Norman Buschmann

Das Attentat

Es war schon nach zehn. Die großen Glocken des Big Ben hatten es ihm verraten. Er warf einen schnellen Blick auf die fluoreszierenden Ziffern seiner Armbanduhr, dann schob er den Ärmel zurück und blickte aus dem Fenster des Wagens. So weit lief alles nach Plan. Noch ein paar Minuten, dann würde er sich auf den Weg machen und alles so erledigen, wie er es seit Monaten vorbereitet hatte. Sein Auftraggeber würde stolz auf ihn sein. Und er auf die Summe, die wenige Stunden später auf seinem Konto verbucht werden würde. Ohne den Blick von der fast leeren Straße zu nehmen, griffen seine Finger auf den Beifahrersitz. Sogleich machte er sich daran, die feinen und eng anliegenden Lederhandschuhe anzuziehen, die er dort parat gelegt hatte. Er schob seine feinen, fast schon mädchenhaft anmutenden Hände hinein und ballte die Finger zur Faust. Es war nicht das erste Mal, das er sie trug. Mit einem süffisanten Lächeln bewegte er die Finger ein paar mal hin und her, ehe er hinter sich auf die Rückbank griff. Dort hatte er sein wichtigstes Werkzeug abgelegt. In einem schwarzen Lederkoffer. Niemand würde Verdacht schöpfen, was sich wirklich darin befand. Und niemand würde vermutlich Notiz von der Person im Trenchcoat nehmen, die mit einem alten abgetragenen Stetson auf dem Kopf und einem schwarzen Lederkoffer unter dem Arm die Straße entlang schlenderte. Er würde in die Schaufenster gucken, wie jeder andere Mensch auch, der um diese Zeit noch spazieren ging. Und so tat er es auch. Als er die Tür des Wagens öffnete setzte ein leichter Nieselregen ein. Der Mann verharrte einen Herzschlag lang, dann zog er den Kragen seines Trenchcoats weiter zu, und verließ den Wagen. Die Tür verschloß er jedoch nicht. Nichts war dem Zufall überlassen worden. Auch dieser Platz war präzise für sein Vorhabe gewählt worden. Nach etliche Wochen, die er hier in der Gegend gewesen war, um die Lokalitäten zu prüfen, hatte er sich für diese Stelle entschieden. Dunkel, aber nicht ganz so abgelegen, wie der Hinterhof, den er zuvor in Betracht gezogen hatte. Leise ließ er die Tür ins Schloß fallen, ohne sich dabei ein einziges mal umzuschauen. Leise, mit der Geschmeidigkeit einer Katze, ging er los. Mehr als ein feuchtes, gedämpftes Pochen seiner Gummisohlen war auf dem Pflaster unter seinen Füßen nicht zu hören. Ab und an ein Quietschen. Das war alles. Lässig baumelte der Koffer an seiner linken Hand. Während er die hundertdreiundachtzig Schritte bis zu dem Punkt ging, an dem er die Straße überqueren würde, schaute er sich unbemerkt nach links und rechts um. In seiner Tasche hatte er eine frische Packung Kaugummi aufbewahrt. Das Kauen eines Streifens, ganz gleich welche Sorte oder Geschmacksrichtung, sollte die Leistung des menschlichen Gehirns fördern. Angeblich gelangte durch die Bewegungen der Kiefermuskulatur mehr Sauerstoff ins Blut und somit auch in das Gehirn. Egal, wie dem auch sein, er hatte 140 Schritte gemacht und blieb stehen. Auf den Punkt genau vor der Schaufensterscheibe des Tabakladens. Einen Moment sah er sich die Auslagen an, ehe er sich wieder umwand und die restlichen dreiundvierzig Schritte machte. Die Gegend durch die er ging war ruhig und zu dieser Zeit nicht sonderlich belebt. Ganz gut so. Je weniger Menschen mitbekamen, was geschah, um so besser. Wenn es überhaupt jemandem auffallen würde. 