Karl-Heinz Fricke

Manitoba - Erster Teil Winnipeg

Manitoba -Erster Teil- Winnipeg

Am 12. Dezember im Jahre 1956 traf ein Personenzug nach einer zweitägigen Fahrt in der Station der Canadian National Railway in Winnipeg ein. Wir befanden uns unter den Passagieren, denn wir hatten unser Vaterland nach langen Erwägungen verlassen, um nach Kanada auszuwandern.Unser Sohn und unsere Tochter hatten allerding keinen Einfluß auf diese Entscheidung, denn sie befanden sich noch im Alter von 6 und 3 Jahren.

 

Die Überreste unserer Habe befanden sich in 5 Holzkisten, von denen eine die zweiwöchige Schiffs-Überfahrt entweder nicht gut überstanden hatte oder Langfinger den Deckel zerstört und sich bereichert hatten. Merkwürdigerweise fehlten die kompletten Silberbestecke, und eine allgemeine Unordnung unter den verbliebenen Gegenständen war nicht zu übersehen Eine Beschwerde hätte nicht viel eingebracht, weil die Kiste nicht wie die anderen vier, dieselbe Stabilität aufwies.

 

Nun hatten wir endlich unser erstmaliges Ziel erreicht und wurden freudestrahlend von Verwandten,die wir bis auf einen gar nicht kannten, begrüßt. Es war der Bruder meiner Frau, der es in Briefen überzeugend verstanden hatte, uns über den großen Teich in eine neue Welt zu locken. Eine der Versprechungen, die meine sofortige Beschäftigung betrafen, erwies sich zu meinem Leidwesen als Fehlmeldung. Dadurch waren wir völlig abhängig vom Schwager und Frau, die von Beginn an unsere Anwesenheit mit anderen Augen sah als der Schwager. Dasselbe war auch von den Eltern der Schwägerin zu sagen, die auf derselben Straße ihr Haus hatten. Vom Zollbeamten zum Nichtstuer verurteilt zu sein hat mich am meisten gestört. Dazu kamen dann die vorwurfsvollen Blicke der Schwägerin, für die wir eine Belastung ihres jung vermählten Daseins darstellten. Sie nutzte jede Gelegenheit, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, schimpfte unsere Kinder aus und schlug sie gelegentlich. Der Schwager stand dabei, bedauernd die Schultern zuckend. Zu allem Unglück erwischte mich nach etwa einer Woche unserer Ankunft eine böse Grippe, die mich eine Woche ans Bett fesselte. Aus der nahen Küche hörte ich Tuscheln und Bemerkungen, die nicht für meine Ohren bestimmt waren.

 

Der Schwager ist dafür bekannt, gern einen zur Brust zu nehmen, und meine Gegenwart ermutigte ihn kurz vor Weihnachten eine Schnapsflasche aus dem Keller zu holen, um mit mir anzustoßen. Ich bin nie ein Trinker gewesen und mitzutrinken war es nur eine Geste, kein Frosch zu sein. Kaum standen die vollen Gläser auf dem Küchentisch, da kam die Schwägerin angerauscht und wischte sie mit der Hand vom Tisch, wobei eines zerbrach. Wieder zuckte der Schwager nur mit den Schultern.Ihre Begleitworte waren: "So weit kommt es, keine Arbeit und saufen! Das war nur auf mich gemünzt, weil der Schwager ja bei der Großbäckerei in einem festen Arbeitsverhältnis stand.

 

Zu allem Unglück gab es in dem kalten Prairiewinter wenig Arbeitsplätze und einige Großbetriebe waren am Streik. Für zwei Wochen bekam ich bei einer Möbelfirma einen Handlanger Job, der darin bestand, Kanthölzer aus dem Schnee herauszubuddeln, die dann so nass wie sie waren, sofort für Polstermöbel zusammennagelt wurden. Kurz darauf waren die Polsterer dabei die nassen, schweren Holzgefüge zu polstern und zu bespannen. Als der Job, der mir einen Stundenlohn von 60 Cents einbrachte, beendet war, saß ich wieder auf der Straße, den indignierten Blicken der Schwägerin ausgesetzt. Leider war ich finanziell total am Boden und musste schlucken, was ich sonst nicht geschluckt hätte, und ich sehnte den Frühling herbei, auf den ich große Hoffnungen setzte, um selbstständiger zu werden. Langsam aber sicher erlernte ich die englische Sprache und nach vier Monaten hatte ich keine Schwierigkeiten mehr, mich zu verständigen.

