Sabine Müller

Der einsame Pirat

Einst herrschte ein großer starker Pirat über die sieben Weltmeere. Überall war er verhasst und bekannt. Er riss Alles an sich, was nicht Niet- und Nagelfest war und erschreckte Alle durch seine angsteinflößede Art und durch sein Aussehen. Seine Besatzung hatte sich nach und nach aus dem Staube gemacht, wei der Pirat Alles für sich haben wollte und ungerecht zu ihnen war. Er machte ihnen das Leben an Bord stets zur Hölle. Das Schiff des Piratens wurde immer prunkvoller und schöner. Die Segel waren aus goldener Seide, die Masten aus Elfenbein, das Holz aus Teak, die Schrauben und Muttern, die alles fest hielten aus feinem Silber. Das Glas in den Fenstern war aus schillerndem Perlmutt und glitzerte mit dem Meer um die Wette. Zufrieden spazierte der Pirat über sein Schiff, welches ein einzig großer Schatz war. Er liebte seinen Reichtum und wollte immer mehr davon. BEkam er das, was er wollte, war er ein paar Tage glücklich, doch dann wurde der Drang nach etwas noch Größerem und noch Schönerem immer größer. Irgendetwas fehlte da, was ihn unendlich glücklich machen würde. Doch kein Rubin der Welt, keine goldene Krone, kein silberner Taler schaffte es ihn länger als 3 Tage glücklich zu machen. Somit musste er, um seine Zufriedenheit zu erhalten sehr oft auf Raubzug gehen.
Eines Tages kam er an eine kleine Insel. Schon von weitem sah er die kleine Truppe von Eingeborenen, die um ein Lagerfeuer saßen, trommelten, aßen und lachten.
Sie hatten nichts bei sich, außer ihre Baströckchen, ihre Instrumente und ihr spärliches Mahl –
und doch machten sie einen glücklicheren Eindruck, als er sich je vorstellen konnte.
Er hatte selten Menschen gesehen, die so glücklich und zufrieden waren wie diese.
Er fragte sich, welche Schätze sie wohl zu Hause versteckt hielten. Denn ohne einen großen Reichtum ließe sich in seinem Piratenkopf die große Glückseeligkeit nicht erklären.
Als er den Anker warf und an Land ging, stürmte der Stamm der Eingeborenen hastig von Dannen, bis auf ein kleiner Junge. Der Pirat fragte den Jungen, warum sie anderen weggelaufen sind und was es denn bei ihm im Dorf schönes zu holen gäbe.
Der kleine Junge antwortete munter und fürchtete sich kein bisschen vor dem Pirat, auch wenn dieser furcht erregend aussah. In seinen Augen nämlich sah der Junge Unsicherheit, Traurigkeit und Einsamkeit. Außerdem bemerkte der Junge das Holzbein des Piraten. Damit hätte er ihm nie so flink folgen können. Der Junge erzählte dem Pirat von seinem Dorf, den Blätter und Strohhütten und von seiner Familien und seinen Freunden.
„Freunde?“ fragte der Pirat. Er konnte sich nichts darunter vorstellen unter diesem Begriff.
Der kleine Junge versuchte ihm zu erklären, was Freundschaft ist und der Pirat staunte nicht schlecht. Nun wollte er unbedingt einen Freund haben, denn der Junge meinte, ein Freund sei der größte Schatz der Welt. Das machte den Piraten neugierig.
Doch so einfach war das nicht. Ein Freund ist unbezahlbar und das verstand der Pirat nicht.
Man konnte einen Freund nicht einfach kaufen oder stibitzen.
Andere Dinge zählten. Dinge, von denen der Pirat noch nie in seinem Leben gehört hatte.
Der kleine Junge wollte dem Pirat zeigen, was Freundschaft ist und sie trafen sich jeden Tag, redeten, lachten und machten Feuer. Der Junge zeigte dem Pirat wie man Fische fängt und der Pirat zeigte dem Jungen, in welchen Muscheln man dir größten Perlen findet.