183! Eine Wendung nach links, schauen ob kein Auto die Fahrbahn kreuzt, hinüber zur anderen Seite, erledigt! Nun waren es noch vierundfünfzig Schritte bis zum nächsten Punkt der Karte, die er im Geiste abschritt. Auf dem Weg dort hin begegnete er einem Pärchen. Sie schritten Hand in Hand auf ihn zu, schienen ihn aber nicht recht wahr zu nehmen. Der Schirm, unter dem sie liefen, versperrte fast die ganze Sicht auf den Gehweg. Kurz bevor es zum unvermeidbaren Zusammenstoß gekommen wäre, wich er aus und die beiden Verliebten liefen mit unverminderter Geschwindigkeit an ihm vorbei. Er sah ihnen nach, drehte sich um und ging weiter. Es war schon ein komischer Zufall, daß das Gebäude, auf dem er sich postieren würde, eine Kirche war. Aber es war das einzige Gebäude hier in der näheren Umgebung, das hoch genug war und innerhalb seiner Reichweite lag. Auch dieser Punkt wurde vorher sorgfältig ausgesucht und einige Nächte lang vermessen. Doch das waren nicht die einzigen Fakten, mit denen er sich über einen Zeitraum von etlichen Wochen und Monaten beschäftigt hatte. Der Fokus all seiner Recherchen war die Person, die er ausschalten sollte. Warum und weshalb, das spielte für ihn nicht die geringste Rolle. Schließlich hatte man ihn nur engagiert, damit die Sache so diskret und sauber über die Bühne lief, wie irgend möglich. So, wie alle seine bisherigen Aufträge auch. Die Person, um die es in diesem Fall ging, war Professor. Er schätzte das Alter auf Anfang Sechzig, vielleicht auch ein paar Jahre darüber. Auf den ersten Blick jedenfalls eine Persönlichkeit, zu der man Vertrauen hat, ganz gleich ob man sie schon seit einer Ewigkeit kennt oder erst seit wenigen Augenblicken. So ging es ihm zumindest. Das machte für gewöhnlich die Sache nicht leichter, doch hatte er in all der Zeit, in der er seine jetzige Tätigkeit ausübte gelernt, das Gefühl der Trauer und vor allen Dingen das von Mitleid zu unterdrücken, ja, völlig zu ignorieren. Er war Profi. 54! Er hatte den Punkt erreicht, an dem er in die kleine Gasse einbiegen mußte. Ein Blick auf die Uhr an seiner Hand. Alles lief wie geplant. Gut, also machte er weiter. Nach wenigen Minuten hatte er das Gebäude erreicht, das ihm als Deckung uns Aussichtsplatform zugleich dienen sollte. Die alte Kirche. Ein ungewolltes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er den Kopf in die Höhe streckte und zu den Zinnen der Fassade empor sah. Kaltes Regenwasser fiel in sein Gesicht. Noch ein paar Meter, und er war wieder im Trockenen. Das leise quietschen des alten Eisentores verriet, das jemand den Vorhof der Kirche betreten hatte. Nichts rührte sich. Noch ein paar Schritte, die ihn ins Innere des alten Gebäudes führten. Er war wieder im Trockenen. Nun gut, es galt trotzdem keine Zeit zu verlieren. Über den Eingang zum Keller verschafft er sich Zutritt. Nach dem er diesen durchquert hatte, ging es eine schmale Treppe hinauf, die in das große Kirchenschiff führte und ihn in eine kleine Wandnische entließ. Keine Menschenseele war zu sehen, trotzdem brannten unzählige Kerzen auf dem Altar und auf großen, eisernen Ständern rings umher. Eine gespenstische Stille hüllte alles ein. Leise und immer darauf bedacht, keinen unnötigen Laut von sich zu geben, schlich er an der Wand und im Schatten einer weiteren Tür entgegen. Sie würde ihn an sein Ziel führen. Wieder ein Blick nach links und rechts. Niemand war zu sehen. Nach zwei weiteren Herzschlägen hatte er sein Ziel erreicht. Aus seiner Tasche zog er einen Dietrich, mit dessen Hilfe er das Schloß der Tür überlistet. Es war eine alte von eisernen Bändern zusammen gehaltene Tür. Und ebenso alt schien