 

Während die Schwägerin täglich bei verschiedenen reichen Leuten als Haushilfe fungierte, und dabei einen Tagesverdienst von fünf Dollar erzielte, ging auch meine Frau auf solche Arbeitssuche. Deutsche Frauen, die für ihre Sauberkeit und Gründlichkeit bekannt sind, waren bevorzugte Opfer der Ausnutzung durch die Reichen, die sorgsam darauf bedacht waren für die wenigen Dollar den bestmöglichsten Dienst zu erhalten.

 

Der Silvesterabend in das Jahr 1957 bescherte uns Beiden einen Job im Deutschen Club. Der Hausmeister desselben war ein Freund des Schwagers. Mehrere hundert Klubmitglieder feierten Silvester, und wir waren dazu ausersehen die leeren Biergläser einzusammeln und zu waschen. Die Feier begann um 20 Uhr und als die letzten Gäste nach der zweiten Stunde des neuen Jahres gegangen waren machten wir uns daran den Saal zu säubern. Der totale Verdienst für meine Frau und für mich waren freies Essen und Trinken und für jeden 2.50 Dollar, die für damalige Arbeiten als angemessen angesehen wurden. Immerhin konnte man für fünf Dollar genügend Lebensmittel für die ganze Woche einkaufen.

 

Beruflich stand ich in dem fremden Lande auf schwachen Füßen. Einen einschlägigen Beruf hatte ich nicht. Ein Kaufmannsgehilfe ohne Erfahrung oder ein fremdländischer Zollbeamter stand ebenfalls nicht auf der Liste begehrter Berufe. So war es mir gleich klar, wenigstens zu Anfang ein schlechtbezahlter Gelegenheitsarbeiter zu werden. Ich machte Inventur meiner Kenntnisse. Da ich bei der Zollverwaltung als Hundetrainer tätig gewesen war, sah ich darin eine Möglichkeit, da Hunde nun einmal als beliebte Haustiere bekannt sind, und Menschen keine Kosten scheuen, ihre Lieblinge ausgebilden zu lassen.

 

Ich hatte das Glück, gleich beim zweiten Hundezüchter als Hundetrainer eingestellt zu werden. Es war ein gutes Arbeitsverhältnis, das mir für jeden ausgebildeten Hund 40 Dollar einbrachte. Zuerst waren 12 Springer Spaniels für die Entenjagd auszubilden, die alle für Japan bestimmt waren, und natürlich gab es für einen ausgebildeten Hund einen besseren Preis. Obwohl ich noch nie einen Hund für Jagdzwecke ausgebildet hatte, machten es mir die klugen Tiere leicht. Sie überschlugen sich fast, wenn sie mich nur nahen sahen, und ich wünschte mir, dass meine damaligen Mitmenschen mir dieselbe Zuneigung entgegenbrächten. Um es kurz zu machen, meine Tätigkeit wurde auch vom Hundezüchter gebührend anerkannt und bis auf einen Hund wurden sie alle als tauglich befunden, um von Kanada nach Japan exportiert zu werden.

 

Der zweite Wurf aus 10 hellfarbigen Labrador Jagdhunden bestehend war ein gutes Beispiel dafür, dass Hund nicht Hund ist, wie auch Menschen verschiedenartig sind. Bis auf einen gelang es mir wieder, diese Tiere erfolgreich auszubilden. Der eine konnte leider nicht schwimmen und bei dem Versuch, ihn durch einen breiten Wassergraben zu ziehen, wäre er fast ertrunken. Nach Beendigung dieser Arbeit war meine Gastrolle vorerst beendet. Allerdings schlug der Züchter vor eine andere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen und die bestand darin ein Zeitunginserat aufzugeben das beinhaltete, die Bewohner Winnipegs darauf aufmerksam zu machen, dass ein deutscher Hundetrainer Hunde in allen Belangen ausbilden konnte.

