Sabine Gabriel

Aus tiefer Not

Aus tiefer Not schrei ich zu Dir, Herr,
und Du hast mich erhört.
Aus tiefer Nacht rief ich zu Dir, Herr,
und Du brachtest mich ans Licht.
Das Licht war schön, das Licht war hell
- viel zu grell …
Ich schloss die Augen,
ich öffnete sie wieder
- rundherum
War alles voller Lieder.
(Wo man singt, da lass dich nieder,
auch böse Menschen haben Lieder
- aber andere … )
Die Sonne schien, es war so warm,
und langsam die Erinn'rung kam …

die Erinnerung an ein längst verloren geglaubtes Paradies,
das mit all meinen Lieben
diese Erde verließ …

Ich war zu klein, um zu begreifen, was geschah.
Unsere Kultur war kalt und hart,
jeder gegen jeden und alle gegen mich,
denn ich passte nicht

in ihr Schema von "selbst schuld" und "sieh zu, wie du klar kommst". Ich verstand sie nicht. Meine Oma sagte " ich sehe, wie schwer du es hast" und packte an. Sie sagten "ich sehe, wie schwer du es hast - sieh zu, wie du klar kommst, ich musste auch alleine da durch und hab es auch alleine geschafft".

Sie waren stolz, emanzipiert zu sein, selbständig zu sein, alles allein zu können, keinen zu brauchen, den Mut zu haben, andere endlich auch mal zu verletzen.

Ich verstand sie nicht. Meine Oma sagte "man muss zusammen halten und sich gegenseitig helfen".
Sie brachte mir das Beten bei.
Und nun ist sie schon lange tot.

In unserer Kultur waren sie so stolz darauf, selbständig zu sein und keinen zu brauchen. Sie brauchten ihren Verstand, ihre Vernunft, Gott brauchten sie nicht. Was sich mit rationalem Verstand nicht nachweisen lässt, existiert auch nicht.

Es ging eine große Einsamkeit und Verlassenheit von ihren Worten aus.

Und so versank ich also im Dunkel de Nacht in eisiger Kälte, bis ein wärmender Lichtstrahl mich erreichte. Ein Mensch aus einer fremden und doch so vertrauten Kultur fand mich und liebte mich. Was er sah, liebte er - er sah vieles, und er liebte alles. Vorbei waren die Zeiten, dass ich mich verstecken musste, weil alles irgendwie falsch an mir war. Vorbei waren die Zeiten, da ich es doch endlich einsehen sollte, dass ich so verkehrt bin, dass man mich einfach nicht lieben kann.
Aber auch dieser Sonnenstrahl kitzelte einfach nur meine Nase und erstarb in der Blüte seiner Jahre.

Wieder versank ich im Dunkel der Nacht, aber die Saat ging auf, neues Leben keimte in mir, die Sehnsucht nach dieser fremden und doch so vertrauten Kultur, die ich bei all meinen Besuchen dort kennen gelernt hatte, die Sehnsucht nach dem Selbstverständlichen, dem liebevollen, hilfsbereiten und menschlichen Miteinander wuchs ins Unermessliche. Die Menschen dort, sie waren einfach anders, nicht alle, aber doch das grundsätzliche Miteinander, was ich dort als das Normale erlebte, entsprach genau dem, was ich selbe als das Normale empfand und worauf ich in der alten "Heimat" einfach keine Antwort bekam. Ich fühlte mich immer und immer als Fremde im eigenen Land …

Ich war bereit, alles aufzugeben, all das vertraute Unvertraute wollte ich verlassen. Ich wurde gewarnt, dass das nicht funktionieren würde, dass Fremde in einem kleinen gewachsenen Ort von den Ansässigen und dort tief Verwurzelten niemals akzeptiert und in die Gemeinschaft aufgenommen würden.

Nachdem ich ein Jahr lang durch die Lande gezogen war und mit vielen verschiedenen Menschen zusammen gelebt hatte, beschloss ich, das Risiko einzugehen im Vertrauen darauf, dass diese andere Art des Umgangs miteinander selbst dann eine heilsame Atmosphäre hätte, wenn ich nicht dazu gehören würde.


Aus tiefer Not schrie ich zu Dir, Herr,
und Du nahmst mich an die Hand
und führtest mich zum frischen Wasser,
wo die Sonne noch scheint
und die Herzen wärmt.

Und nun bin hier in der Fremde, die mir fremd und vertraut zugleich erscheint. Trotzdem berührt es mich so merkwürdig, wenn all die vertrauten Reaktionen ausbleiben, wenn mir Mitgefühl begegnet statt Ablehnung, Hilfe Rücksichtnahme statt "sieh zu, wie Du klar kommst", Annahme statt Verletztwerden, Entgegenkommen statt Rückzug, Wärme statt Kälte … und dabei sehnten sie sich auch in der alten Heimat nach Liebe und Wärme und dem Ende der Einsamkeit, während sie alle so kalt und lieblos miteinander umgingen.


… Du weidest mich auf einer grünen Aue,
Dein stecken und Stab trösten mich …

Nach langer tiefschwarzer Nacht dämmert nun langsam der Morgen und küsst mich wach. Am Grabe meines einstigen Sonnenstrahls flattert mir im Sonnenlicht zur Begrüßung ein Schmetterling entgegen, der voller Lebensfreude in der Sonne tanzt. So, als hätte er auf mich gewartet. Während er um mich herum flattert, verneige ich mich vor meinem Liebsten, danke ihm für alles, was er mir Gutes getan hat, für all seine Liebe, die keine Bedingungen stellte, dafür, dass er mich in diese sonnige Gegend gelockt hatte … einfach für alles, was mir so unendlich gut getan hat …

Ich verabschiede mich und folge dem Schmetterling … vielleicht führt er mich ja zu meinem letzten Traum hier auf der Erde: Hand in Hand der Sonne nach … mit einem Menschen hier auf der Erde, der mich liebt und den ich liebe. Jedenfalls bin ich nicht mehr so geschockt und verwirrt, wenn mir jemand Liebe begegnet. Es wird langsam normal …
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.04.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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