Maria Peters

Im Spiegel (Kapitel 2)

Alex kam kurz nach 23.00 Uhr bei sich zu Haus an. Die Lichter waren schon aus, was hieß, dass ihre Eltern bereits schliefen. Es war klar, dass sie sich nicht um Alex sorgten. Immer gingen sie einfach zu Bett, ohne noch einmal nach ihr zusehen. Es war ihnen egal, ob sie da war. Aber auch Alexandra war das vollkommen egal. Sie sah genauso häufig nach ihren Eltern, wie sie nach ihnen.

Leise ging sie zu der Haustür, schloss auf und schlich sich dann auf Zehenspitzen in ihr Zimmer. Ihr Handy legte sie auf ihre Anrichte, direkt neben der Tür und schließlich starrte sie in ihren Spiegel, der ihre gesamte Schranktür einnahm.
Alexandra war ein kleines Mädchen, fast einen Kopf kleiner als Christina selbst. Sie hatte dunkles, blondes Haar und blaugrüne Augen.

„Was Chris immer wieder alles anstellt.“, murmelte sie, schüttelte verlegen lächelnd den Kopf und ließ sich rücklings auf ihr Bett plumpsen.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder erhob und sich an ihren Schreibtisch setzte.

Am nächsten Morgen musste Alexandra erst einmal richtig zu sich kommen, bis sie endlich wieder wusste, dass Chris gestern in das neue Spiegelkabinett eingebrochen war und sich umgesehen hatte, nur weil sie nicht die nächsten drei Tage warten konnte. Sie war direkt über ihren Schulsachen eingeschlafen.

Schon auf dem Hinweg zur Schule war Alexandra komplett genervt, denn Christina konnte einfach nicht den Mund halten und erzählt ununterbrochen von ihrem gestrigen Ereignis.

„Allein der Anfang... alles voller Spiegel.“, sagte sie nun schon zum dritten Mal.
„Du wiederholst dich!“, entgegnete Alex ihr nur stöhnend, in der Hoffnung, sie würde irgendwann allein darauf kommen, dass sie nervte. „Kannst du nicht von was anderem reden?“

„Nein, das geht nicht. Ich meine, du warst nicht dabei. Warum bist du nicht mitgekommen? Das war so krass. Da ein Spiegel, da ein Spiegel und noch einer.“, antwortete Chris und fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, um zu zeigen, wo die Spiegel gehangen hatten. „Und vor allem dieser große Spiegel. Ich frag mich, warum der mit einem Tuch verhangen war.“

„Wahrscheinlich weil kleine, neugierige Gören wie du ihn nicht sehen sollen.“, murmelte Alexandra, doch natürlich so laut, dass Chris sie verstand.

Sie warf Alex einen bösen Blick zu, machte jedoch sofort weiter.

„Ich frag mich, ob sie diesen Raum auch öffnen, wenn das Kabinett in drei Tagen öffnet?“

„Wahrscheinlich nicht. Sonst wäre der Spiegel nicht mit einem Tuch abgedeckt gewesen. Wie du gesagt hast, das Kabinett ist bereits fertig, da werden die auch das berücksichtigt haben. Vielleicht ist das auch nur so ein Ersatzspiegel, falls dumme Kinder einen der Spiegel kaputt machen.“, entgegnete Alex.

„Ach, völliger Quatsch. Du hast ihn ja nicht gesehen. Er war so alt und hatte einen goldenen Rand.“

„Ach, was? Ich hab ihn nicht gesehen! Ich musste ja auch für dich Wache stehen. Denkst du, ich hatte nichts besseres vor? Weißt du, wie lange ich an den Hausaufgaben gesessen habe? Das ging noch ganze zwei Stunden so, bis ich dann irgendwann eingeschlafen bin. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht allzu viel Stuss geschrieben habe.“, meckerte sie Christina an.

„Ach... jetzt wo du die Hausaufgaben erwähnst... kann ich abschreiben?“, fragte Chris etwas leiser, doch Alex blieb abrupt stehen.

„Was? Du hast deine Hausaufgaben nicht gemacht? Was fällt dir eigentlich ein? Du denkst doch nicht, dass du mich kurz vor Mitternacht irgendwo hinbestellen kannst, in Gebäude einbrichst und dann einfach pennen gehen kannst. So geht das aber nicht! Ich mach doch nicht immer deine Arbeit.“, keifte nun auch Alex ungehalten und ging dann schnurstracks an ihr vorbei, bis hin zur Schule.