die Mechanik des Schlosses zu sein. Keine zwei Sekunden später sprang es auf. Der Mann öffnete es nur so weit, daß er seine schlanke Gestalt, den Koffer voran, hindurch zwängen konnte. Sofort schloß er sie wieder. Dunkelheit umfing ihn. Ein Geruch von Moder und feuchter Erde erfüllte die ihn umgebene Luft. Langsam und mit tastenden Schritten machte er sich an den Aufstieg. Die 180 schmalen Stufen bis zur Brüstung am Glockenstuhl waren in wenigen Minuten vollbracht. Obwohl sie in einem schmalen Gang und wendelförmig in die Höhe führten, schaffte er es in seiner eigens vorgegebenen Zeit, sie zu erklimmen. Oben begrüßte ihn mattes Dämmerlicht. Durch viele kleine Öffnungen, die kunstvoll in den Stein gehauen waren, flutete das Licht der unter ihm stehenden Straßenlaternen. Ebenso das der über ihm hängenden Sterne und des Mondes. Leise prasselte der regen auf die Kupferpafannen, welche die Turmspitze bedeckten. Als er nach oben blickte, empfand er fast so etwas wie Ehrfurcht. Stumm hingen die drei Glocken wenige Meter über seinem Kopf an ihren uralten Holzbalken. Nichts regte sich. Ein paar Fledermäuse jagten sich in dem weiter nach oben führenden Gewirr aus Balken und noch mehr Balken. Wieder sah er auf seine Uhr. Er war gut in der Zeit. Behende ging er weiter. Den Koffer hielt er fest mit den Fingern seiner rechten Hand umklammert. Als er sein Ziel erreicht hatte, stellte er den Koffer auf die staubigen Holzbohlen zu seinen Füßen . Obwohl er nicht viel erkennen konnte, so wußte er das die Bohlen von einer Zentimeter dicken Schicht Staub bedeckt waren. Er hatte es gesehen, als er sich dafür entschloß, diesen Platz für seine Aktion zu wählen. Vorsichtig öffnete er die kleine Tür, die wenige Zentimeter vor ihm lag. Als er das erste Mal hier her gekommen war, hatte er eine kleine Flasche mit Schmieröl mitgeführt um die altersschwachen Angeln zu ölen. Nun konnte er die Tür gefahrlos und ohne den kleinsten Muckser öffnen. Der Regen draußen hatte nicht merklich zu genommen, doch kam es ihm hier oben, hoch über den Dächern der Stadt viel schlimmer vor. Ver5mutlich wehte der Wind in dieser Höhe etwas heftiger als unten auf der Straße, zwischen den schützenden Häuserfasaden. Wie dem auch sei, dieser Umstand würde seinem tun keinen Abbruch zukommen lassen. Sein Blick ging, aus dem Dunkel des Schattens, in dem er sich gestellt hatte, über die Brüstung und in Richtung Pub. Kaum merklich sog er die frische Abendluft ein, ließ sie einen Moment in seiner Lunge verweilen, ehe er sie wieder ganz konzentriert und nicht zu hören ausspie. Ein feuchter Film hatte sich durch das Regenwasser auf seinem Gesicht gebildet. Er drehte sich um und kniete sich vor den Koffer, öffnete diesen. In die Seiten des absichtlich gealterten Utensils waren dicke Schaumstoffpolzter eingearbeitet. Diese hatten passgenaue Aussparungen, in denen die einzelnen Komponenten des Präzisionsgewehres untergebracht waren. Er griff eine röhrenförmige Apparatur, an deren beiden Enden er jeweils einen kleinen runden Deckel hoch klappte. Die geschmeidig unter der Haut liegenden Sehnen und Muskeln des Mannes ließen ihn wieder in die Höhe steigen und bewegten ihn wieder in den Schatten der kleinen Tür. Vorsichtig setzte er das Zielfernrohr an die Augen und spähte hindurch. Er hatte seinen Zielpunkt sofort im Auge, wußte wonach er suchte, fand es auf anhieb. Da saß er. Bärtig, in seinem Tweet-Anzug über seiner wöchentlichen Lektüre der London-Times. Neben sich stand ein drei viertel gefülltes Glas