Dorina Preuss

Sabrina

Als ich heute morgen das Haus verließ, in Richtung Innenstadt, zum Bahnhof schlenderte und mir die Musik aus meinem MP3 Player den jungen Tag versüßte, fühlte ich mich als gehöre mir die Welt. Die Sonne schien und die warme Luft strich mir Strähnen meiner Haare aus dem Gesicht. Was gibt es Schöneres als den Sommer und die Sonne?
Ich setzte mich auf die Bank und musterte, während ich auf den Bus wartete, die Menschen um mich herum. Zu meiner Linken, saß ein junger Mann. Er hatte einen schiefen Blick und eine dicke Hornbrille auf der Nase – was ihn noch komischer wirken ließ. Er trug karierte Kniestrümpfe und, bei 30 grad im Schatten, ein Hemd mit langen Ärmeln. Ich musste lächeln und wandte mich ab – er war anscheinend kein Freund von Sommer und Sonne.
Zu meiner Rechten saß eine ältere Frau, die Jahre hatten ihren Rücken krumm werden lassen und die Augen trüb. Tiefe Falten zeugten stumm vom vielen Lachen und Weinen. Als sich unsere Blicke trafen lächelte Sie mich herzlich an. Ich schenkte ihr mein ehrlichstes Lächeln und lehnte mich entspannt zurück.
Nun, im Grunde war unsere Hauptstrasse immer ziemlich belebt aber heute schien besonders viel erledigt werden zu müssen. Wie emsige Bienen eilten Menschen jeden Alters an mir vorbei. Da waren jene Ältere, die ihr Rentendasein genossen oder Schüler die sich scheinbar vor dem unterricht drücken wollten. Die Einen hatten zu enge Hosen an, die der Anderen waren wieder zu weit – junge Mädchen deren Figuren es eigentlich nicht zuließen eine enge Strechjeans zu tragen und junge Männer die in ihren „stylischen Hosen“ eher einem typischen „Loser“ glichen als ihren Vorbildern, den Superhelden des US – Hip Hops.
Ich war froh über meine modische Gradlinigkeit – ich hatte meinen eigenen Stil, brauchte keine Vorbilder. Mit einem Mal überkam mich ein unglaubliches Glücksgefühl! Ich fand mich unwiderstehlich, fand mich cool - mit meinem gelben Tank Top, der Jeans mit all den Buttons und den Abschürfungen, meiner Dolce und Gabbana Brille, für die ich mich in echte Unkosten stürzen musste, und den goldenen Sneakers. Mein Glücksbringer, eine Kirschbrosche funkelte in der Sonne und ich mochte den Geruch der Sonnenmilch die ich benutze seit Tattoos meine Oberarme zierten.
Der Bus kam und riss mich aus meinen Gedanken. Der junge Mann mit der Hornbrille drängte sich an der älteren Frau vorbei, die sich auf ihren Gehwagen stützte, und beachtete Niemanden um sich herum. Er hatte scheinbar nicht einen Gedanken an die Frau verschwendet, die sich nun Hilfe suchend umblickte weil es ihr unmöglich war, ihre Gehhilfe selbst die Treppen des Busses hoch zu tragen. Da war es wieder, dieses warme Lächeln als sich erneut unsere Blicke trafen. Ich bot ihr freundlich meine Hilfe an.
Im Bus nahm ich am Fenster platz – ich schaue mir immer gern die Landschaft an. Das ist beruhigend und inspiriert mich oft beim schreiben.


