„Ich habe Angst.. Gehe hier schlafen, damit mich niemand findet... Der mir etwas antun möchte...“, gab Scarlet als Antwort. „Und wenn die Luft rein ist, geht Es hier schlafen!“
„Dir möchte niemand etwas antun, meine Liebe!“, erklärte er ihr. „Und das hier brauchst du nicht.“
Sie sah ihn immer noch leer an.
„Ich kenne dich mehr, als jemand anderes es je könnte“, sagte er noch. „Das hier bist du nicht! Sage mir, würdest du jemals jemanden wehtun?“
„...Nein. Niemals.“, sie schüttelte den Kopf und richtete sich mehr auf.
„Jedes Leben ist beschwerlich, hart und manchmal auch sehr ungerecht. Doch man hat Zeiten, in denen man Kraft tanken und sein Herz ausruhen kann. Aber dies ist keiner von solchen Orten! Denn hier bist du allein.“
„...Allein..“, wiederholte sie und zwinkerte eine Träne weg. Ihr erschienen goldene Augen und ein liebevolles Lächeln.
„Komme mit mir. Ich werde dir durch dein Leben helfen und viele andere werden es auch tun.“, sagte er und reichte ihr seine Hand. „Lass uns dir helfen.“
Die tiefen Brunnen füllten sich mit Wasser. Ihre Augen gewannen eine unverhoffte Stärke zurück, als sie seine Hand vom Weiten ansah.
Sie streckte ihren schönen, weißen Körper und ihre Hand nach ihm aus.
„Zeige mir diese Zeiten!“, sagte sie und nahm seine Hand.
Es dauerte nicht lange und die Fledermaus geriet vor Frust in Rage, als sie das harte Glas nicht zerbrechen konnte. Doch ein letzter Versuch war es noch wert. Brüllend schlug sie mit ihrer Pfote auf die Scheibe, durch die sich gut sichtbare Risse zogen.
Scott und Logan flankierten kampfbereit Ororo, Henry und den Professor, doch mussten feststellen, dass das Tier aufgehört hatte zu fauchen.
Gebannt, was nun passierte, bemerkten sie nicht, dass Charles aus seiner Trance erwacht war und nun in Scarlets Gesicht sah, in der Hoffnung, sie würde erwachen.
Die Stirn der Fledermaus schien sich tatsächlich zu lockern und nun konnte man menschliche Züge erkennen, die ihre schönen Augen zur Geltung brachten.
Sie schweifte mit ihren großen Augen über die Gesichter, die sie gebannt anstarrten.
Sie holte zaghaft Luft und ihr braunes Fell bildete sich langsam zurück. Ihr Körper wurde schmaler und zierlicher, ihre Flughaut schmieg sich langsam wieder an ihre Seiten, die Finger wurden kürzer und ihre Klauen verschwanden.
Wie in einem Traum sah sie mit weiterhin weit geöffneten Augen auf das, was vor ihr war, bis sie vor Schwäche den Halt an der Kuppel verlor und nach hinten wegkippte; sie drohte in die Halle zu fallen.
Bamf! Kurt verschwand in seinem Dunst, um unten im Danger-Room wieder aufzutauchen und Scarlet aufzufangen.
Flach atmend öffnete sie ihren schweren Lider und erkannte nur ein verschwommenes
Gesicht. Leuchtend helle Augen sahen auf sie herab.
Ich kenne ihn, dachte sie nur und schlief vor Erschöpfung sofort ein.
„Jean, behandle sie sofort!“, sagte Charles zu ihr und sprach dann ins Mikrophon. „Kurt! Bringe sie schnell ins Labor!“
Jean eilte aus dem Kontrollraum und Kurt verpuffte auch schon.
Bedenklich stützte Professor X. sein Kinn auf den Handrücken ab und machte ein ernstes Gesicht.
„Was haben Sie mit ihr gemacht?“, fragte Logan.
„Ich habe einen tiefen Blick in Scarlets Bewusstsein geworfen und erkannte viele Ängste!“, antwortete er. „Eine davon konnte ich ihr nehmen. Die Angst vor dem Leben.“
Scott begutachtete den Riss in der Scheibe und strich mit den Fingerspitzen darüber.
„Was wäre passiert, wenn sie wirklich reingekommen wäre?“, fragte er.
„Wenn sie die Scheibe hätte zerbrechen können, bevor ich sie erreicht hätte, wären wir jetzt wahrscheinlich alle tot.“, erklärte Charles mit einer beunruhigenden gelassenen Stimme.
Alle sahen ihn erschrocken an.
„Sie kann wirklich eine Gefahr für uns und die Schüler werden, wenn wir ihr nicht bald alle Ängste nehmen können!“, fügte er hinzu. „Aber fürs Erste reicht es.“
„Gut!“, meinte Bobby und verschränkte die Arme. „Ich habe nämlich keine Lust heute noch einmal in so ein Maul blicken zu müssen!“
Rogue stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.
