Julia Korte

Der Schlafwandler

"Was ist mit dir? Gunnar, wach auf." "Ja, ist ja schon gut" Gunnar räkelte sich und streckte die Hand nach seiner kreischenden Schwester aus."Gunnar, warum bist du hier?" Gunnar grinste."Weil ich geschlafen habe, deshalb." Jetzt erst merkte er wie unglaublich hart seine Matratze war.Er schlief doch schon so lange in diesem Bett, warum fiel ihm jetzt erst auf das es sich total ungemütlich darauf lag? Seine Wirbelsäule drückte sich zwischen die Fugen.Sie schmerzte. Moment mal, Fugen? Gunnar blinzelte.Ihm war unglaublich kalt.Wo war seine Decke? "Gunnar?"die beißende, alles übertönende Stimme seiner Schwester fegte ihm durch die Ohren."Antworte!" Seine Hände fühlten den stein. Nass und kalt."Gunnar, steh auf" Er war nicht in seinem Bett."Wo bin ich?"murmelte er. Er sah sie verschwommen über sich.Sie stemmte ihre kleinen Hände in die Hüften.So wie mama es immer getan hatte, wenn sie wütend war.Sie hatte ihr schon immer alles nachgemacht.Aus seinen Augenwinkeln sah er ein Fleckchen blauen Himmels.Mit einem Mal war Gunnar hellwach.Um ihn herum standen Begonien in Blumentöpfen.Und schon stellte er sich die Frage:"Was mache ich auf dem Balkon?" Er blickte seine schwester fragend an."steffi, das ist doch ein dummer Scherz" sagte er und wartete das seine Schwester anfing zu lachen.doch Steffi lachte nicht."kein scherz.Ich bin mir sicher, dass du geschlafwandelt bist." "Geschlafwandelt?" Gunnar richtete sich auf und kratzte sich am Kopf.Er versuchte sich zu erinnern.Er war letzte nacht ganz normal ins bett gegangen."Man merkt es nicht, wenn man schlafwandelt" gab steffi zu bedenken."ich habe mal von einem mann gelesen, der musste an sein Bett gefesselt werden, damit er nicht schlafwandelte.Sonst wäre er womöglich vom Dach gestürzt und tot." Gunnar verzog bei der vorstellung das Gesicht. "ach, so schlimm wirds bei mir schon nicht sein." meinte er.Da hatte er Recht, denn es wurde viel schlimmer.eine Woche später fand ihn der Postbote morgens vor der haustür.Ein anderes Mal wachte Gunnar im Badezimmer auf.das Schla! fwandeln häufte sich so sehr, dass sein vater mit ihm zum Arzt ging.Der Arzt gab Gunnar Schlaftabletten. aber ob die helfen würden? er gab zu bedenken, dass sie nicht bei jedem wirkten. es ging soweit, dass Gunnar vor sich selbst Angst hatte.Er mochte abends nicht mehr ins bett gehen, weil er Angst hatte, am Morgen nicht mehr aufzuwachen.Nachts sah er sich einen Film nach dem anderen an."ich glaube, wir müssen disch doch ans bett fesseln,"sagte steffi eines tages und schwenkte ihr Springseil vor seiner Nase herum.Gunnar seufzte, aber stimmte zu, schließlich hatte er keine lust wegen dieser verdammten Krankheit zu sterben.Sein Vater bestellte eine art Handschellen, die man am bett festmachen konnte.
Eines nachts wurde Steffi von einem schrei geweckt. Sie saß kerzengerade im Bett.Ihr herz klopfte bis zum Hals. da erklang der schrei von neuem.Gunnar, schoss es ihr durch den Kopf. Sie sprang aus dem bett und lief in sein zimmer.Gunnars bett war leer.Steffi suchte aufgeregt im ganzen haus nach ihrem bruder.Im Wohnzimmer stand die Balkontür offen.Die gardinen flatterten gespenstisch im Wind. dahinter war ein sternenübersäter, schwarzer Nachthimmel und davor...Seine Konturen zeichneten sich hinter den gardinen ab.Mit einem satz war steffi auf dem balkon.Es entfuhr sie ein Entsetzensschrei."Gunnar" flüsterte sie.Aber Gunnar hörte nicht. Er stand mit dem Rücken zu ihr gewandt.er stand auf dem geländer des balkons.er hatte die Arme ausgestreckt und die augen zum himmel gerichtet.Wie ein Vogel der seine Schwingen ausbreitete, bereit um loszufliegen. Gunnar balancierte auf dem geländer-gemächlich setzte er einen Fuß vor den anderen.es sah fast lächerlich aus.Ein Junge im Pyjama, der mitten in der nacht auf der Brüstung eines Balkons herumspazierte.Sechs meter über dem Boden. Für einen augenblick war steffi wie in Trance.Gebannt beobachtete sie jede seiner Bewegungen.Plötzlich begann er zu schwanken."Mama" stöhnte er.Steffi hielt den Atem an. "mama, ich komme zu dir." Mama? dachte steffi und spürte einen dicken Kloß im hals.Versuchte er etwa Kontakt mit ihr aufzunehmen? "Gunnar, komm da runter,"sagte sie mit fester Stimme. Doch Gunnar hörte sie nicht.Er war wie hypnotisiert.Eine weile stand er gerade, ohne zu schwanken auf dem geländer. Noch immer war sein blick zum Himmel gerichtet. Doch plötzlich drohte er nach vorne zu kippen.Wie in zeitlupe.Steffi handelte schnell. Von hinten konnte sie ihn nicht mehr aufhalten. Blitzschnell rannte sie aus der wohnung und auf die Straße. Ihr Puls raste. Sie kam gerade rechtzeitig.Gunnars Körper beugte sich nach vorne und mit ausgestreckten Armen und einem breiten Grinsen im Gesicht stürzte er vom Balkon.
Steffi stolperte instinktiv ein paar Schritte zurück um ihn besser auffangen zu können.Die hellen Lichtkegel, die plötzlich um eine kurve kamen, bemerkte sie nicht. Ihre augen waren starr auf ihren großen Bruder gerichtet, der wie eine Feder zu ihr herunter zu gleiten schien.Sie breitete ihre kleinen Ärmchen aus.
Im nächsten Moment kreischten Bremsen, jemand brüllte. Steffi bekam einen schweren stoß in die Seite, sodass sie den Balkon und den fliegenden Bruder aus den augen verlor.Steffi wurde in die Luft geschleudert, Glas splitterte, sie schmeckte blut.Sie war wie gelähmt. Sie spürte ihren Körper nicht mehr.Doch aufeinmal war alles still um sie herum."Gunnar" schrie sie in gedanken. Vor ihren augen tanzten bunte schatten, bunte Lichter waren überall.Alles drehte sich. Sie wollte sich bewegen, aber es ging nicht mehr.Sie richtete ihren Blick mühsam zum Himmel.Sechs Meter über ihr war der Balkon.
Das letzte was Steffi sah, war ihr Bruder, der mit schreckgeweiteten Augen hinter dem Geländer stand und auf sie herabstarrte.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Julia Korte).
Der Beitrag wurde von Julia Korte auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Julia Korte als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Unser Literaturinselchen - An vertrauten Ufern von Elfie Nadolny



Bebilderte Gedichte und Geschichten von Elfie und Klaus Nadolny

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Julia Korte

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das Abenteuer LEBEN! von Heidemarie Rottermanner (Fantasy)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen