Hans-Peter Zürcher

Anreisetag zur Rosenlaui

Die meisten von uns waren noch nie im Berner Oberland. Entsprechend sind wir dann am Abreisetag mit grosser Spannung und hohen Erwartungen auf das, was da kommen wird, zum Bahnhof gekommen. Das Wetter war uns gut gesinnt und zeigte sich von seiner schönsten Seite. Da unsere Koffer schon vor Tagen im Bahnhof aufgegeben wurden, waren wir nur mit Tagesrucksack und wandertauglicher Ausrüstung versehen. Die Bahnfahrt war sehr kurzweilig und vor allem die Strecke von Luzern über den Brünig nach Meiringen war für uns alle ein neues Erlebnis. Die Brünig - Bahn, die einzige mit Zahnstange ausgerüstete Schmalspurbahn der SBB, meisterte die Berg - und Talfahrt abwechslungsweise im Adhäsions - und Zahnstangenbetrieb über die Teils steilen Rampen und durch eine abwechslungsreiche, reizvolle Gegend mit Bravour.

 Und hier in Meiringen begann dann für uns die erste Marschetappe hinauf zu Rosenlaui. Als wir den aufgeheizten Eisenbahnwagen verliessen, wurden wir von ebenso drückender Hitze auf dem Bahnsteig begrüsst, was für uns Jugendliche weit weniger ein Problem darstellte, als für unsere Begleiter. Besonders Sturzenegger machte einen leidenden Eindruck. Nun, wir wurden in drei Gruppen eingeteilt, wobei jede von einem unserer Lehrer und seiner Gattin geführt wurden. Ich war in der dritten bei Sturzenegger eingeteilt, unserm Sportlehrer. - Da kann ja nichts schief gehen -, dachte ich mir.

Da Sturzenegger noch etwas Dringendes zu erledigen hatte, waren wir dann auch die letzte Gruppe, die zu unserem ersten Marschziel aufbrach. Zuerst auf der Hauptstrasse, dann rechts ab über Feldwege, marschierten wir immer den Wegweisern nach das Tal hinauf. Singend und in ausgelassener Stimmung war unser Grüpplein unterwegs und ein Mitschüler konnte es nicht lassen, an seinem Wanderstock eine kleine Appenzellerfahne auf zu ziehen und freudig zu schwingen.

Rechts und hoch oben aus dem bewaldeten Steilhang grüsste uns der Reichenbachfall. Die Schönheit dieses wuchtigen Falles und die landschaftlichen Reize seiner Umgebung zogen uns sofort in ihren Bann. Sturzenegger erzählte uns, dass Conan Doyle, der Autor der Detektivgeschichten mit Sherlock Holmes, anlässlich einer Wanderung hierher von der Wildheit dieses Wasserfalles so stark beeindruckt war, dass er beschloss, seinen weltbekannten Detektiven Sherlock Holmes im Kampf mit dessen Erzfeind Prof. Moriarty in den Reichenbachfällen abstürzen und sterben zu lassen. Leider reicht uns die Zeit nicht aus, um diesen imposanten Wasserfall aus der Nähe zu betrachten. Schade! Also zogen wir vorbei an diesem " mörderischen " Naturschauspiel.

Nach einiger Marschzeit verzweigt sich dann der Weg und wir folgten dem Wegweiser, der nach rechts in den bewaldeten Berghang führte und sich dann steil und in grossen Kehren den Berg hinauf  schlängelt. - Rosenlaui 3 h  - stand auf dem Wegweiser. Die kühle Waldluft war eine Wohltat nach der drückenden Hitze im Tal und beim Einatmen des feinen, feucht - moderigen Duftes kamen Erinnerungen an die vielen schönen Wanderungen mit meinem  Grossvater auf.

Wir stiegen immer höher und zwischen durch gaben lichte Stellen im Wald den Blick hinunter ins Aaretal, oder an den gegenüberliegenden Hang auf Brünig und Hasliberg frei. Plötzlich wurde Sturzenegger nervös, denn der schmale Bergpfad teilte sich an der nächsten Kehre nach links und rechts, ohne dass eine Markierung uns die richtige Richtung angegeben hätte. " Kein Problem " meinte Sturzenegger und zückte seine Wanderkarte, beriet sich mit seiner Freundin und winkte uns dann lässig mit erhobener Hand nach Rechts.

