Heiko Buchmeier

Von der (Un)lust ewigen Lebens

Verehrter Leser,
zu Beginn dieser Geschichte begeben wir uns zu einem Haus in der Ziegelhofstrasse – Ecke Ginsterweg und zwar an einen Ort Ihrer Wahl. An irgendeinem schönen Frühlingsmorgen, in einem Frühlingsmonat Ihrer Wahl und einem Wochentag Ihrer Wahl, um etwa 9.30 Uhr morgens, könnte es sein, dass irgendein Lauscher an der Wand dieses Eckhauses nicht etwa seine eigene Schande hören wurde, sondern folgendes Gespräch:
„Lass bloß die Vorhänge zu.“
„Oh, verflixt Erwin, wie kannst du mich so erschrecken. Ich denke, du schläfst.“
„Hab´ ich auch. Hatte nur vergessen, den Deckel zuzumachen. Bin wohl grad´ noch rechtzeitig aufgewacht.“
„Das kannst du laut sagen. Mensch, du vergisst noch mal deinen Arsch. Um ein Haar hätte ich für dich kein Schweineblut mehr holen müssen, sondern höchstens noch Handfeger und Kehrblech. Wenn alle Vampire solche Trottel sind, möchte ich gern mal das Genie sehen, das dich gebissen hat.“
„Na hör mal, das ist aber nicht sehr nett. Immerhin profitierst du ja auch von diesem, äh, sagen wir mal Missgeschick. Jetzt merkst du´ s vielleicht noch nicht, aber warte nur, bis fünfzig oder hundert Jahre vergangen sind und du noch keinen Tag älter bist, wie vor zwei Jahren, als ich dir das erste Mal meine Hand auf die Stirn legte.“
„Dafür soll ich dir wohl noch dankbar sein, was? Da hättest du dich aber zwanzig Jahre eher beißen lassen müssen, und nicht erst im Greisenalter von sechsundfünfzig Jahren. Mal ganz davon abgesehen, dass ich auch noch drei Jahre älter bin als du. Und mein Rheuma kriegst du mit deiner Handauflegerei auch nicht weg.“
„Das klingt ja, als hättest du dich ganz nicht gefreut, als ich an jenem Abend zurückkam.“
„Ich hätte es passender gefunden, wenn du mich zu dir geholt hättest, anstatt dir hier einzunisten. Was glaubst du wohl, wie die Nachbarn sich die Augen ausgestiert haben, als dein Sarg geliefert würde. Als ob es keine Kartoffelkisten in deiner Größe gäbe.“
„Ich habe dir doch schon hundertmal erklärt, dass Vampire keine Familienmitglieder beißen. Außerdem hast du ja gar keine Ahnung, wie kalt und muffig so eine Gruft ist. Und was die Kartoffelkiste betrifft – etwas Ehre hat man dann ja wohl doch noch. Du wohnst ja schließlich auch nicht im Keller oder auf dem Dachboden.“
„Das wäre ja wohl nicht schöner. Wer geht denn den ganzen Tag putzen, während du dich in deinem Mahagonikoffer herumaalst. Wenn du wenigstens nachts was tätest,-„
„Wohl als Nachtwächter, wie?“
„Ach, du könntest dir wenigstens hin und wieder selbst etwas fangen. Was soll den werden, wenn ich die Kur antrete, die mir mein Arzt so dringend empfiehlt? Ich kann doch wohl schlecht die Nachbarin bitten, nach den Blumen zu sehen und deine Blutkonserven auszufüllen.“
„Kein wunder, dass die Krankenkassen auf den Hund kommen, wenn sie wegen jedem Zipperlein eine Kur verschreiben. Stell’ Ich mich vielleicht an? Denk nur an meine Schulterwunde. Da steckt immer noch ein Stück Holz drin.“
„Ach du Armer, tu nur nicht so, als hättest du um dein Leben gekämpft. Schuld war nämlich nicht irgend ein Doktor van Helsing, sondern deine eigene Schusseligkeit. Ausgerutscht ist der Herr Vampir, auf einer Bananenschale, und dann ist der Herr „Unsterblich“ rückwärts in einer Jägerzaun gefallen. Das ist alles.“
„Sagtest du nicht, du müsstest zur Arbeit?“
„Das habe ich zwar nicht gesagt, aber ich muss trotzdem los. Also sieh’ zu, das du dir den Deckel schnappst. Ich kann die Vorhänge ja nicht den ganzen Tag zugezogen lassen. Und schließlich muss ich ja auch noch hintenrum beim Schlachter rein, bevor ich zur Arbeit gehe.“
An irgendeinem Frühlingsmorgen, in einem Frühlingsmonat Ihrer Wahl, werden in einem Eckhaus in der Ziegelhofstraße – Ecke Ginsterweg in einem Ort Ihrer Wahl um etwa 9.45 Uhr morgens im Erdgeschoss die Vorhänge aufgezogen und ein Lauscher an der Wand macht sich aus dem Staub.

ENDE Heiko Buchmeier

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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