Rechts von mir saß der junge Mann mit den Kniestrümpfen. Er schien jetzt völlig in sein Buch versunken. Ab und zu nahm ich dennoch aus dem Augenwinkel heraus wahr, dass er mich musterte.
Vor mir, saß die ältere Frau. Den leeren Blick aus dem Fenster gerichtet. Kühe und Schafe, die auf saftigen, grünen Wiesen grasten waren zu sehen. Ich lächelte wieder und auch Sie legte ihren trostlosen Blick ab. Für das Alter wünsche ich mir nicht allein zu sein. Mitleid mit ihr stieg in mir auf. Bus fahren bedeutete bisher immer nur Anhalten, Aussteigen, Zusteigen. Fremde Menschen die vor oder hinter mir Platz nahmen. Selten ein Lächeln, die Meisten zogen verbissene Gesichter. Warum waren nur Alle so ernst?! Es ist Sommer! Die Temperaturen stiegen an, die Sonne schien, die Bäume wiegten sich im Wind - das musste doch eigentlich glücklich machen.
Wir hielten an der nächste Haltestelle und jetzt wurde es lauter im Bus.
Der junge Mann mit dem langärmeligen Hemd schaute entnervt in Richtung des Lärms und verzog das Gesicht. Fühlte er sich nun beim lesen gestört oder waren ihm die neuen „Gäste“ nicht genehm? Die ältere Dame lächelte immer noch, oder schon wieder?
Eine Gruppe behinderter junger Leute und deren Betreuer stiegen ein und sofort rückte ich beiseite – machte Platz für ein junges Mädchen mit unglaublich schönen, aufgeweckten brauen Augen. Sie hatte scheinbar das Down Syndrom und ihr Name war Sabrina. Auf einmal schien auch hier im Bus die Sonne! Diese Menschen lachten und sprachen so unbefangen miteinander – Sie scherzten und neckten sich. Ich bekam eine Gänsehaut, fühlte mich Ihnen irgendwie unterlegen in vielerlei Hinsicht. Warum waren wir gesunden Menschen eigentlich so anders? Und, warum sage ich überhaupt „wir“? Ich meine die Menschen die an keiner Behinderung „erkrankt“ sind.
Sabrina saß neben mir und grinste. Sie musterte mich eingehend bevor Sie Luft holte und mich fragte: "hörst du Musik?!" Ihr Grinsen wurde dabei breiter. Sie schien so unschuldig. Ich schätzte Sie auf etwa 16 Jahre.
"ja..." antwortete ich.
"gut?"
"ja..."
"glaub ich...hübsch ist die!" sagte Sie zu ihrer Betreuerin und warf mir wieder dieses Lächeln zu.
Ich musste es erwidern, man konnte sich diesen warmen Augen nicht entziehen. Sie lächelten immer mit. Ja, Sabrina sagte sicher immer was sie dachte, Sie trug das Herz auf ihrer Zunge...eine Eigenschaft die vielen nicht behinderten Menschen fehlt! Wo die Lügen Heut zu Tage doch öfter anzutreffen ist als das wahre Wort.
"wer singt das?" fragte mich Sabrina.
"die Beatles" lächle ich.
"ich auch?!" Sie sah mich mit ihren großen Augen an, wollte mithören.
"klar!" lächle ich breiter und gebe Sabrina einen meiner Kopfhörer.
"schön?" frage ich Sie als ich bemerke das Sie mit den Füssen zu tippeln beginnt.
"ja" sagt sie laut und strahlt mich an.
Sie ging richtig auf in diesem Lied! Sie wippte im Takt mit und sang die ein oder andere Passage. Als das Lied endete und ein anderes begann protestierte Sabrina.
„doof!“ sagte Sie und schaute mich ernst an. Sie wollte anscheinend kein anderes Lied mehr hören.
„Okay.“ Grinse ich und drehe an Rädchen des Players um „Strawberry Fields“ noch einmal abzuspielen.
Jetzt lachte Sie wieder ihr schönes, offenes Lachen. „das ist ein schönes Lied!“ meinte Sie.
„Ja, mein Lieblingslied.“ Gebe ich zurück und Sie stahlt. „Meins auch!“ Jetzt war es wieder an mir zu grinsen. Irgendwie schien Sie dieses Lied zu berühren. Das tat es auch mit mir. Ich drehte also die ganze Fahrt lang fleißig am Rädchen damit Sabrina ihr neues Lieblingslied die ganze Zeit über hören konnte.
Etwa 30 Minuten lang lauschten wir, jede von uns mit einem Kopfhörer im Ohr, gemeinsam Strawberry Fields". Plötzlich ergriff Sie meine Hand und hielt Sie ganz fest. Ein Zeichen von Vertrauen und einer gewissen Art von Zuneigung. Sie schien sich in meiner Nähe wohl zu fühlen. Sie schaffte es mit ihrem Lächeln und den schönen Augen, ihrer offenen und fröhlichen Art mich im Herzen zu berühren. Denn auch ich fühlte mich wohl in ihrer Gegenwart und hielt ihre Hand genauso fest wie Sie die meine. „Da! Ein Auto" erklärte Sie mir. „Ja“ pflichtete ich ihr bei und wir lächelten uns wieder an.
