Sabine Müller

Vom Teddybären, dem ein ein fehlte Teil 1

 

 

Der Trubel in Onkel Bobbys Teddybärfabrik war riesengroß, denn Weihachten stand vor der Tür und viele große, kleine, kuschelige, wuschelige, süße Brummbären mussten hergestellt werden. Die Fließbänder liefen auf Hochtouren und die Arbeiter hatten viel zu tun. Es wurden Kleidchen genäht und die Bären wurden aus ihren Einzelteilen zusammengefügt. Arme und Beine mit weichwuscheligen Bärentatzen, einen knuddeligen Körper,einen runden Kopf mit Knopfaugen, Bärennase und Teddybäröhrchen und was sonst noch zu einem Bären gehörte.
Schön verpackt kam dann jeder Bär in einen bunten Karton mit Sichtfenster. Danach ging es dann auf die Reise in die Spielwarenläden auf der ganzen Welt.
Nachts, wenn die Menschen schliefen, gerade jetzt zur Weihnachtszeit, begannen die Tiere zu sprechen. Auch unsere Kuschelwuschelbrummbären. Sie brummten Lieder und unterhielten sich vergnügt über Gott und die Welt, freuten sich auf ein Zuhause und darauf, endlich in den Arm genommen zu werden und geknuddelt zu werden. Der nächste Tag brach herein und das Spielwarengeschäft wurde geöffnet. Viele Kinder stürmten in die Stofftierabteilung, um sich einen Bären auszusuchen. Am Abend rieb sich der Verkäufer vergnügt die Hände, denn er hatte alle Brummbärkartons verkauft...
Am nächsten Morgen kam eine Mutter aufgebracht in den Laden und beschwerte sich, dass der Teddy, den sie gestern gekauft hatte, nur ein Bein hatte.
Dem Verkäufer war dieses natürlich sehr peinlich, weil er keinen Ersatz mehr hatte und sich die Mutter auch nichts anderes mehr aussuchen wollte, aber das Geld, was er ihr für den Einbeinbrummbären zurück gab, machte ihn nicht arm, denn er war reich. Genau so reich wie die Mutter, die den Bären nicht wollte und genau so reich wie ein Großteil der ganzen Stadt.
Er nahm den Bären aus dem Karton, drückte ihm dabei sein Bäuchlein fest zu, hiel ihn einen gewissen Abstand von sich weg, damit er ihn mustern konnte, schüttelte den Kopf und schmiss ihn achtlos in den Müll. Verrenkt lag der arme einbeinige Bär dort neben einem kleinen gelben Ball, dem die Luft ausgegangen war und dem Rad eines Spielzeugautos und weinte bitterlich. Er konnte doch nichts dafür, dass er nur ein Bein hatte. Ihm war es zwar schon sehr früh aufgefallen, dass er anders als die Anderen war, aber als er am Vortag ausgesucht wurde, war das schnell vergessen. Aber nun lag er in einer Mülltonne, mutterseelenallein. Der gelbe Ball, der sich Pfiffi nannte, war sehr mürrisch und kein wirklich guter Trost. Zu fast Allem sagte er nur "Pfft" oder "tsss".
Das war dem kleinen Bären, der übrigens Oskar hieß, einfach zu öde. Er vermisste seine Freunde, die ihn immer aufgemuntert haben, wenn sie aus vollem Herzen herumgebrummt haben, war traurig, dass er am Weihnachtsabend nicht in den Arm genommen und geknuddelt wurde und hatte Angst vor dem nächsten Tag.
Er wusste, dass die Putzfrauen kommen würden, mit Besen und Wischern, mit Kernseife und Mülltüten. Ihm graute davor und er wünschte sich einzuschlafen und auf einem schönen bunten Kissen wieder aufzuwachen.
Ein paar Stunden später wurde er unsanft in der Mülltonne herumgeschleudert. Nun war sie da, die Putzkolonne. Er spürte Angst und Wut. Wut, dass er nur ein Bein bekommen hatte und nicht zwei, so wie die anderen Kuschelbrummelbären auch...
Plötzlich kam eine Hand in den Eimer und zog ihn an seinem Bein aus der Mülltonne heraus. Im ersten Moment erschrak er, aber als er in das liebe Gesicht der kräftigen dunkelhäutigen Frau sah, fühlte er sich plötzlich wieder wohler. Ein Hoffnungsschimmer machte sich in ihm breit...