Guinnes, auf der anderen Seite ein geleerter Teller mit einer sorgfältig gefalteten Serviette. Der Killer mußte grinsen, als er sah, das der alte Herr, die Zielperson, mit ebenfalls gefalteten Händen vor seiner Zeitschrift saß. Sprach er vielleicht schon sein Gebet? Wie passend, bei dem, was ihn noch erwarten sollte. Fast hätte er sich dabei ertappt, wie er so etwas wie Mitleid empfunden hätte. Doch dieser emotionale Anflug verging eben so schnell, wie er versuchte, sich in seinem Kopf breit zu machen. Er ging zurück und kniete sich erneut vor den Koffer., legte das Fernrohr auf die Polsterung nieder. Dann machte er sich daran, seinen Trenchcoat auszuziehen und diesen über einen Balken neben der Tür zu hängen. Ihm stieg der Duft des Parfums in die Nase, mit dem er sich heute morgen eingesprüht hatte. Es war exakt das selbe, das der Professor im Pub trug. Er verwendete sogar die selbe Rasiercreme. Alles dank seiner äußerst präzisen und tiefgreifenden Recherche. Nun gut, er wollte sich langsam an die Arbeit machen. Schließlich konnte er nicht ewig seinen Gedanken hinterher hängen. Ein neuer Auftrag war auch schon in Arbeit! Mit geübtem Griff und fliegenden Fingern setzte er die Waffe aus ihren Komponenten zu einer tödlichen Einheit zusammen. Matt schimmerte das brünierte Metall im fahlen und gedämpften Mondlicht. Der Regen machte ihm nichts aus. Mit der rechten wischte er sich einen feuchten Film vom Gesicht, dann hockte er sich hin und legte das Gewehr an. Der Schaft wurde hart an seine Schulter gepreßt, sein Auge spähte mit tödlicher Arglist durch die Optik des Zielvernrohres. Langsam schwenkte er das Fadenkreuz hin und her, ließ es tiefer gleiten, drehte die Schärfe etwas näher und legte eine andere Zoom-Linse ein. Da war er, sein Opfer, seine Prämie. 1,5 Millionen englische Pfund hatte er mit seinem Auftraggeber vereinbart. Er würde das Geld sofort überwiesen bekommen, wenn in den Zeitungen vom Tod des Professors berichtet wurde. Nicht mehr lange, und er würde seinen Finger um den Abzug krümmen, würde die Mechanik im Inneren des Gewehres dadurch betätigen und das kleine silberfarbene Projektil auf seine kurze und vernichtende reise schicken. Wenn die Arbeit erledigt war würde er sich daran machen, schnell und ohne großes Aufsehen zu verschwinden. Hierfür hatte er sich eine zweite Montur zurecht gelegt, die ein paar Meter in den Schatten des Glockenstuhles lag und auf ihn wartete. Unten im Pub regte sich etwas. Der Professor hatte seine Rechnung beglichen, wie jeden Abend, den er hier verbrachte mit einem Trinkgeld. Seine Muskeln spannten sich, der Griff seiner Hände wurde fester, seine Atmung gleichmäßig. Die Frequenz seines Herzens überschritt nicht einen Moment 80 Schläge pro Minute. Die Waffe bewegte sich nicht, schien mit der menschlichen Substanz eine verschmolzene Einheit zu bilden. Wie versteinert hockte der Killer hinter einer der kunstvollen Verzierungen, durch die der Lauf und das Fernrohr ragten. Der Regen prasselte unterdessen weiter auf ihn hernieder. Sein Zeigefinger spannte sich um den Abzug, als die Tür auf ging und der alte Mann auf die regennasse Straße schritt. Er war so auf seine Aufgabe konzentriert, das er das goldfarbene, erst nur schwache und dann immer heller werdende Leuchten über ihm nicht bemerkte. Langsam kam es tiefer, schwebte zwischen den großen Glocken immer weiter nach unten. Ein strahlend weißes Flügelpaar war zu erkennen. Umgeben von einer goldenen Aura aus Licht. Die Gestalt, die sich im Lichtschein