"Und DA! – eine Kuh!" ich folgte ihrem Fingerzeig und nickte und die ganze Zeit über lächelten wir.
"Tattoo!" rief Sie plötzlich und streichelte mit ihrer kleinen Hand über meinen Arm, mein Kirschtattoo.
„Kirschen“ sag ich und Sie grinst ein schiefes Grinsen. „Nein! Das sind Herzchen!“ Unrecht hatte Sie nicht denn dieses Tattoo entstand nach einer gescheiterten Beziehung. Wobei die Kirsche an sich als Zeichen für Kindheit und somit gleichzeitig für Unschuld, Unerfahrenheit, blindes Vertrauen steht. Es sind allerdings Herzkirschen und in ihnen Stecken Pfeile – als Zeichen für ein „gebrochenes Herz“.
„Ja“ gebe ich ihr Recht. „Das stimmt! Kirschenherzchen“ Das klang doch gut – immerhin lächelte Sie jetzt wieder.
Das tat Sie aber eigentlich immerzu und dabei strahlte Sie eine Wärme aus die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Immer mehr wollte Sie mir erklären. Sie zeigte auf Busse und Transporter, auf Pferde und Autos – schilderte Farbe und Form, machte die Laute von Tieren nach und lächelte unermüdlich weiter. Diese Heiterkeit ging auf mich über. Sabrina machte mich glücklich. Sie vermittelte soviel Wärme. Davor konnte sich kein Herz der Welt verschließen!
Die Endstation kam in Sicht. „Wir sind da!“ verkündete Sabrina. „Stimmt!“ sag ich und nicke ihr zu. Ich blieb sitzen bis die meisten Menschen aufgestiegen waren und lief dann, immer noch mit Sabrina an der Hand, selbst aus dem Bus. „Tschüss!“ sagte Sie und lachte laut. „Tschüss, Sabrina!“ lache ich zurück. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich lief in Richtung Büro los. Hinter mir höre ich noch die aufgeweckten Stimmen der kleinen Gruppe von fröhlichen, jungen Menschen in der sich auch Sabrina befand. Sie ist ein tolles Mädchen!
Sie hat mich mit ihrer offenen Art, mit ihrem „Anderssein“ auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn jetzt fand ich mich auf einmal gar nicht mehr so unwiderstehlich und cool. Ich war in erster Linie GESUND! Eine von denen, die nicht immer lächeln und grinsen und erkunden wollen – sondern eine, manchmal ziemlich fiese Person, die oft und gern zurückgezogen lebt und ihren Gedanken nachhängt. Eine von denen, die von Vorurteilen erfüllt sind und denen es nicht so leicht fällt auf fremde Menschen zu zugehen.
Ein flaues Gefühl breitete sich in mir aus... ich schämte mich fast dafür ein gesunder Mensch zu sein. Wir schienen so schlecht.
Menschen wie Sabrina waren voller Lebensfreude und Energie. Ganz frei von Schubladen, Vorurteilen, Neid und all den anderen schlechten Eigenschaften die in unseren Herzen wohnen, Sie vergiften. Im Stillen dankte ich Sabrina für die kurze gemeinsame Zeit im Bus und hörte noch einmal Strawberry Fields - das ist jetzt nicht mehr nur mein Lieblingslied sondern auch Ihres. Jedes mal wenn ich es höre werde ich von jetzt an, an Sabrina und ihre schönen braunen Augen denken! Ich hoffe Sie hatte Spaß mit mir und ich wünsche ihr alles Gute dieser Welt! Sabrina ist die Coolere von uns beiden...

Auch diese Geschichte ist nicht frei erfunden sondern hat sich tatsächlich so abgespielt - heute Morgen im Bus von Emden nach Aurich! Und dieses flaue Gefühl lässt mich einfach nicht mehr los- es beschäftigt mich und macht mich wütend! Es gibt immer noch viel zu viele Menschen die sich über Behinderte lustig machen und Sie verspotten...das macht mich traurig.
_________________
>> Ich möchte die Seelen der menschen anrühren, Sie zum lachen und >> weinen bringen, Sie aufklären und wachrütteln - alles was man mit >> einer Geschichte vermag.<<

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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