Annie Krug

ein hinter(n)listiger Anschlag...



Im Winter bestimmte meist öde Langeweile unser Leben. 
Einen Fernseher kannte ich nur vom Hörensagen, denn in den frühen Sechzigern leistete sich so gut wie niemand diesen Luxus. Auch eine Zeitung kam meinen Eltern zu teuer und selbst das Radio wurde meistens nach den Nachrichten wieder abgedreht. Es mußte Strom gespart werden.

Das schlug auf die Stimmung. Die Mutter hantierte gereizt mit dem Geschirr, ich gnauzte (quengelte) herum, was ihre Laune auch nicht sonderlich hob und selbst mein genügsamer Vater hockte lustlos in seinem Korbsessel neben der Küchenherd und knurrte vor sich hin wie ein Kater, dem einer die Maus wegnehmen will.
Da war man wirklich froh um jede Abwechslung.
 
Eine zuverlässige und schier unerschöpfliche Quelle der aufregendsten Neuigkeiten war unser guter alter Schreiners-Papa.
In sporadischen Abständen kam er - meistens bald nach dem Mittagessen - ganz unverhofft hereingeschneit, um kurz vor Einbruch der Dunkelheit wieder loszumarschieren.
Plötzlich sprühte die Küche vor Leben. Er brachte uns bei seinen Besuchen stets die skandalösesten und haarsträubendsten Geschichten ins Haus, die er in seiner gewohnt temperamentvollen Art mit dröhnender Stimme und heftig gestikulierend zum Besten gab. Und das was er erzählte, konnte man direkt bildhaft vor sich sehen. 
Ein Besuch vom Schreiners-Papa bedeutete immer einen unterhaltsamen gemütlichen Nachmittag.
Wie weggeblasen jede Tristesse und Müdigkeit. 
Da stichelte meine Mutter gleich noch mal so freudig am Erpfl´sook (Kartoffelsack)
 oder dem  Wollsocken herum - irgendetwas gab es ja immer zu flicken oder stopfen. Der Vater steckte sich schmunzelnd ein Tabakspfeifchen an. Und ich kuschelte auf dem Schoß des willkommenen Besuchers und machte lange Ohren.
 
Das eine oder andere mochte der aber nicht in meiner Anwesenheit erzählen.  Und das fand ich sehr bedauerlich.
Ich merkte immer schon, was in der Luft lag, wenn er  anfing, augenzwinkernd in seinem Geldbeutel zu kramen und mich dann mit ein paar Geldstücken rüber zum Wirt schickte.
Stets sollte ich für die Großen Bier holen gehen, gelegentlich sogar ein Fläschchen Wein.
 Obwohl bei diesen Dienstleistungen für mich jedesmal Kekse oder die sehr begehrten Salzstängchen heraussprangen, hatte ich doch recht bald die Nase voll vom Weggeschickt werden.
Ich witterte es - da kamen in meiner Abwesenheit lauter hochinteressante Sachen auf den Tisch, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht für mich bestimmt waren...
 Jedesmal, wenn ich unverhofft schnell wieder hereinkam, stockte plötzlich die angeregte Unterhaltung. Alle hatten erhitzte Gesichter und das laute Gelächter, das mir noch im Hausgang entgegengeschlagen war, verstummte schlagartig.
Sichtlich um Themenwechsel bemüht, brachten sie dann zu meinem Leidwesen gerne die Rede auf meine letzten "Heldentaten" und ähnlich Unangenehmes. 
Oder der ewig um meine Gesundheit besorgte Schreiners-Papa stellte wieder einmal fest, daß ich ganz entschieden zu dünn wäre und daher viel „Milch trinken“ und „Brote mit schauderhafter Erdnußbutter essen“ müsse. Ich missbilligte beide Möglichkeiten.
 Und außerdem grinsten sie einander jedesmal über meinem Kopf hinweg so vielsagend zu. Dies ärgerte mich auch, denn da kam ich mir immer so gelackmeiert vor.
Das wollte ich ein wenig ändern.
 
