Norbert Wittke
Der Dichterengel
Vor einer Lesung kam mir ganz plötzlich die Idee, wenn ich manch einem im Gespräch
mitteile, dass ich Gedichte oder Geschichten schreibe, werde ich oft mitleidig angeschaut,
etwa so wie aus welcher Klapse ist der denn entsprungen?
Für den Normalbürger sind alle die schreiben so etwas wie Außenseiter. Wer will sich
damit schon den Tag versauen.
So begann ich also die einleitenden Sätze vor der Lesung:
"Meine Damen und Herren ich freue mich, dass Sie sich zu dieser Lesung eingefunden haben
und mit Neugier darauf warten, was Ihnen hier von mir geboten wird.
Nun Sie fragen sich sicher, wie kommt einer wie der zum Schreiben?
Als Antwort dazu muss ich Ihnen sagen, dass ist im Grunde genommen alles sehr einfach.
Zunächst nehme ich mir ein Blatt Papier und einen Schreibstift. Dann rücke ich am
Schreibtisch meinen Stuhl zu recht. Ich nehme dann Kontakt auf zu meinem Dichterengel,
der nur für mich zuständig ist. Meiner heißt übrigens Bruno.
Dann einigen wir uns über ein Thema, sei es nun ein Gedicht oder eine Geschichte.
Jetzt ist höchste Konzentration angebracht, denn er fängt an, mir den Text zu diktieren,
und ich muss zusehen, dass ich immer mitkomme und nichts verpasse.
Ist er dann mit dem Diktat fertig, schreibe ich später alles ins Reine. Damit ist die Dichtung
dann fertig. So meine Damen und Herren ich werde Ihnen nun einige dieser literarischen
Texte vortragen. Sollten Sie mit ihnen zufrieden sein, war ich aufmerksam genug und habe
alles richtig mitgeschrieben.
Wenn Ihnen mal etwas nicht so gut gefällt, habe ich wahrscheinlich meinem Dichterengel
Bruno nicht so ganz richtig zugehört. Aber auch ein Dichterengel ist auch nicht immer
vollkommen und ab und zu misslingt auch mal etwas. Ich werde Ihr Missfallen, dann in jedem
Falle an Bruno weitergeben, damit er sich beim nächsten Mal mehr anstrengt.
Aber wenn Ihnen die vorgetragenen Texte dem Inhalt nach gefallen haben, gebe ich auch dieses
besonders gerne an Bruno weiter, denn so ein Engel ist auch so etwas wie ein Mensch und
freut sich natürlich auch über Lob.
Sehen Sie meine Damen und Herren so einfach ist das Schreiben vom Prinzip her. Auch Ihnen
wäre es möglich so zu schreiben, Sie müssen sich nur den richtigen Dichterengel aussuchen
und mit ihm eine Vereinbarung treffen.
Nun wird Ihnen Norbert die gesammelten Texte von Bruno vortragen Übrigens Bruno heißt
auch mein zweiter Vorname, aber das ist sicher nur ein Zufall. Ich wünsche Ihnen und mir,
dass nun unsere gemeinsame Lesung gut ankommt und Sie nicht langweilt."
Danach begann ich mit dem Vortrag unserer Gedichte und Geschichten. Ich nehme an, dass
jetzt vielen Leuten bewusst wird wie einfach das Schreiben an sich ist, wenn man den richtigen
Dichterengel hat. Auf jeden Fall haben sie jetzt mehr Verständnis für den Dichter und seinen
Engel, und immerhin kann man dann schlechte Kritik besser auf zwei Schultern verteilen.
(geschrieben am 29.04.2006 mit Hilfe eines Dichterengels)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.04.2006.
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