Die Frau nahm den Bären und schaute ihn mit ihren dunkelbraunen Augen an. Sie lächelte herzlich. Die weißen großen Zähne bildeten einen schönen Kontrast zu der dunklen Hautfarbe. Liebevoll fegte sie mit dem kleinen Finger eine Fluse von Oskars Ohr und setze ihn dann unten in den Putzwagen. Feuchte Handtücher hingen herab und er musste aufpassen, dass ihm diese nicht um die Ohren schlugen. Außerdem ruckelte und buckelte der Wagen so sehr, dass sein Brummbärhintern schon ganz taub war. Oskar wurde an Regalen mit Spielzeugautos, Bällen, Puppen, Stofftieren und Computerspielen vorbeigefahren. So viele Spielsachen hatte er noch nie gesehen. Es war eine richtige Abenteuerfahrt. Seinen Kummer und seinen tauben Hintern vergaß er dabei sehr schnell. Außerdem war er richtig aufgeregt. Was würde ihn wohl erwarten? Die Frau hatte ihn so lieb angesehen, obwohl er nur ein Bein hatte. Er hoffte innig, dass sie dieses sofort bemerkt hatte und ihn nicht auch wieder weg- schmeißen würde, wenn sie es erst später bemerken sollte. Einige Zeit später nahm die Frau ihn aus seinem Taxiversteck und setzte ihn behutsam in eine Basttasche. Sein Kopf und ein Arm schauten heraus und somit bekam er den Heimweg, den die Frau nun antrat, ebenfalls mit. War das ein Erlebnis… Er fuhr eine riesengroße Rolltreppe hinunter. Das gläserne Treppenhaus wurde mit neonblau beleuchtet. War das ein Genuss für die Sinne. Er sah er auch die Welt außerhalb des Spielzeugladens. Er fuhr U-Bahn, lernte einen Park kennen, machte kurze Bekanntschaft mit einem freundlichen irischen Wolfshund, der seine kalte Hundeschnauze an der Ampel an seine drückte und dabei schniefte und hörte viele Geräusche, Stimmen und die Instrumente der Straßenmusikanten. Der kleine Bär wurde langsam müde von all den Geschehnissen, der letzen Nacht und den ganzen neuen Eindrücken. Zufrieden schlief er ein und träumte davon, bald geknuddelt und gedrückt zu werden….

Es war schon spät, als die Frau mit der Basttasche und dem Einbeinbären zu Hause ankam. Sie hatte den ganzen Tag gearbeitet. Schulen, Cafeterien und Kaufhäuser geputzt und zwischendurch noch wichtige Angelegenheiten geklärt. Das Treppenhaus war sehr kühl und ein modriger Geruch lag in der Luft. Die Tapete war zum Teil heruntergerissen und einige bunte Schriftzüge waren an die Stufen und die Wand geschmiert. Im fünften Stock angekommen, setze die Frau die Tasche kurz ab, seufzte erschöpft, kramte den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Ihr Mann erwartete sie schon. In seinen Augen sah sie, dass etwas passiert sein musste. Ihr Mann saß am Tisch in der kleinen Wohnküche, hatte den Kopf auf die Hände gestützt, guckte sie sehr ernst an und nickte. Die Frau war nahe daran zusammenzubrechen, ihr Mann sprang auf und hielt sie fest. Sie weinte bitterlich. Auch ihm  rannen große Tränen über das grobporige Gesicht. Er hatte seinen Job verloren. Schon Tage vorher wurde angekündigt, dass Mitarbeiter entlassen würden, weil die Firma die Kosten für alle Mitarbeiter einfach nicht mehr tragen konnte oder wollte und Maschinen immer mehr für die Arbeit eingesetzt wurden. Er war Einer der Unglücksraben. Ohne Rücksicht auf seine immer gut erledigte Arbeit, seine Teamfähigkeit und dem Aspekt, dass er Frau und Kind hatte und Weihnachten vor der Tür stand, wurde er entlassen. In dem Moment fühlte er sich von aller Welt verlassen. Tausende Gedanken strömten auf ihn ein wie riesige Wassermassen.

An dem Abend redeten die Frau und der Mann noch sehr lange.