abzeichnete, schien weit über zwei Meter groß zu sein. Der Kopf und das Gesicht waren unter einer weiten Kapuze verborgen in der nur zwei rotgolden schimmernde Schlitze zu erkenne waren. Langsam schwebte sie weiter, drehte sich und bewegte die Arme grazil auf und ab. Der Oberkörper wurde von einem strahlenden Silberbrustpanzer bedeckt, ohne jegliche Art von Verzierungen und Schnörkel. Auch die Arme wurden von metallenen Stulpen bedeckt, ebenso die Beine und die Füße. Ein wallender Umhang, der sich um die Schultern legte, flatterte geräuschlos in drei breiten Streifen um die Gestalt aus Licht und Silber. An seiner Taille hing ein breites Schwert in einer kunstvoll gearbeiteten Scheide an einem breiten Gürtel. Die Finger der Engelsgestalt bewegten sich, bildeten eine Faust. Der Killer schien von alle dem immer noch nichts mitbekommen zu haben. Er hockte immer noch hinter der Brüstung und zielte auf sein Opfer. Grade als er den Zeigefinger zum tödlichen Schuß um den Abzug krümmen wollte, erschlafften seine Muskeln und er drehte den Kopf zur Seite. Kalter regen prasselte in sein Gesicht. Er drehte den Kopf weiter, um auf das zu blicken, was da hinter seinem Rücken passierte. Als er das leuchten erblickte, traute er seinen Augen nicht. Und als er erkannte, was sich da vor ihm einen guten Meter über den alten Holzbohlen des Glockenstuhles in der Luft bewegte, glaubte er es einfach nicht. Das konnte doch nicht sein. Der Engel, von dessen Gesicht immer noch nicht mehr zu erkennen war, als die zwei leuchtenden Schlitze, dort wo sich bei einem Menschen die Augen befanden, schwebte nicht mehr als drei Armeslängen vor ihm. Ja, er schien gradezu in der Luft zu hängen, Nichts außer den riesigen Schwingen bewegte sich. Und selbst diese Bewegungen verursachten nicht den geringsten Laut. Goldenes Licht erfüllte den Raum, strahlte bis in die hintersten, entlegenen Ecken und umhüllte den Engel. Schwerfällig, so als habe sich sein Gewicht in den letzen Sekunden verdreifacht, kam der Killer auf die Füße, stemmte sich mühsam in die Höhe. Polternd und mit einem metallischen Scheppern glitt ihm das Gewehr aus den Händen und prallte auf den Boden. Zischend, so als würde auch diese Prozedur das letzte von ihm verlangen, stieß er die Luft zwischen den Zähnen hervor. Schweiß sammelte sich mit einem Mal auf seiner Stirn. Auch in seinen Achseln und auf Rücken und Brust bildete sich der feine klebrige Film, vermischte sich mit dem kühlen Naß des Regens. Seine Augen starrten wie gebannt auf die verhüllte Gestalt, die ihn mit glühenden Augenschlitzen aus der Kapuze heraus anstarrten. Immer noch glitten die Arme und Hände des Engels, wie von unsichtbaren Drähten bewegt, hin und her. Kein Laut erfüllte den Raum. Nicht einmal das prasseln des Regens war noch zu hören. Ihm wurde klar, das er diesen Auftrag nicht erfüllen würde. Und auch keinen weiteren. Nie wieder einen! Seine Augen waren immer noch wie gebannt auf die Gestalt des Engels gerichtet. Obgleich er wußte, das dieser ihm nichts Gutes zu bieten hatte, fühlte er sich doch wie von einer schweren Last befreit. Alles um ihn herum und selbst sein eigenes Leben schienen mit einem male so bedeutungslos geworden zu sein. Eine tiefe Zuneigung zu dem Geschöpf aus Licht und Silber Erfüllte ihn und verdrängte gleichzeitig alle anderen Gedanken und Emotionen. Seine Haut prickelte wie elektrisch aufgeladen. Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Heiße und kalte Schauer liefen ihm abwechselnd den Rücken hinab.