Christina war so geschockt und überwältigt, dass sie erst einmal ein paar Sekunden brauchte, um zu realisieren, dass Alex weg war. Schnell lief sie ihr hinterher, holte sie aber erst im Klassenraum wieder ein, wo sie bereits auf ihrem Platz saß.

„Bist du sauer?“, fragte Chris und setzte sich direkt neben ihr, auf ihren Platz.

„Sauer? Nein, ich bin nicht sauer. Ich bin nur in Sorge. Irgendwann wird dir eine solche Aktion mal das Genick brechen. Und wie steh ich denn da? Ohne beste Freundin. Das du dir auch nie über die Folge im Klaren bist.“, antwortete Alexandra nun etwas beruhigter.

„Du weißt doch, Risiko ist meine Devise. Etwas anderes werde ich nie lernen. Darüber nachdenken... ist doch viel zu langweilig. Dann hat man ja gar keinen Spaß an solchen Sachen.“, entgegnete Christina und packte ihre Sachen aus.

„Nein, das ist mir schon klar. Aber wer musste bis jetzt immer alles ausbaden? Und hast du einmal.... EINMAL... darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn der Kerl, von dem du erzählt hast, nicht aufgetaucht, dir nicht gesagt hätte wo lang und dich der Wachmann zwischen die Finger bekommen hätte? Du solltest wirklich mal lernen, was die Folgen solcher Aktionen sind.“

„Nun krieg dich aber mal wieder ein. Ist doch noch mal gut gegangen.“, versuchte Chris ihre beste Freundin zu beruhigen, erzielte jedoch genau das Gegenteil.

„Ja, dieses Mal? Wird garantiert nicht das letzte Mal gewesen sein, an dem du so einen Bockmist machst... jedenfalls so, wie ich dich kenne.“, maulte sie und verschränkte die Arme. „Versteh mich doch! Irgendwann kann selbst ich dich nicht mehr rausboxen, nur weil man mir so etwas nicht zutraut und das aus gutem Grund. Nur weil ich so vernünftig bin, bist du noch an dieser Schule, schon vergessen?“
Chris überlegte nicht lange und nickte einfach.

„Das beruhigt mich, dass du wenigstens das nicht vergessen hast. Auch wenn sonst in diesen Dickschädel nichts reingeht. Hier!“, sagte Alex schließlich erfreuter und reichte ihr die Hausaufgaben, damit Chris sie abschreiben konnte. „Aber eine Bitte hab ich noch an dich... behalte diese Einstieg-Aktion für dich, okay?“

Chris nahm ihr die Hausaufgaben ab, gab ihr jedoch keine Antwort.

„Haben wir uns verstanden? Kein Wort...!“, wiederholte Alex noch einmal und blickte sie noch böser an, als vorhin.

Chris versuchte zwar nicht hinzusehen, doch es gelang nicht. Schließlich murmelte sie ein leises „Okay“ und begann die Blätter sauer abzuschreiben.

Dann begann auch schon der Unterricht. Ein hagerer Mann betrat den Raum. Er hatte graues Haar und eine riesige Hakennase. Seine blauen Augen blitzten nur so, als er durch die Klasse blickte und schließlich Alexandra ins Visier nahm.

Langsam kam er auf sie zu. Er ging ziemlich gebückt, als würden seine dünnen Beine seine Last nicht tragen.