Nach und nach verloren auch die anderen vom Stamm die Furcht vor dem Piraten und abends wurde am Lagerfeuer getanzt, gesungen und gelacht. Der Pirat fühlte sich wohler als je zuvor und hatte durch den kleinen Jungen erfahren, was es bedeutet, Freunde zu finden.
Er wurde von Tag zu Tag glücklicher und zufriedener und ihm stand wenig Sinn nach seinen Räuberzügen.
Eines Tages jedoch wurde der kleine Junge sehr krank. Keine Heilpflanze konnte ihm helfen, kein Schamane konnte Wunder bewirken, keiner der im Tanz und Klang herbeigerufenen Geister halfen ihm. Ein wichtiges Medikament von einem anderen Kontinent wurde benötigt.
Somit machte sich der Pirat sofort auf die Reise, dieses Medikament zu besorgen. Die Zeit war knapp. Es blieben dem Jungen nur noch wenige Wochen, vielleicht sogar nur Tage.
Der Stamm war dem Piraten sehr dankbar und sie beteten und hofften auf eine baldige Rückkehr mit dem Medikament. Der Pirat fuhr drei Tage und drei Nächte durch Wind und Wetter und kam endlich an seinem Zielort an. Er machte sich große Sorgen um seinen Freund. Das Medikament war sehr teuer. Der Pirat wollte es mit Kanonenschuss und Messerwurf erwerben, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Er konnte seine Boshaftigkeit nicht mehr zeigen, denn wenn er in die Gesichter von den Menschen schaute, ihre Blicke sah, dann musste er an seinen Freund denken und an seinen Stamm, der ihn so freundlich aufgenommen hatte.
Also beschloss er das Medikament zu kaufen. Er gab sehr viel von seinem Reichtum ab und verkaufte ebenso einen Teil davon, um ein paar Geschenke und Nahrungsmittel für den Stamm mitzubringen. Nun war sein Schiff gar nicht mehr so pompös, wie zuvor, aber es störte ihn seltsamerweise nicht weiter. Für ihn zählte nur das Leben seines Freundes, dem kleinen Jungen. Auf dem Weg zu ihm kam er an einer kleinen einsamen Insel vorbei, auf der eine Familie gestrandet war. Sie flehten um Hilfe, dass er sie mitnehme. Da der Pirat jedoch schnellst möglich in eine andere Richtung musste, um zur Insel seines Freundes zu gelangen, blieb ihm nichts anderes übrig als ihnen das große Schiff zu überlassen. Er selbst fuhr mit dem kleinen Beiboot zur Insel, die nicht mehr so weit entfernt war.
Ein wenig seltsam war es schon, alles abgegeben zu haben, doch mit dem Seufzer kam auch eine seltsame Erleichterung. Wie eine tonnenschwere Last, die abgeworfen wurde.
Als der Pirat an der Insel ankam, wurde er schon erwartet. Der Junge war noch schlechter zurecht als zuvor und der Guru hatte schon das letzte Gebet ausgesprochen und ihn einbalsamiert. Das Medikament jedoch half ihm in allerletzter Sekunde und er wurde von Tag zu Tag gesünder. Nach einer Woche konnte er wieder aufstehen und mit den anderen Kindern spielen. Während sein Vater einen Arm um den Pirat legte und „Mnumbai, y zmuni“ – Danke, mein Freund, sagte, schaute der Pirat glücklich zu. Der Junge hatte sein Leben zurückbekommen, Dank ihm. Und er hatte wahre Freunde gefunden. Das hatte er dem Jungen zu verdanken. Der Pirat hatte ebenfalls bewiesen, dass ihm ein Freund mehr wert ist, als alle Schätze der Welt. Er wurde damit belohnt, dass er nicht weiter einsam war.
Der Stamm nahm den Pirat für immer bei sich auf und er war glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende. Sein kleiner Freund wuchs heran und wurde irgendwann ein weiser Häuptling. Er erzählte seinen Kindern und Kindeskindern am Lagerfeuer von seinem treuen Piratenfreund. Immer, wenn er ein Piratenschiff am Horizont vorbeifahren sah, dachte er an seinen Freund zurück, dem er sein Leben zu verdanken hatte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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