Hartmut Pollack

Suderbruch - Ein neuer Lehrer muss her

 
Suderbruch oder ein neuer Lehrer muss her
 
Der bisherige Schulleiter und Küster einer kleinen Ortschaft am Rande der Heide wird von der Bezirksregierung an die Grundschule einer benachbarten Ortschaft versetzt. Die einklassige Grundschule in Suderbruch, einem kleinen Dorf in der Nähe von Schwarmstedt, soll geschlossen werden. Die Kinder sollen an eine größere Schule per Schulbus transportiert werden. Das sind die Pläne der Schulaufsicht.
Doch die hatte nicht mit der Reaktion der Einwohner des Dorfes mit 246  Seelen gerechnet, mitgezählt sind alle Kleinkinder und Urgroßeltern. Die Empörung im Dorf ist groß, sogar gewaltig.
Zebrauke ohne Köster, dat geit doch woll nich. Wi mutt watt dohn.
Die Bürgerinnen und Bürger beraten.
Norddreer hett noch eenen Köster un Schaulmester, Nienhagen ook,  Gilten ook un wi nich. Dat is unerecht. Gustav mutt et moken, den hett wi wählt.
Der Vorsteher des Dorfes erhält seinen Auftrag: ein neuen Lehrer muss her. Allgemeines Nicken im Dorfe. Gustav macht das schon.
Gustav Meine war der Bürgermeister des Dorfes. Er selbst nannte sich nur den Vorsteher von Zebrauke. Ein kleiner Mann mit einem ganz mächtigen Selbst-bewusstsein. Auf den ersten Eindruck hin wirkte er völlig unscheinbar, doch die Interessen des Dorfes vertrat er selbstlos und mit großer Bauernschläue. Nebenbei bewirtschaftete er einen kleinen Bauernhof. Der Ertrag des Hofes reichte man so gerade zum Leben. Zuhause hatte er es mit seiner Schwester und Alma, seiner Frau zu tun und natürlich nichts zu sagen.
Manchem Bürger des Dorfes half er bei Bedarf mit Darlehen aus, natürlich immer etwas über den Bankzinsen. Das war eben Gustav.
Gustav hat nun seinen Auftrag. Er handelt sofort. Die Schulaufsichtsbehörde soll gar nicht erst feste Tatsachen schaffen.
Es sind Sommerferien. Er muss sofort etwas unternehmen. Gustav packt seine alte braune Ledertasche, zieht eine neue Jacke an, rückt seine Hose zurecht und rutscht in die von seiner Alma geputzten Schuhe.
Die Vorbereitungen für eine offizielle Handlung sind damit abgeschlossen. Jetzt schreitet, das heißt fährt er zur Tat.
Er fährt mit dem Trecker zum Bahnhof nach Schwarmstedt und löst eine Karte nach Lüneburg. Dort ist der Sitz der Bezirksregierung, Ziel ist der Leiter der Schulabteilung, der Einstellungsbehörde für Lehrkräfte.
Den Weg zur Bezirksregierung kennt Gustav und er erreicht auch die Bezirksregierung während der Geschäftszeit, natürlich unangemeldet.
Im Gebäude der Bezirksregierung stellt er eine kurze Frage an den Pförtner und zwar nach dem Zimmer des Leiters der Schulabteilung.
Gemächlich geht es weiter. Eine braune Ledertasche steigt langsam die Stufen der Treppen hoch. Gustav sucht die Tür des Zimmers des für Schuldinge zuständigen leitenden Regierungsdirektors.
Er klopft kurz an die Tür des Zimmers und öffnet sofort die Tür.
Dort erblickt er die Sekretärin und sagt im mühseligen Hochdeutsch: "Eck will zum Regierungsdirektor !" Basta, denkt er sich.
"Haben Sie einen Termin und wer, bitte, sind Sie ? Dr. Vater hat keine Zeit."
"Eck bin der Vorsteher von Zubrauke äh. Suderbruch," so Gustav.
Das klingt gerade so, als wenn er der Ministerpräsident von Niedersachsen wäre oder vielleicht sogar der Papst.
Mit diesen Worten öffnet er die Tür des Chefzimmers.
"Tach," sagt er höflich, " wi brauchen einen neien Köster, äh Lehrer !"
Der leitende Regierungsdirektor schaut überrascht auf. Selten genug kommt jemand ohne Voranmeldung in sein Arbeitszimmer. Zudem kennt er diesen kleinen Mann überhaupt nicht.