„Nun, Madame? Haben wir auch unsere Extraaufgaben gemacht?“, fragte er mit einer ekelhaften hohen Stimme, so wie sie für einen Mann nur unpassend sein konnte.
Alex hatte mit einem Griff in ihre Tasche drei Blätter herausgezogen und reichte sie ihm, auf den Lippen ein Lächeln – Chris kannte dieses Lächeln nur zu gut. Es war ihr Lächeln, was so viel sagte wie „Du kannst mich mal“ und nicht mehr und nicht weniger. Chris mochte diese Art an Alex. Auch wenn sie jemanden auf den Tod nicht leiden konnte, hatte sie immer dieses Lächeln, was sie höflich und freundlich aussah und ganz genau das Gegenteil hieß. Sie hasste es, sich Feinde zu machen. Vielleicht kann man die ja noch mal gebrauchen, sagte sie immer, wenn man sie darauf ansprach und dabei hatte sie auch dieses hintertückische Lächeln drauf. Alex war fast genau das Gegenteil von Chris, auch wenn sie sich irgendwie glichen. Chris, so unbedacht wie es nur ging, dafür aber neugieriger und Alex, die über alles zweimal nachdenkt und dann erst handelt und immer alles abwägt. So gesehen war Chris der Wein und Alex die Traube. Beide total verschieden und dennoch ein perfektes Team.
Als der Mann, der ihr Deutschlehrer war, wieder zur Tafel schritt, sah Alex Chris an.
„Ich hasse ihn!“, murmelte sie ihr zu und tat dabei so, als würde sie würgen.

Deutsch war schon immer eine Qual für Alex gewesen. Nicht, dass das Fach sie nervte. Nein, es war der Lehrer, den sie nicht abkonnte.

Doch noch schlimmer als Deutsch war Mathe, die zweite Stunde an diesem Tag. Jedoch war diese Stunde schnell vorbeigegangen.

Die Klingel schallte durch das Gebäude und ein Schüler nach dem anderen verließ das Klassenzimmer und strömte auf den Schulhof. So auch Alex und Chris, in Begleitung von Shelly und Becky, zwei Mädchen aus ihrer Klasse.

„Was habt ihr gestern noch so getrieben?“, fragte Shelly als Erste, als sie sich auf eine Bank setzten und ihre Schulbrote auspackten.

Alex sah streng zu Chris, weil die offenbar von dem Spiegelkabinett erzählen wollte, doch innehielt, als sie Alex sah.

„War zu Haus.“, murmelte sie stattdessen.

„Was? Zu Haus? Wieso warst du zu Haus? Hast du keine Bank ausgeräumt oder irgendwelchen Kindern Geld geklaut?“, mischte Becky sich ein und sah Chris dabei komisch an, denn auch sie kannte Chris schon eine ganze Weile und wusste genau, das sie nicht einfach zu Hause bleiben konnte.

„Doch, war nur zu Haus.“, wiederholte diese jedoch noch einmal und sah runter auf ihr Brot mit Schinken, dass sie gerade ausgepackt hatte.

„Kommt mir aber nicht so vor.“, sagte Shelly nun auch wieder, doch dieses Mal kam Alex ihr zu Hilfe, wie sie es immer tat.

„Doch, sie war zu Haus. Ich hab noch bis spät in die Nacht mit ihr telefoniert.“, sagte sie und blickte den beiden starr in die Augen.

„Oh, wenn du das sagst.“

Und da war es wieder. Niemand würde auch nur ansatzweise vermuten, dass sie log. Wieso kaufte man ihr auch alles ab? Alex verstand es nicht, wollte sich aber auch nicht weiter damit befassen und widmete sich ihrem Käsetoast.

„Was habt ihr eigentlich Freitag vor? Wollen wir nicht zusammen zum Weihnachtsmarkt gehen? Da soll so ein ganz tolles Spiegelkabinett sein.“, begann nun Becky von Neuem und blickte in die Runde.

Shelly stimmte sofort zu, doch Alex und Chris blickten sich nur an, ohne das es die anderen beiden mitbekamen. Wieder war es so ein Moment, wo keiner etwas sagen musste, um den anderen zu verstehen. Blicke reichten!

„Nein, danke. Wir wollen erst am Samstag gehen. Haben Freitag schon etwas anderes vor.“, lehnte Alexandra ab und Shelly und Becky wirkten traurig.

„Schade. Aber kann man nichts machen. Vielleicht können wir uns dann trotzdem nächste Woche treffen, um doch noch einmal zusammen zu gehen?“, fragte Shelly.
Chris nickte unmerklich und dann stimmte Alex den beiden zu.

Schließlich läutete es ein weiteres Mal und alle begaben sich wieder ins Gebäude, um den Rest der Stunden abzusitzen.

Alex konnte sich zwar immer noch nicht vorstellen, warum Christina so besessen von dem Spiegel war, doch sie wusste, dass sie ihr den nicht zeigen würde, wenn noch ein paar andere mit bei sein würden. Also gingen sie allein!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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