Meine Damen, ich frage Sie allen Ernstes: Möchten Sie wirklich so ein Exemplar bei sich zuhause in ihrem Wohnzimmer sitzen haben?
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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