Zuerst meldete sich der Besitzer eines Boxer Hundes. Er war bereits einmal vor Gericht zitiert worden, weil sein behäbiger, gutmütiger Vierbeiner die schlechte Eigenschaft hatte, Kinder von ihrem Fahr-und Dreirad herunterzustoßen. Ein echtes Exemplar seiner Rasse. Sehr kompakt und die ach so unschuldig schauenden braunen Augen. Als ich ihn unter meine Fittiche nahm, konnte er zuerst nicht begreifen, was mit ihm geschah. Es war offensichtlich, das das Tier noch kein Training gehabt hatte, obwohl es bereits zwei Jahre alt war. Der Hund fügte sich jedoch und lernte die Unterordnungsübungen ziemlich schnell. Nachdem ich ihn fast eine Woche trainiert hatte, sollte der große Test starten. Der Großsohn des Züchters sollte mit seinem Fahrrad auf der Hauptstraße entlang fahren, während ich mit dem Hund an einer langen Leine 50 Meter entfernt auf der Nebenstraße stand.Ich hatte dem Boxer ein Stachelhalsband angelegt und hielt die Öse am Ende der Leine fest in meinen Händen. Als der Junge mit dem Fahrrad in Sicht kam wurde der Hund unruhig und wollte aufstehen. Ich drückte ihn herunter. Der Junge kam näher, und der Hund wurde immer unruhiger. Er fing an zu schniefen und der Sabber von seiner Schnauze machte sich auf meinem linken Hosenbein breit. Als der Junge auf fast einer Höhe mit uns war, gab es kein Halten mehr. Der Boxer schoß auf den Jungen zu, hatte aber das Pech, dass die Leine auf einmal zu Ende war, was zur Folge hatte, dass er einen wunderbaren Salto machte und das Stachelhalsband sich tief in sein Fell eindrückte, was er mir mit seinem Gejaule mitteilte. Der Junge fuhr weiter und nach etwa hundert Metern kam er zurück. Als der Junge in Sicht kam, drehte der Hund seinen Kopf nach links, und dann noch einmal nach rechts. Dasselbe Experiment wurde noch einmal wiederholt. Der Hund blieb wie eine Pinne neben mit sitzen. Die Premiere erfolgte ein paar Tage später. Ohne Leine saß er direkt an der Straße neben mir, ohne sich zu bewegen, als der Junge vorbeifuhr.

 

Das zweite Tier, das eine ältere Dame zum Unterordnungstraining brachte, war ein junger deutscher Schäferhund. Die Rasse ist eigentlich meine Spezialität, aber es zeigte sich wieder, dass Hunde genau wie Menschen verschieden sind. Kurz nachdem seine Herrin davongefahren war und wir ihn in einen Zwinger gesperrt hatten, ging das Theater los. Der Hund jaulte zum Erbarmen, und wenn man nahe an den Drahtzwinger kam, ging er zähnefletschend daran hoch. Meine Erfahrung sagte mir, dass das Tier Angst hatte und verunsichert in seiner neuen Umgebung war. Ich musste nun in den Zwinger gehen, ihm das Halsband und Leine anlegen, um mein Werk zu beginnen. Manchmal führen Kleinigkeiten im Leben zu ungewöhnlichen Geschehnissen. Als ich den Zwinger betrat, tat der Hund genau das, was ich vermutet hatte. Er griff mich nicht wutschnaubend an, sondern wich in die äußerste Ecke des Kennels zurück. Vielleicht hätte ich mir mehr Zeit nehmen sollen, aber ich ging ruhig, Halsband und Leine in der Hand, auf ihn zu. Als ich etwa einen Meter vor ihm war, sprang er an mir vorbei und gegen die Tür. Es war Pech, dass die Tür nach außen aufsprang, und das Tier lief genau auf die verkehrsreiche Straße, den Transcanada Highway, die Lebensader, die sich vom Osten bis zum Westen durch das ganze Land zieht. Autos wichen dem Tier aus. Es lief schnurstraks auf der Fahrbahn entlang und das Unglück geschah, dass der Hund von einem Fahrzeug gestreift wurde. Wie tot lag er an der Seite der Straße. Als ich jedoch kurz vor ihm war, sprang er auf und rannte in ein bewaldetes Grundstück. Nach zwei Stunden brachen wir die Suche ab und benachrichtigten die Herrin des Tieres. Sie schaute uns böse an, hupte und der Hund kam aus dem Wald und sprang in das offene Auto. Dann merkten wir, dass die alte Dame überhaupt keine Dame war. Sie beschimpfte uns mit den unflätigsten Worten der englischen Sprache. Das war dann auch das Ende meiner Laufbahn als professionaler Hundetrainer.
 
Als sich kein weiterer Besitzer meldete, bekam ich durch den Züchter eine feste Arbeitsstelle und für die nächsten 5 Jahre entlud ich Güterwaggons. Und danach begann eine neue Zeit für uns. Wir verließen Winnipeg, um im Norden der Provinz unser Glück zu suchen. Davon handelt der zweite Teil, der Anfang Juli erscheint. 
                        Karl-Heinz Fricke  08.06.2006

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