Lars Schmitt

Das ist auch gut so!

Frank Loheimer ging die kalte Aluminiumtreppe hinauf, die ihn zum neuen Haus seines Freundes führte. „Ich habe endlich etwas gefunden, was zu mir passt. Ein Platz für mich und meine Lieben. Und das ist auch gut so!“, hatte Peter Lehmann ihm am Telefon gesagt. Nach der Scheidung von seiner Frau Barbara hatte sich Peter total verändert. Er fing an zu rauchen, trug ausgefallene Klamotten, die er als „hip“ und „den letzten Schrei“ bezeichnete, und war auch sonst ein ganz anderer Mensch geworden. Seine neue Freundin, die er bei seinem Zweitstudium an der Universität kennen gelernt hatte, war mit ihren 21 Jahren gerade mal halb so alt wie er.

Nun stand Frank vor dem Haus, das mit seinem terrassenförmigen Dach auf beiden Seiten einen sehr symmetrischen Eindruck machte. Der flache Bau, vermutlich aus den siebziger Jahren, wurde von einem quadratischen Garten umgeben, durch den sich zur Straße hin auf beiden Seiten ein gleichmäßig spiralförmiger Gartenweg zum Eingangsbereich schlängelte. Dieser war sehr nüchtern und grau gehalten, und wurde am Abend und in der Nacht von breiten Neonröhren bestrahlt. Eine große Glasfront an der gesamten Vorderseite verlieh dem Haus die Note eines „gläsernen Schuhkartons“.

Zögernd blieb Frank eine Zeit lang im Eingangsbereich stehen, bevor er den verchromten Klingelknopf fand und ihn vorsichtig, als könnte er ihn durch zu viel Druck beschädigen, betätigte. Der schleppende Dreiklang einer triumphalen Fanfare kündigte seinen Besuch an, gefolgt vom Gebell mehrerer Hunde. Peter Lehmann öffnete ihm die Tür mit einem breiten Grinsen.

„Gut siehst Du aus, Frank!“, spulte er seine Standardbegrüßung ab, und bevor dieser ihm etwas erwidern konnte, nahm er Franks Mantel und hängte ihn etwas unbeholfen an die viel zu groß geratene Garderobe. Frank stand etwas irritiert im Flur, der sich über die gesamte Tiefe des Hauses zu erstrecken schien. Die von außen bekannte Sterilität und Nüchternheit des Hauses wurde größtenteils fortgesetzt und durch die Mondänität der im Haus befindlichen Möbel gebrochen.

„Na, was sagst Du dazu, alter Junge? Coole Kiste, oder?“, strahlte Peter ihn an, als er ihn durch die einzelnen Räume des Hauses führte. „Nach der Trennung von Barbara habe ich lange Zeit am Boden gelegen, aber jetzt habe ich mich wieder berappelt, und mir geht’s wieder richtig gut.“

Oh ja, die Trennung von Barbara: Frank glaubte Peter kein Wort von seiner Ich-bin-über-diese-Sache-hinweg-Nummer. Wusste er doch viel besser, wie sehr Peter seiner damaligen Frau nachgejammert hatte. Nächtelang hatte er mit ihm in der Kneipe gesessen und sich die gesamte Leidensgeschichte angehört: Angefangen bei Barbaras bestätigtem Verdacht (Peter hatte es damals mit einer Arbeitskollegin getrieben) bis hin zu den ersten Briefen von Barbaras Scheidungsanwalt. Peter hatte ihm damals leid getan wegen dieses dummen „Ausrutschers“. Doch schließlich musste er für seinen Fehler büßen, und man nahm ihm nicht nur den Großteil seines Einkommens, sondern auch sein Auto und das gemeinsame Haus.

Frank hatte diese Sache früher oft genug mit seiner Frau Martina diskutiert. Doch die winkte jedes Mal nur ab: „Er hat Fehler gemacht, und dafür muss er halt bluten!“. ‚Kollektiver Zusammenhalt’ nennt man so etwas, dachte Frank dann nur. Leid tat es beiden um die Kinder, Noah und Elias. Sie waren zum Zeitpunkt der Trennung ihrer Eltern noch Grundschulkinder und bekamen somit allen nötigen Zündstoff mit, der ihrer Entwicklung schaden könnte.

Die Führung war inzwischen im Badezimmer angekommen. Neben einem Whirlpool und einer Neun-Strahlen-Komfort-Dusche galt Peters uneingeschränkte Aufmerksamkeit dem selbstreinigenden WC-Sitz. „So etwas Exklusives gibt es sonst nur auf Autobahnraststätten“, strahlte er seinen Freund an. Frank schaute sich genauer im ersten Stockwerk um. Es gab hier neben dem komfortablen Badezimmer noch ein riesiges Schlafzimmer und mehrere kleinere Zimmer, in denen sich allerlei Krimskrams befand. Eines davon schien ein Fitnessraum zu sein, standen dort doch neben einem Laufband und verschiedenen Hanteln auch ein Tretrad und ein ruderbootähnliches Gerät. Doch Kinderzimmer fand Frank keine.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass es auch in den gesamten anderen Zimmern keinerlei Hinweise auf den Verbleib der beiden Jungen gab. Dass Barbara damals das Sorgerecht erstritten hatte, war Frank zwar hinlänglich bekannt, doch durfte Peter alle zwei Wochen seine Kinder sehen und über ihren Aufenthalt bestimmen.

„Wer sind denn eigentlich Deine Lieben?“, fragte er seinen Freund unverblümt, in der Hoffnung, eine klare Antwort über die Existenz von Noah und Elias zu bekommen.

„Meine Lieben?“, fragte Peter etwas irritiert, bevor er sich an seinen Telefonanruf erinnern konnte. „Ach, so! Du meinst meine neue Freundin, Elina, und meine beiden Hunde Ronny und Tom. Labradormischungen, aber bissfest wie Reinrassige!“, lachte Peter, der das Thema damit als erledigt ansah.

Zum Kaffee gab es natürlich nur das Edelste aus der „exklusiven“ Cappuccino-Maschine. „Exklusiv“ hatte sich zu Peters Lieblingswort etabliert und Frank merkte schnell, dass er dieses Wort immer dann benutzte, wenn er über die guten alten Zeiten hinwegtäuschen wollte und andere belehrte, wie wichtig doch diese technischen Errungenschaften für das moderne Leben geworden seien und wie gut doch dadurch die heutige Zeit sei. Doch Frank hielt es an diesem Tag nicht mehr lange aus, die Schlichtheit des Hauses erdrückte ihn. Im Grunde passt Peter hier ganz gut rein, dachte er sich, ist er doch genau wie dieses Haus: Angefüllt mit allem technischen Komfort und Schnickschnack, aber ohne wirkliches Leben im Inneren.

Direkt nach dem Kaffee verabschiedete sich Frank und warf seinem Freund einen erleichterten Blick zu: „Was ist eigentlich mit Deinen Kindern, Peter?“, fragte er, als er noch halb in der viel zu großen Haustür stand. Peter schien nicht gleich zu verstehen, schaute zumindest ziemlich hilflos drein. „Noah und Elias, was ist mit denen?“.

„Ach so, die. Die sind bei meiner Frau. Ich darf sie alle zwei Wochen mal sehen, aber meistens wollen sie nicht zu uns, weil wir keinen Platz für sie haben.“

Das ist auch gut so!, dachte Frank, als er die Aluminiumtreppe hinunterlief, die spiralförmigen Gartenwege abkürzte, indem er über den Rasen ging, und endlich die Klinke des Gartentors in der Hand hatte und die erste frische Luft der angrenzenden Straße einatmete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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