Dieser Weg wurde aber zusehends schmaler und verwandelte sich immer mehr in einen Trampelpfad. Wir stiegen und stiegen immer steiler und weiter nach oben, realisierten aber kaum, dass es immer düsterer wurde. Fernes Donnergrollen liess uns aber dann doch an ein aufkommendes Gewitter ermahnen. Der Wald hier oben war aber derart dicht und steil, dass wir weder den Himmel noch sonst etwas erblicken konnten. " Hier kommen wir nicht weiter, eine Felswand und kein Weg „! hörten wir weiter oben jemand rufen. Und da standen wir nun, nach oben eine düstere Felswand, darüber dunkler, wolkenbehangener Himmel und fernes Donnergrollen, das, so schien es, immer näher kommt. Und nach unten der steile Pfad.  " Kein Problem " meinte Sturzenegger erneut  und zückte seine Wanderkarte, beriet sich abermals mit seiner Freundin und wies uns dann lässig mit erhobener Hand nach Links, " immer schön dem Felsband entlang, aber bitte konzentriert euch, ich gehe voraus und du Vreni ", so hiess seine Freundin, " machst den Schluss ".  Wir mögen eine halbe Stunde so gegangen sein, da kam schon ein weiteres Hindernis, ein kleiner aber heftiger Wildbach versperrte uns das Weiterkommen. Also rechts um und zurück. Letztendlich blieb uns nichts anderes übrig, als den ganzen steilen Pfad zurück bis zum Abzweiger, um dann den Weg nach links einzuschlagen. Unsere Stimmung war im Keller, wir im Wald und über uns begann es erst sachte, dann aber immer heftiger zu regnen. Auf diesem schmalen steil abfallenden Weg war es aussichtslos, die Windjacke oder sonst einen Regenschutz aus dem Rucksack heraus zu nehmen, also liessen wir uns verregnen, - spielt ja nun auch keine Rolle mehr -. Ab der Verzweigung ging es dann wieder steil nach oben und siehe da, es war ein Weg! dann kam der Wildbach und dieser konnte hier sogar über eine einfache, aus Holzlatten gezimmerte Brücke überquert werden. Es schien, als ob  wir nun tatsächlich einen Weg gefunden hatten, nur was wir nicht wussten, ob es auch der Richtige war. Sturzenegger gab sich jedenfalls gelassen und siegessicher. Wo unser Sportlehrer aber Kartenlesen gelernt hatte, blieb ein unbeantwortetes Rätsel.

Weniger ein Rätsel war, was über uns am Himmel abging, aber immerhin beleuchteten uns die nun immer heftiger zuckenden Blitze den Weg, denn es war nun doch ziemlich dunkel geworden. Über uns, weit entfernt waren zwischen den Donnerschlägen und dem nun niedergehenden, kräftigen Gewitterregen so etwas wie Rufe zu hören. Diese Rufe wurden immer deutlicher und wir konnten nun Antwort geben. Nach einer halben Stunde erreichten wir dann die Strasse, die zur Rosenlaui führt. Hier trafen wir auch auf den " Suchtrupp ", der eigens wegen uns ausgesandt wurde. Denn wir waren längst überfällig. Erleichterung kam auf beiden Seiten auf, aber  der Zauber einer fröhlichen Wanderung war längst verflogen. Vollkommen durchnässt, müde und mit gedrückter Stimmung erreichten wir dann doch noch unsere Tourenhütte, die kurz vor dem Jugendstil - Hotel Rosenlaui an erhöhter Lage in einer Waldlichtung versteckt war. Von der Umgebung konnten wir wegen der Nebel - und Wolkenverhangenen, sich eindunkelnden  Landschaft wenig bis gar nichts erkennen. Wir und ich glaube auch Sturzenegger waren sehr froh, nach über drei Stunden Verspätung endlich unser Etappenziel erreicht zu haben. Kleiderwechsel, das grosse offene Herdfeuer und heisser Tee gaben uns dann doch noch Hoffnung auf schöne Wanderferien. Auch die Stimmung wurde zusehends heitererer, denn von unserer ersten Wanderetappe gab es ja nun genügend Stoff zu erzählen. Müde aber dennoch zufrieden gingen wir dann recht früh schlafen. 

 © 2005   Alle Rechte bei Hans-Peter  Zürcher 

 

Liebe Leserinnen und Leser
diese Reiseerzählung wie auch alle anderen aus dem Berner Oberland sind aus einem Band, den ich eigens mit eigenen Zeichnungen versehen habe.

Prolog
Und die Sehnsucht treibt mich immer weiter ..... ist ein bezeichnender Leitgedanke, der mich zu dieser Erzählung über eine mehrtägige Wanderung in meiner Jugend durch das Berner Oberland anregte. ..... Die Sehnsucht nach Freiheit, Berge, Heimat und Natur.

Epilog
Und die Sehnsucht treibt mich immer weiter..... Und so fühlte ich mich nach dieser wunderschönen Wanderwoche reich beschenkt mit Eindrücken und Erlebnissen. Meine Erwartungen wurden weit übertroffen.
So kam es, dass aus diesen Gegebenheiten eine grosse Liebe und Leidenschaft zu einer Gegend entstand, die uns nun schon über zwanzig Jahre in die Ferien nach Grindelwald, in unsere zweite Heimat, führt.

Liebe Grüsse an alle von Hans-Peter Zürcher
Hans-Peter Zürcher, Anmerkung zur Geschichte

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