Marina Braun

Das wird einmal ein Hund

Das wird einmal ein Pudel

 

Vor einigen Jahren brachte meine Tochter eine Handvoll schwarze Wollflusen mit glänzenden Knopfaugen mit aus der Schule.

"Das wird einmal ein Pudel, darf ich ihn behalten?"

Der noch zu werdende Pudel schaute mich erwartungsvoll aus ihren Händen an. Vorsichtig nahm ich das kleine Bündelchen hoch. Da wir erst vor kurzem in unser Haus eingezogen waren, wäre ein Wachhund nicht schlecht.

 

"Sie heißt Lulu."

 

Lulu krallte ihre winzigen Pfötchen in meinen Angorapullover und machte gleich ein großes Pipi darauf.

Ein Duschbad und einen neuen Pullover später fuhren wir zusammen zu einem Tierarzt, um Lulu untersuchen zu lassen. Sie war vier Wochen alt und ihre Frau Mama war an den Strapazen der Geburt verstorben. Ein geübten Blick des Arztes in die intime Zone der kleinen Lulu bestätigte, dass sie ein Junge war.

"Er muss trotzdem Lulu heißen" meinte meine Tochter "das wäre sonst Tierquälerei. Er hat sich doch schon an den Namen gewöhnt."

 

Lulu musste alle drei Stunden mit Babynahrung gefüttert werden. Zum Glück hatte ich noch eine Babyflasche Zuhause. Wir kauften eine Wärmelampe und montierten sie über der Puppenwiege meiner Tochter.

 

Lulu wuchs und gedieh prächtig. Nach fünf Monaten nahm er Ausmaße an, die uns vermuten ließen, dass es sich um einen Königspudel handeln musste. Kurze Zeit später vermuteten wir einen Hirtenhund. Er wurde immer größer. Mein Süßer kaufte Säcke voll Hundehaferflocken, Trockenfutter und eine halbe Palette Dosenfutter. Wir ließen einen großzügigen Hundezwinger mit einer beheizbaren Hundehütte und Wasseranschluss bauen, den meine Tochter als ihr Baumhaus - Ersatz und Freizeitdomizil benutzte, da Lulu sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, ihn zu betreten.

 

Im zarten Alter von zehn Monaten meldete ich ihn telefonisch bei einem Hundeverein an, damit er eine Grundausbildung bekommen sollte. Bis dahin lehnte Lulu nämlich kategorisch alles ab, was auch nur im Entferntesten nach Erziehung roch.

 

"Wie heißt er denn?" "Lulu."

Ich konnte ein Glucksen am anderen Ende der Telefonleitung vernehmen.

"Und wie heißt er weiter?"

"Wie weiter?" ... "Braun?"

"Aha, Lulu von Braun also."

So schnell kann man zu einem Adelstitel gelangen.

Später erfuhr ich, dass reinrassige Hunde rote Ausweispapiere besaßen und sich allesamt mit einem adligen Namen schmückten. Obwohl Lulu alles andere als reinrassig und erst recht nicht adlig war, durfte ich dennoch den adligen Mitgliedsbeitrag im Hundeverein bezahlen; man machte wahrscheinlich eine Ausnahme bei uns. Im Grunde genommen konnte nicht einmal der Tierarzt herausfinden, wie viele verschiedene Vorfahren Lulu hatte.

 

Der Hundeübungsplatz war eine quadratische Wiese, an deren Ecken sich Sichtschutze aus Holz befanden, die wie kleine Wigwams aussahen. In der Mitte des Platzes waren eine Holzwippe, hintereinander aufgereihte Pfähle und ein Holzgestell mit Treppen.

 

"Fangen wir mit etwas leichtem an, dem Apportieren" sagte der Ausbilder.

Na gut, dachte ich, wenn er meinte, er hätte mehr Glück als wir, sollte er es mal probieren.

Das knochenförmige Stück Holz flog durch die Luft und Lulu reagierte wie immer, nämlich überhaupt nicht.

 

"Hol das Stöckchen!" - Lulu wedelte freundlich mit dem Schwanz.

"Lulu, komm her!" - Lulu legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten und gähnte.

"Lulu, hier ist ein Leckerli für dich!" – Lulu stand auf, streckte sich und trottete auf den Ausbilder zu. Zwei Sekunden später war das lächerlich kleine Stück Leckerli in Lulus Rachen verschwunden und der Ausbilder musste sich die Hand verbinden lassen.

 

"Böser Lulu" schimpfte ich und kramte einen Fünfziger als Schmerzensgeld aus meiner Hosentasche.

 

Der nächste Ausbilder kam in einem Schutzanzug. An seinem linken Arm prangte ein großer stabiler Armschutz, in seiner Rechten hielt er einen peitschenähnlichen Stock mit einer Kordel am Ende. Er knallte mit der Peitsche und Lulu knurrte. Dann sollte ich Lulu festhalten und ihn auf sein Kommando loslassen. Der Ausbilder lief über das Feld und schrie: "Los!"

Ich ließ Lulu frei und er schlenderte gemütlich über die Wiese, beroch eine Schnecke und steckte seine große Nase in ein Mauseloch. Es war hoffnungslos. Ob ich wenigstens die Hälfte des ersten Mitgliedsbeitrages zurück bekommen könnte? Ich konnte nicht.

 

Auf dem Weg nach Hause steckte Lulu seine große Schnauze in die Einkaufstüte einer Dame und angelte sich ein Stück Fleischwurst heraus. Die Dame lachte belustigt und ich steckte ihr entschuldigend einen Fünfmarkschein zu. Peinlicher Köter!

 

Lulu war alles andere als ein Hund. Er war eine sture, dickköpfige, feige Memme, stets zu den unpassendsten Zeiten zu Scherzen aufgelegt, aber alle liebten diesen riesigen, schwarzen, spitzgedacktelten Schäferpudel. Vielleicht gerade deswegen, weil er ein so absolut untypischer Hund war?

 

Statt eines Schildes mit der Aufschrift: "Vorsicht! Bissiger Hund!" hätten wir eine Warnung an das Gartentor anbringen sollen: "Wer unseren Hund erschreckt, wird strafrechtlich verfolgt!"

Lulu war das Gespött aller Nachbarskatzen, denn sie tanzten, manchmal sogar sprichwörtlich, ungestraft auf seiner Nase herum. Dafür adoptierte er eine Maus, schleppte sie vorsichtig in seinem Maul tragend ins Haus und verteidigte sie aufs Äußerste.

 

Jetzt ist Lulu sieben Jahre alt. Er liegt gerade unter meinem Schreibtisch und meine kalten Füße stecken unter seinem warmen, weichen Bauch. Er hat sich vom ersten Tag an in unsere Familie integriert, oder besser gesagt, er hat sich zum Familienoberhaupt erklärt. Ein so genanntes Hundeleben führt nicht Lulu, sondern wir.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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