Logischerweise lautet seine erste Frage: " Wer sind Sie ?"
"Eck bin Gustav Meine, de Vorsteher von Suderbruch."
Für Gustav ist es keine Frage, dass man in Lüneburg das 246-Seelen-Dorf Suderbruch kennen muss. Es folgt ein kurzer Blick des kleinen Mannes auf den großen Leiter der Einstellungsbehörde.
Der fragt: "Suderbruch ?"
"Jau, liegt bi Schwarmstedt und Norddrebber. De Lüje haben mich beauftragt, für eenen neien Lehrer zu sorgen. Der bisherige Köster is na Gilten gohne. Also brauchen wi in Suderbruch eenen neien Lehrer."
Die braune Aktentasche liegt auf dem Tisch. "Nu, wat is ?"
Der Leiter der Einstellungsbehörde lächelt. Dieser kleine Mann mit dem Herzen eines Löwen imponiert ihm. Keine Anbiederung spürt er, nein es ist ein ungewohntes Verantwortungsbewusstsein für die Interessen seiner Mitbürger in Suderbruch.
Dafür setzt sich der Bürgermeister mit einer Selbstverständlichkeit ein, welche der Regierungsdirektor schon lange nicht mehr erlebt hat. Er findet es sehr beachtenswert.
Seine Antwort kommt aus dem Bauch.
"Na, dann wollen wir einmal sehen," sagt er schmunzelnd.
Er schaut sich den Haufen der neusten Bewerbungen an. Seine Augen erblicken eine Bewerbung ohne korrekte Unterschrift. Ein Namenszug fehlt.
"Hm, Strafe muss sein," denkt er sich.
Er schaut Gustav Meine, Vorsteher von Suderbruch, an und antwortet: "Ich hätte einen jungen Lehrer von der Pädagogischen Hochschule in Göttingen. Aber der hat noch nie in einer einklassigen Grundschule gearbeitet."
" Dat leehrt hei, uns genügt es," sagt Gustav. "Hauptsache is et, ich bringe eenen neien Lehrer mit."
"Nun gut, dann werde ich den Wunsch des Vorstehers von Suderbruch erfüllen. Ich werde anordnen. dass er am 1. August an Ihrer Grundschule anfangen soll."
"Gült dat ?" fragt Gustav.
"Es gült, sage ich Ihnen. Ich verspreche es. Schönen Tag noch Herr Vorsteher."
Der Regierungsdirektor unterschreibt seine Anordnung und verabschiedet sich von Gustav Meine.
Ein kleiner, stolzer Mann packt seine braune Ledertasche, bedankt sich und verlässt mit hoch erhobenen Kopf das Zimmer des leitenden Regierungsdirektors.
Die Rückfahrt nach Suderbruch steigert noch sein Glücksgefühl. Er hat es geschafft. Auf dem Bahnhof in Schwarmstedt kauft er sich eine kleine Flasche Weinbrand. Während der Treckerfahrt nach Suderbruch wird diese vernichtet. Seine Stimmung ist überaus gut.
In Suderbruch wird er sofort gefragt:" Wie güng et, Gustav?"
"Wi bekohmt eenen neien Köster, een beeten jung is hei, doch beeter jung  als keenen."
"Gaut emookt, Gustav, bravo."
Alle gingen mit ihrem Vorsteher in die Dorfkneipe. Der Erfolg musste heftig begossen werden.
Zudem hatten sie einen berechtigten Anlass, den ihre Ehefrauen sicher verstehen würden.
 
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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"Schmetterlinge im Kopf und Bauch" ist mein holpriger lyrischer Erstversuch. Mit Sicherheit merkt man, dass es keine Lektorin gab, wie übrigens auch bei den anderen beiden Büchern nicht. Ungeordnet sind viele Gedichte, Gedankenansätze, Kurzgeschichten chaotisch vermengt veröffentlicht worden. Ich würde heute selbstkritisch sagen, ein Poet im Aufbruch. Im Selbstverlag gedruckt lagern noch einige Exemplare bei mir. Oft schau in ein wenig schmunzelnd in dieses Buch. Welche Lust am Schreiben von spontanen Gedanken ist zu spüren. Ich würde sagen, ein Chaot lässt grüßen.

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