„Wer bist du?“
Kein Antwort. Langsam und mit unheimlicher Eleganz griff der Engel nach dem Griff seines Schwertes. Als er es aus der leuchtenden Scheide zog, die am Gürtel befestigt war, Erfüllte eine Melodie den Raum, wie sie für menschliche Ohren unmöglich bestimmt gewesen sein konnte. Noch nie zuvor hatte der Auftragskiller etwas vergleichbar schönes in seinem Leben gehört. Er wollte sich die Ohren zu halten, preßte beide Handflächen auf sie, da er sich nicht für würdig genug hielt, diesen wundervollen klängen auch nur eine weitere Sekunde lauschen zu dürfen. Es half nichts. Die Musik erfüllte den Raum, die Luft die er einatmete. Es half nichts, sie mit den Händen aufhalten zu wollen.
„Nein, nein! Aufhören, ich habe das nicht verdient. Bitte!“
Wie von einem unsichtbaren Fausthieb im Rücken getroffen, sank er zurück auf die Knie und nahm die Hände von den Ohren. Die Melodie war noch immer da. Angst stieg in ihm hoch. Panik breitet sich in seinem Hirn aus, durchströmte seinen Körper. Tränen der Verzweiflung liefen dem Mörder über die Wangen und tropften am Kinn ab, vermischten sich mit der Nässe des Regens und dem Schweiß, der auf seiner Haut klebte.
„Gott, vergib mir. Ich habe Unrecht getan, das weiß ich nun. Führe mich meiner gerechten Strafe zu. Gott!“
Er hatte die Hände erhoben und sie vor seiner Brust gefaltet. Seine Lippen bebten, als sie begannen, das Vaterunser zu stammeln. Der Blick blieb weiterhin auf den glühenden Augenschlitzen des Engels gerichtet. Dieser sah zu, hielt das Schwert mit der rechten holte langsam aus. Er neigte den Kopf und für einen Augenblick hätte man meinen Können, ein amüsiertes Lächeln über die schattenhaft unter der Kapuze zu erkennenden Gesichts-züge huschen zu sehen. Alles Flehen und Beten half nichts, wenn das Schicksal zuschlug Der Engel hob seinen Arm, schwenkte die scharfe Klinge des Schwertes nach hinten und ließ die zielstrebig auf den zerbrechlich wirkenden Körper des Mannes nieder fahren. So, als würde dieser gar nicht real sein, glitt sie durch diesen hindurch. Kein Blut war zu sehen. Auch klaffte der Körper an der vermeintlichen Schnittstelle, die ihm die Klinge hätte zufügen müssen, nicht auseinander. Es war so, als sei nichts geschehen. Doch der Schein trog. Als die Klinge den Körper verließ, wurde sie von einem Schweif aus silberblauem Licht begleitet. Blitze zuckten und hüllten die Klinge ein. Die Augen des Mannes waren vor unbändigem Erstaunen weit geöffnet, doch ihr Blick trübte sich, als das Schwert durch ihn hindurch gefahren war. Wie ein gefällter Baum schlug er auf das Gesicht udn blieb auf den Brettern des Fußbodens liegen. Der Engel jedoch steckte sein Schwert zurück und drehte seinen Kopf in die Richtung, in der die Wolke aus Licht schwebte. Unruhig tanzte sie über dem Kopf des toten Killers auf und ab, umsponnen von einem feinen Netzt aus tanzenden Blitzen. Er streckte die Hände aus und hielt sie unter sie. Langsam und an Größe rasch abnehmend, sank sie auf die behandschuhte Hand nieder, bis sie nur noch die Größe eines Tennisballs hatte. Die Finger des Engels schlossen sich udn glitten unter die Brustplatte der schillernden Rüstung, Wenige Sekunden später kam sie wieder darunter hervor und klopfte mit der flachen Hand darauf. Es war getan. Und es war gut. Mit stetig schneller werdendem Flügelschlag stieg der Engel empor, kreiste um die großen Glocken, um dann ebenso mysteriös zu verschwinden, wie er erschienen war.







© 2002 by Norman Buschmann

Guten Tag liebe Leserin, lieber Leser

Wollte mit dieser Geschichte mal versuchen, ob ich eine Mischung aus Krimi und Mysterie stricken kann. Würde mich daher sehr freuen, wenn man sich mit eienm Kommentar bei mir melden würde. Bin für jede Art von Kritik offen.

Bis denn dann,

Norman ;-)
Norman Buschmann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.07.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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