Zwischendurch schaute die Mutter ins kleine Kinderzimmer ihrer Tochter. Sie schlief in ihrem Bettchen. Sie hatten den Tag bei der Großmutter verbracht und war müde vom Spielen.

Wie friedlich sie da lag. Die Kleine war ein Segen.

Die Mutter musste an den Bären denken und für ein paar Sekunden war ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, welches sehr schnell verstarb. Die Gedanken an die familiäre Situation machte ihr zu schaffen. Wo sollte Alles noch hinführen?

Morgen war Weihnachten und außer dem Bären und ein paar Süßigkeiten und ein kleines Weihnachtsessen würde es nichts geben. Das Geld war knapp.

Wie gerne hätten sie der Kleinen mehr geboten. Sie war so ein Engelchen auch wenn die Kleine jeden Tag für Trubel sorgte. Ein paar Tage zuvor hatte sie sich ihr Beinchen gebrochen, weil sie wegen einem Tobsuchtanfall vom Tisch gesprungen war. Das Mädchen liebte Bären über Alles und war trotz ihres zarten Alters von sechs Jahren sehr traurig und empört über die wahre Geschichte eines jungen Braunbärens, der leider erschossen werden musste. Der Bär streifte wochenlang in Menschennähe und Siedlungen herum und sollte eingefangen werden, um in einem Bärenfreundlichen Gebiet ausgesetzt zu werden. Gespannt verfolgte sie Nachrichtensendungen in dem klitzekleinen Fernseher und fragte Passanten, Kindergärtnerinnen und ihre Eltern ständig, was aus dem Bär geworden sei. Irgendwann kam die Nachricht, dass der Bär tot sei. Kurz nach dem Sandmännchen. Die Eltern konnten es nicht verhindern und mussten mit ansehen wie ihre kleine Tochter wütend stampfte auf den Tisch stieg und auf den Boden sprang. Sie brüllte dabei wie am Spieß und die Eltern erschraken sehr. Die Kleine war unglücklich umgeknickt und musste noch abends ins Krankenhaus. Mit einem dicken Gips kam sie später wieder nach Hause. Sie war klein, aber ausgesprochen tapfer und beruhigte sich sehr schnell.

Nun lag sie friedlich in ihrem Bett, keinen blassen Schimmer von den Problemen, die noch auf sie zukommen würden. Die Mutter schaute ihr noch eine Weile zu, atmete tief durch und legte sich später auch zu Bett.

Den Bären dem ein Bein fehlte, stellte sie mit der Basttasche oben in den Küchenschrank.

Dort war es ein wenig stickig und dunkel. Oskar fürchtete sich ein bisschen. Aber er wusste, dass er in dieser Familie einen Platz gefunden hatte. Er hatte die Gespräche des jungen Paares mitbekommen und an den Gesichtsausdrücken sah er, dass es Menschen gab, die noch viel trauriger waren als er es gewesen war, als er verschmäht und verdreht im Müllkorb lag.

Er wusste, dass am nächsten Tag Heilig Abend war und war sehr gespannt auf das Kind, welches ihn aus buntem Papier reißen würde und an sich drücken würde.

Sein sehnlichster Wunsch würde in Erfüllung gehen.

In einem Stück Alufolie, auf die ein Schimmer Licht fiel, weil die Schranktür nur angelehnt war, übte er schon einmal ein freundliches Brummbärlächeln, wackelte mal mit den linken Ohr, mal mit dem rechten Ohr, zuckte mit der Nase und drückte ein Knopfauge zu. So würde er doch bestimmt Allen gefallen.

Er musste schon gar nicht mehr an sein fehlendes Bein denken. Der Bär machte es sich in der Basttasche bequem, strich einmal mit der Tatze über seine dicke weiche Knuddelbrummbärwampe und schwebte wieder in die Welt der Träume…

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Sabine Müller).
Der Beitrag wurde von Sabine Müller auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Sabine Müller als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Meine Gedanken bewegen sich frei von Andreas Arbesleitner



Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Weihnachten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Sabine Müller

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Church of Scientology - ein irrsinniger Traum von Sabine Müller (Abenteuer)
Ein ganz besonderer Weihnachtsbaumschmuck von Irene Beddies (Weihnachten)
HEUTE MACHEN WIR ES UNS SCHÖN von Christine Wolny (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen