Rudolf Geiser

Herzlichen Glückwunsch! (8)

Heute: Er gratuliert einer ehemaligen Kommilitonin zum 50. Geburtstag
 
 
Meine liebe Hanna, liebe Freunde!
 
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir beide uns das erste Mal begegnet sind. 30 Jahre sind es nun her - ich war, glaub ich, im zweiten oder dritten Semester - saß im Germanistischen Institut und wartete auf den Beginn der nächsten Vorlesung, als du plötzlich auftauchtest und mich ansprachst.
 
Es war dieser besondere Augenblick, an den ich denken musste, als im Vorfeld der Planungen zu deinem Geburtstag die Bitte an mich herangetragen wurde, ich möge doch etwas Gereimtes zum Besten geben, wozu sei ich schließlich Dichter. Nun beruht aber die durchaus schmeichelhafte Annahme, ich sei des Poetischen mächtig, auf einem weit zurückliegenden Missverständnis, welches aufzuklären ich hier und jetzt die Gelegenheit ergreife.
 
Es stammt aus jenen düsteren Jugendtagen, als auf sogenannten Feten Exzess und Alkohol nicht selten fatale Allianzen eingingen, so dass gegen Morgen die meisten Gäste total knülle, hacke zu und völlig dicht waren. Dass ich jedoch stets dichter gewesen sei, halte ich persönlich für ein hässliches Gerücht. Gehalten hat es sich bis zum heutigen Tag, wenn auch mit einem Bedeutungswandel, der mich eigentlich froh stimmen müsste, enthebt er mich doch des zweifelhaften Rufes, ein großer Säufer vor dem Herrn zu sein. Andererseits fiele es mir jetzt natürlich leichter, einfach nur aufzustehen, das Glas zu erheben und mit einem donnernden Prost den offiziellen Teil des Abends zu beenden.
 
Aber gut, was soll's, dann mach ich halt den Dichter und beschwöre noch einmal jenen magischen Moment herauf, der mein bis dahin eher tristes Leben entscheidend bereichern sollte.
 
 
Es war im Phil. Fak. Institute,
wo ich mir grade eine gute
und wohlverdiente Pfeife stopfte,
als jemand meine Schulter klopfte.
 
Ich blickte auf und tat gewahren,
ein holdes Mädchen, jung an Jahren,
so reizend, anmutig, betörend,
rein gar nichts wirkte an ihr störend.
 
Sie wollte zu Professor Wimmer
und fragte mich nach seinem Zimmer,
wobei sie mich ganz sanft berührte.
Selbst meine Pfeife erigierte
ob dieser unverhofften Nähe.
 
Ich fragte mich, was wohl geschähe,
wenn ich nun meinerseits die Hände
auf ihre Schultern legte, fände
sie das ein wenig übertrieben?
Würd' sie es hassen oder lieben?
 
Werd's nie erfahren, tja, das weiß ich.
"Der Wimmer? Zimmer achtunddreissich."
 
Schon hör ich euer Hohngelächter,
euch sagen: "Teurer Freund, viel schlechter
habt Ihr nicht können reagieren.
Wie kann man sich bloß so blamieren!"
 
Doch haltet ein, ihr müsst bedenken,
wie seltsam uns oft jene lenken,
die unser Los und die Geschicke
in Händen halten, und die Stricke,
mit denen sie zu führen pflegen,
bisweilen um den Hals uns legen.
 
 
Wie ihr alle wisst, blieb es nicht bei dieser einen Begegnung, Gottseidank, sie war lediglich der Anfang einer mittlerweile 30 Jahre währenden Freundschaft, für die ich dir, liebe Hanna, von Herzen danken möchte. Ach ja, und alles Gute zum Geburtstag.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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