Schon immer war ich sparsam. Antrainiertes Verhalten von
Kindesbeinen an. Das bedeutet, dass ich Dinge aufhebe, die ich vielleicht
irgendwann noch mal brauchen kann. Etwas krumme Nägel, die man ja mal gerade
klopfen kann, wenn kein gescheiterer Nagel mehr da sein sollte, was natürlich
nie vorkommt, weil der Inhalt der Nagel- und Schraubenkästchen wahrscheinlich
noch bis zur übernächsten Generation ausreichen wird, ein angelaufenes,
versilbertes Teesieb mit Untertellerchen, das ich noch nie benutzt habe, alte
Hämmer, bei denen das altersschwache Holz der Stiele durchgebrochen ist,
Schuhe, in die ich mich mal verguckt hatte, aber selten anhatte, weil entweder
die Gelegenheit fehlte oder sie nicht zur gängigen Mode passten usw.. Und so
stapeln sich überall im Haus Dinge, die selten oder gar nicht gebraucht werden,
und die, wenn man sie dann doch brauchen will, ihren Dienst versagen, weil sie
irgendwann den Weg alles Irdischen gehen müssen. Von einer solchen Erfahrung
ist dieser Bericht.
Fronleichnam. Wir wollten zum Pfarrfest. Das Wetter war
etwas wechselhaft, ich wusste nicht so genau, was ich eigentlich anziehen
sollte. So wechselte ich wetterbewusst innerhalb
einer halben Stunde dreimal meine Kleidung. Endlich war ich so angezogen, dass
ich mir gefiel. Und ich freute mich auf die Begegnung mit Nachbarn und lieben
Bekannten, die sich dort genau wie wir zum Mittagessen oder zu Kaffee und
Kuchen dort einfinden würden. Es war inzwischen schön warm draußen, aber ab und
zu regnete es. Bei der Wahl der Schuhe begann die Unentschlossenheit von vorne.
Sollte ich wirklich geschlossene Schuhe anziehen? Nur wegen dem bisschen Regen?
Ne, sagte ich mir, die kann ich noch im Herbst anziehen. Aber Sandalen? Wenn es
richtig gießen würde, hätte ich klatschnasse Füße. Und wenn die dann eiskalt
würden, hätte ich sicher gleich wieder einen Schnupfen. Also sah ich im alten
Schuhschrank nach, welcher Schatz dort noch verborgen sein würde. Und siehe da,
ich fand genau die richtigen Schuhe. Nicht zu offen, nicht zu geschlossen, und
in einer Farbe, die genau zu meiner Kleidung und zur Handtasche passte. Super!
Ich war begeistert. Wieso hatte ich die guten Schuhe nur so ewig nicht mehr
angehabt? Wann hatte ich sie gekauft? Vor neun Jahren, als Werner in Kur in Bad
Säckingen war und ich ihn besuchen fuhr. Tatsächlich, wie die Zeit vergeht!
Egal, sie sahen gut aus und waren durchaus noch modern mit ihrem Korkabsatz.
Ich war ganz begeistert und schwärmte Werner vor, wie bequem die Schuhe wären
und dass der Korkabsatz so schön abfedern würde bei jedem Schritt. Wir machten
uns also zu Fuß auf zum Pfarrfest. Es waren nur wenige Schritte. Wir waren kaum
auf der anderen Straßenseite, als ich glaubte, das Fersenriemchen sei doch
etwas zu locker. Ich blieb stehen und verkürzte den Lederriemen. Nach ein paar
Schritten blieb ich wieder stehen, weil es mir noch immer zu locker vorkam.
Dabei guckte meine dicke Zehe schon ziemlich aus dem Loch an der Schuhspitze
raus. Komisch, sagte ich zu Werner, die Schuhe sehen so breit aus. Doch schnell
hatten wir den Innenhof erreicht, auf dem sich Tische, Bänke, Stände und
Menschen befanden und suchten uns einen Sitzplatz, damit wir uns dem
Mittagessen widmen könnten. Wir hatten gleich Glück, konnten bei Nachbarn am
Tisch Platz nehmen. Ein nettes Gespräch gab das andere, die Zeit verflog, und
die Leute gingen allmählich zum Kuchenessen über. Ich bot an, auch ein paar
Stücke zu holen und machte mich auf den Weg. Irgendwie hatte ich an den Füßen
ein seltsames Gefühl, traute mich nicht, die Füße richtig hochzuheben und
schlurfte wie eine alte Oma mit den Sohlen über den Boden. Mit meinem
Kuchenpaket schlurfte ich wieder zu Werner zurück und sah zum ersten Mal meine
Schuhe richtig an und war richtig erschüttert. So etwas hatte ich noch nicht
gesehen, dachte ich. Doch dann fiel mir ein, dass ich bereits einmal die
Erfahrung gemacht hatte, dass sich von alten Wanderschuhen (15 Jahre alt und
kaum getragen) die Sohlen verabschiedet hatten, ausgerechnet, als wir auf La
Palma zum ersten Mal in der Caldera wandern wollten. Hier wie da hatte sich das
Oberleder beider Schuhe bis auf eine winzige Stelle von der Sohle gelöst, hier
war zusätzlich der Kork des Absatzes zerbrochen und bröselte. Das, was so
bequem nachgegeben hatte, war wohl der Beginn des Zerfalls gewesen, und das,
das wie eine Naht ausgesehen hatte, war wohl nur Täuschung gewesen. Ich
vermutete, dass das Oberleder lediglich an die Sohle angeklebt worden war. Und
der Kleber hatte sich nun wohl im Laufe der paar Jahre aufgelöst. Jedenfalls
war es einfach unmöglich, die wenigen Schritte bis nach Hause mit diesen
Schuhen zu gehen. Zum Glück hatte die Sonne inzwischen jede Spur vom Regen
getrocknet. Die Gehwege waren trocken und ich entschloss mich, den restlichen
Weg nach Hause lieber barfuss zu gehen. Der nächste Abfalleimer wurde zur
letzten Ruhestätte für meine schönen Schuhe.