„Au! Was ist?“
„Taktlos, wie immer!“, gab sie nur zurück und entfernte sich.
*
Jean hatte zuerst nicht gewusst, was mit Scarlet los war. Ihr Atmen war flach und ihr Puls kaum fühlbar gewesen. Als erstes hatte sie das hohe Fieber sinken lassen.
Scarlet hatte die nötige Energie gefehlt. Ihr Körper war vollkommen ausgelaugt gewesen.
Kurt hatte Jean bei der Behandlung beigestanden und sie konnte seine Gedanken laut hören. Er hatte darum gebetet, dass Scarlet noch einmal heil davon kommen würde. Und auch jetzt betete er noch.
„Die Verwandlung muss sie sehr geschwächt haben!“, sagte Kurt zu ihr. Selber richtig fertig von den anstrengenden Stunden standen sie beide im Krankenzimmer und sahen zu Scarlet hinüber. „Nur warum, kann ich mir nicht denken.“
„Ihr Stoffwechsel ist daran schuld!“, erklärte sie, war sich selbst aber nicht wirklich sicher. „Er ist in ihrer Verwandlungsphase rasend schnell. Deswegen hätte sie eigentlich etwas Nahrung zu sich nehmen müssen.“
„Was sie aber nicht hat! Glück für uns!“, gab Kurt zurück.
„Und Pech für sie! Wenn sie länger in Verwandlung geblieben wäre, und das ohne Nahrung zu sich zu nehmen, wäre sie wahrscheinlich gestorben oder ihre Gesundheit stark gefährdet gewesen.“
Sie sahen zu ihr hinüber und Kurt bereute sein Kommentar sofort.
Sie lag ruhig in ihrem Krankenbett und wirkte durch ihre bleiche Haut, wie tot – hätte sie sich nicht in diesem Augenblick gerührt.
Sie spürte warme Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und öffnete langsam die Augen, wie aus einem süßen Traum.
Doch, als sie den ersten klaren Gedanken fasste, richtete sie sich kerzengerade auf.
Was ist passiert? Wo bin ich? Habe ich etwas angestellt??
„Hey, ganz ruhig!“, hörte sie Jeans Stimme und sah sie und Kurt an ihr Bett eilen. „Es ist alles in Ordnung!“
„Jean!“, sie ergriff ihre Hand. „Ist jemand verletzt?! H- habe ich euch angegriffen?!“
„Nein! Es geht allen gut!“, sagte Kurt und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Nur du solltest dich nicht so aufregen!“
Scarlet sah ihm in die Augen und schien etwas einzufallen. Er war es gewesen, der sie aufgefangen hatte. Aber durch ihre Verwandlung waren ihre Kleider zerrissen gewesen.
Sie wand mit rosigen Wangen ihren Blick von ihm ab und sank in die Kissen zurück, als sie daran dachte, dass er sie nackt in den Armen gehalten hatte. „Oh Gott!“
„Was hast du?“, vergewisserte sich Kurt.
Kurz mahnend nichts zu sagen sah sie Jean an, die ihre lauten Gedanken gelesen und mit den Brauen gezuckt hatte, und antwortete dann bloß: „I-ich hab bloß Kopfschmerzen!“
„Die vergehen sicher wieder.“, sagte Jean mit freundlichem Gesicht. „Das kommt daher, dass du bei der Verwandlung viel Energie verloren hast.“
„Und wie lange muss ich hier bleiben?“, fragte Scarlet und fing danach Kurts Blick auf, der behutsam auf ihr lag und ihr wieder Farbe im Gesicht schenkte.
Jean verkniff sich ein wissendes Lächeln.
„Ich würde sagen, bis morgen!“, sagte sie. „Kurt, könntest du dich bis morgen dann um sie kümmern? Ich habe noch andere Sachen zu tun.“
„Sicherlich!“, antwortete er.
Scarlet funkelte Jean mit einem Seitenblick an, der in etwa bedeutete: Wegen dir bekomm ich noch einen Nervenzusammenbruch!
„Mach dir keine Sorgen!“, hörte sie Jeans Stimme in ihrem Kopf. „Ich helfe dem Schicksal nur etwas nach!“
Heißen Dank, auch!, dachte sie, worauf Jean grinsen musste.
„Also, wir sehen uns noch!“, verabschiedete sich Dr. Grey und verließ den Krankenraum.
Nun herrschte eine peinliche Stille und die beiden sahen sich eine Weile nur an.
„So, kann ich dir irgendetwas bringen?“, fragte Kurt dann.
Verträumt sah sie ihn an und empfand zum ersten Mal ihr Herzklopfen nicht als bedrückend, sondern als schön.
„Ein Steak, blutig!“, sagte sie schmunzelnd. „Ich habe Hunger!“
Er bekam einen kleinen Schreck, bevor er verstand, dass es nur ein Scherz war und musste grinsen.
„Ich glaube das haben wir zur Zeit nicht im Haus.“, sagte er lächelnd. „Aber wie wäre es mit einem Amarican Hamburger mit extra viel Käse?“
Sie lachte leise und nickte. Und wo war ihre Angst jetzt?