 Bald gewöhnte ich mir an, mich in solchen Situationen in Richtung "Häusla" aus der Küche zu verdrücken – betont auffällig - indem ich die Hintertür extra geräuschvoll ins Schloss fallen ließ.
 Wieselflink flitzte ich danach um´s Haus herum und drückte mich leise wie eine Maus zum tagsüber niemals abgesperrten Vordereingang wieder herein. In der ungenutzten Wohnstube bezog ich dann meinen Horchposten. Da die zweite Tür, die von dort aus direkt in die Küche führte, aus Heizgründen so gut wie immer verschlossen blieb, lief ich keine große Gefahr, entdeckt zu werden. Höchstens, dass mein Zähneklappern mich hätte verraten können, denn dort war´s wirklich elendig kalt.
 Ich kapierte zwar nie so recht, über was die da eigentlich redeten, aber trotzdem war ich ungeheuer stolz auf meinen listigen Einfall. Ha, die hatte ich doch sowas von ausgetrickst!
 War dieser Schleichweg nicht einfach genial? Und er ließ sich auch in umgekehrter Richtung vorzüglich benutzen, wenn´s sein mußte.

Mir schwebte da auch schon etwas ganz Bestimmtes vor. 

Und so kam es, daß dem „Schreiners-Papa“ bei passender Gelegenheit eine ganz besondere „Überraschung“ zuteil wurde. Nicht, dass ich ihn hätte ernsthaft ärgern wollen, wo er doch mein bester Freund war - sein Pech war eben, daß mich gerade an diesem Tag ein recht boshaftes Teufelchen ritt.
 Ausnahmsweise hatte dieses Mal er statt meiner den Gang zum Abtritt für nötig befunden. Nur daß das bei ihm mit Sicherheit kein bloßer Vorwand war. Und ich gedachte, diese Gelegenheit weidlich zu nutzen.
 Kaum war die Küchentür hinter ihm zugeklappt, verfügte ich mich auch schon umgehend - mit der obligatorischen kleinen Gießkanne und vorge-täuschtem Fleiß bewaffnet - in die Stumm (Wohnzimmer), um dort Mutters geliebte Geranien auf den Fensterbrettern zu gießen. Worauf die aber lange warten konnten.
 Erklärend muß ich nun dazu sagen, daß unser stilles Örtchen - ein Holzkabinettchen, wie auf dem Dorf allgemein üblich - der Einfachheit halber direkt über die Jauchengrube gezimmert worden war.
 Dies war einerseits recht praktisch, weil man sich auf diese Weise eine gesonderte "Entsorgung" ersparte. Eines hatte der geniale Konstrukteur allerdings nicht bedacht - überschritt der "Pegelstand" in der Oolgruum eine gewisse Marke, machte es bei ganz bestimmten Gelegenheiten nicht mehr das gewohnte satte „plumps!“, sondern ein ganz perfides "plitsch!" Und etwas nicht näher zu Definierendes spritzte einem von unten an freigelegte Körperregionen. 
  Außerdem mußte der Benutzer auch noch höllisch aufpassen, daß ihm beim Rangieren mit den Kleidungsstücken nichts aus den Taschen fiel und auf Nimmerwiedersehen in finstere Tiefen  entschwand.
Aus Gründen der Sicherheit  ließ man deshalb jüngere Kinder zu „Geschäftszwecken“ lieber den Stall aufsuchen. 
 
 „Der Schreiners-Papa hatte höchstwahrscheinlich gerade in dem gastlichen Gehäuse erleichtert seufzend auf dem ausgesägten Brett Platz genommen, als ich auch schon voller Heimtücke aus der Deckung des Misthaufens von hinten heranschlich.
In der Hand hielt ich einen langen dürren Ast, der mir für meine finsteren Zwecke ganz besonders geeignet schien.
 Knapp über dem Boden hatte sich ein Nagel aus dem verwitterten Holz gelöst, so dass eine Kante etwa zweifingerbreit abstand. Vorsichtig und geräuschlos schob ich das dünne Stöckchen durch diese Lücke weit zwischen die Bretterverkleidung des Kabinetts hinein. Dann holte ich tief Luft und bog den Stecken ruckartig zur Seite. 
  Es krachte, als wäre eine Granate in das Örtchen eingeschlagen. Der "Haus-Besetzer" fuhr mit einem Schreckensschrei in die Höhe. Jedenfalls rumpelte es gewaltig dort drinnen.
Ich raste davon, bevor ich losgackern konnte....

Gerade noch rechtzeitig kam ich anschließend „aus der Wohnstube“ zurück, um unseren schreckens-bleichen Gast verkünden zu hören, daß unser "Sch...haus" lebensgefährlich sei! 
 

 

An diesem Tag war ich es, die wissend in sich hineinfeixte.






Das besagte Häuschen war dem Schreiners-Papa seither zutiefst suspekt. Die wahre Ursache hat er nie erfahren.
Annie Krug, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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