… nun konnte sie ihn in
ihre Arme schließen. Endlich war die Zeit des Wartens vorbei. Wie oft hatte sie
sich diesen Moment herbeigesehnt, sich ihn in ihren Gedanken und Träumen
vorgestellt. Sie wusste es nicht mehr.
Und in diesem Augenblick war es doch anders – noch intensiver, noch
unwirklicher.
Sie hatte ihn vorher nie
gesehen, nur aus der Entfernung.
Ja geredet hatten sie viel,
Millionen Worte müssen es gewesen sein. Doch selten waren es die gleichen
Sätze, die sie zueinander sagten. Jede Silbe, ja jeder Laut war voller Hingabe
und Liebe. Auch in ihren Träumen redeten sie weiter. Dort waren sie sich nah,
so nah wie sonst nie zuvor. Sie verliebte sich immer mehr in ihn, auch wenn er
bis dahin nur aus Worten und Gefühlen bestand.
Worte und Gefühle die ihm
eine feste Substanz verliehen, obwohl sie ihn nicht berühren konnte, spürte sie
ihn. Sie wusste eines Tages würden sie beieinander sein und sich in die Arme
schließen.
Die
Jahre vergingen. Ein Tag bestand aus vielen Worten, Gedanken und Träumen. Ja
die Träume waren es die ihre Hoffnung nährten. In jedem Moment der Einsamkeit
stahl sie sich aus der Wirklichkeit fort, zu ihm. Es fiel ihr schwer die
Realität als ihre eigentliche Welt zu begreifen. Jeder Traum war wirklicher als
das was um sie herum Tag für Tag passierte. Alles bewegte sich, doch war es die
richtige Richtung in die sich jeder Schritt für Schritt begab? Manchmal wollte
sie brüllen und schreien ‚geht nicht weiter, es führt euch ins Nichts’, doch
auch wenn sie es getan hätte,
sie hätte die anderen nicht
aufhalten können. Zu sehr war die Bewegung zur Normalität, ja zur Selbstverständlichkeit
geworden. Ein Stillhalten war nur in ihren Gedanken möglich und auch nur wenn
sie an ihn dachte und mit ihm sprach. Er redete nie laut, seine Worte waren
stets überlegt, nie hätte er Böses äußern können. Er wollte nicht, dass sie zu
oft Reißaus aus der Wirklichkeit nahm und zu ihm kam. Doch allein bei ihm, so
weit sie auch voneinander entfernt waren, fühlte sie Zufriedenheit, spürte sie
sich.
Draußen bewegte sich alles
weiter, egal ob sie nun daran teilnahm oder versuchte in die andere Richtung zu
gehen, immer wieder wurde sie von der Realität mitgezerrt. Immer wieder kämpfte
sie dagegen an, versuchte mit denselben Worten zu reden, wie sie es mit ihm
tat, niemand konnte sie jedoch verstehen. Zu schnell schritten alle an ihr
vorbei, hetzten von der einen Flucht zu nächsten. Wovor flüchteten alle? Sie
wusste es nicht. Hatten sie genauso Angst vor der Wirklichkeit wie sie oder
dachten sie, dass sie die Wirklichkeit
überrunden konnten, indem sie sich alle immer schneller in eine Richtung
bewegen würden? Auf der Suche nach dem Besonderen, auf der Jagd nach Neuem?
Wenn sie doch nur alle einmal stehen blieben und sich umschauen würden, wenn
sie anfangen würden zu träumen und zu fühlen, vielleicht könnten sie dann
aufhören zu jagen.
Den Kampf mit der
Wirklichkeit gewann sie nur selten, immer wieder wurde auch sie zum Jäger. Nur
der Gedanke an ihn, an seine Worte, an seine Gefühle ließen sie
wieder zur Ruhe kommen. Doch wo war er nur? Je schneller die Zeit voran
schritt, je stärker alle in eine Richtung drängten um so öfter nagte
Verzweiflung an ihren Gedanken. Ich muss ihn endlich sehen.
Die
Träume verblassten, ihre Worte konnte er kaum noch hören und auch er schien an
Gestalt zu verlieren. Mit aller Kraft versuchte er sie zu halten, sie zu
erinnern an das Gefühl was sie seit je her verband. ‚Du darfst nicht aufhören
zu träumen, an mich zu denken, ich bin näher als du
glaubst’. Wieder war es die Wirklichkeit die sie aus diesem Traum riss. Er war
wieder näher, sie hatte ihn gespürt. Ein unbändiger Drang machte sich in ihr
breit. Diesmal wollte sie den Kampf gewinnen, die andere Richtung einschlagen.
Sie musste ihn finden, ihn endlich fühlen.
Wieder trat sie hinaus,
wieder wurde sie mitgerissen, wieder hastete alles an ihr vorbei und auch sie
war fast genauso schnell wie alle um sie herum - als sie plötzlich seine Worte
hörte. Sie drehte sich langsam und mit allergrößter Anstrengung in die andere
Richtung. Schritt für Schritt schaffte sie es dem Strom zu entrinnen. Es war beschwerlich,
so beschwerlich, dass sie sich am liebsten wieder der Richtung aller angepasst
hätte, doch irgendetwas sagte ihr, dass sie jetzt nicht aufgeben dürfte, er
warte auf sie. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, so als bewege sie sich in
langsamster Zeitlupe.
Sie
sah sich vorsichtig um und bemerkte, dass sie nicht die einzige war, die
kämpfte, wenn auch nicht viele, so waren es doch einige andere die mit ihr in eine
andere Richtung gingen. Auf einmal spürte sie wieder das alte Gefühl und
plötzlich hörte sie seine Worte ganz nah, jemand berührte sie ganz vorsichtig. Sie sah etwas,
erst noch verschwommen, doch dann erkannte sie ihn – ja er war es, wenngleich
sie sich zuvor noch nie hier in der Wirklichkeit gesehen hatten.
Endlich
schlossen sie sich in die Arme. Dieses Gefühl wollte sie nie mehr verlieren. Er
war da um ihr den Kampf zu erleichtern, um ihn zu gewinnen. Vielleicht konnte
sie noch anderen beibringen in die andere Richtung zu laufen um das Besondere,
ja das Einzigartige zu finden –
die
Liebe.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Stephanie Müller).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.05.2006.
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