Sie sah in seine gelben Augen und sein liebevolles Gesicht, welches ihr seit so langer Zeit vertraut war, und seufzte leise, als er sich wegteleportierte.
Was habe ich jetzt noch zu verlieren?, fragte sie sich und sah zur Decke. Ich meine, ich habe ihn bis morgen für mich allein. Ich könnte ihm ja... J- Nein! Kannst du nicht! Bist und bleibst ein Feigling. Teste ihn doch erst einmal! So ganz unbemerkt! Er ist immer noch ein Mann und merkt das sicher nicht!
Sie schloss wieder die Augen und erkannte nun, dass sie immer noch sehr müde war.
*
Die frische Luft tat allen gut. Scarlet am meisten, die darauf gewartet hatte endlich ihre Beine wieder mal ausstrecken zu können.
Sie betrachtete den Schnee auf den Ästen und genoss die warmen Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht. Nicht weit von ihr machten die Schüler untereinander eine Schneeballschlacht, die sich bald zu einem Massaker entwickelte. Sie tricksten sich gegenseitig mit ihren Kräften aus. Sogar Bobby machte sich seine eigene Munition.
Sie fühlte sich so wohl in ihrer Entspannung, bis sie auf einmal ein unverhofftes Echo empfand, welches sich als Schneeball entpuppt hatte und sie mitten im Gesicht traf.
Sie fiel vor Schreck rückwärts von der Bank, auf der sie gesessen hatte und rappelte sich dann auf. Sie hörte Gelächter und sah dann mit empörtem Gesicht auf die Schüler.
„Wer war das?!“, wollte sie wissen.
Nur Snake antwortete ihr stumm mit einem Fingerzeig auf Evan, einem farbigen Jungen, der von Snakes Verrat nicht sehr begeistert war, aber jetzt andere Sorgen hatte.
„Na warte!!“, rief Scarlet, griff mit beiden Händen in den Schnee und warf die Kugel auf Evan.
Er floh, sie bewaffnete sich mit noch mehr Schnee und jagte ihm hinterher. Sie lachte.
Es war eine Ewigkeit her, seit dem sie zum letzten Mal gelacht hatte. Aus Freude. Die Freude am Leben.
Wie sie nun mit den anderen Schülern im Schnee herumrannte und ihr Stückchen heile Welt auskostete. Aber nicht ganz unbeobachtet.
Henry, Kurt und Ororo saßen gemeinsam auf den Stufen zum Eingang des Instituts und unterhielten sich.
„Sie hat sich verändert!“, sagte Ororo verwundert.
„Wirklich zum Besseren! Seht sie an! Sie lebt sich endlich in unsere Familie ein!“, meinte Henry erfreut.
„Ich würde wirklich gerne wissen, wovor sie solche Angst hatte, dass sie sich vor uns verschließen wollte!“, erwähnte Kurt und betrachtete sie vom Weiten, wie sie Bobby einseifte.
„Sie war von Anfang an wohl nicht an Freundlichkeit gewöhnt!“, erzählte Henry. „Charles hat mir anvertraut, dass sie Jahre lang auf der Suche nach etwas oder jemandem war. Ich kann mir vorstellen, dass sie als Kind riesige Probleme mit ihrer Mutation hatte. So ganz alleine und ziellos durch die heutige Zeit zu wandern..“
„Sie lief auf der sicheren Seite, tut es vielleicht immer noch, nur um nicht verletzt zu werden.“, warf Kurt ein.
Henry versuchte in seinem Blick zu erahnen, was er dachte. Dann sagte er schließlich: „Diese Angst wurde ihr gestern von Charles genommen. Jetzt muss sie noch ihren eigenen Weg sehen!“
Scarlet duckte sich vor einem Schneeball, der aber in seiner Flugbahn Henry voll im Gesicht traf. Sie drehte sich um und legte eine Hand auf ihr Grinsen. Alle anderen kringelten sich fast vor Lachen und Henry schüttelte den Schnee von seinem pelzigen Kopf.
Die Schlacht ging dann weiter, aber ohne Scarlet, die sich keuchend vor ungewohntem Spaß zu den anderen auf die Treppe setzte.
„Hätte ich mich doch opfern sollen?“, fragte sie Henry schmunzelnd.
„Nein, nein!“, winkte er ab. „Ist schon in Ordnung einen alten Herren seinem Schicksal zu überlassen!“
Noch eine Weile unterhielten sie sich und Scarlet gab sich Mühe Kurt nicht auch nur anzusehen, wenn sie nicht mit ihm sprach. Sie versuchte ihn mal zur Abwechslung zu ignorieren und tat so, als sei er ihr egal.
Sie war sich nicht sicher, ob Henry es bemerkte, aber seine Blicke, die etwas überrascht wirkten, sagten ihr genug.
Es war schwer. Innerlich wollte sie ihn einfach nur umarmen. Aber immer noch fehlte ihr das Selbstvertrauen.