Dominique Pjedé

Narateal

Kapitel I
 

~Aus der Sicht von Narateal~
 
Dunkelheit… Fluch der Dunkelheit! Gebrannt hatte man sie. In Ketten gelegt hatte man sie. Eingesperrt hatte man sie. Vergessen hatte man sie! Fluch der Dunkelheit. Fluch der immer währenden Dunkelheit. Regungslosigkeit ließ die Zeit still stehen. Stille ließ die Zeit still stehen. Dunkelheit ließ die Zeit still stehen. Selbst die Erinnerungen waren eingefroren in dieser Dunkelheit. Fluch der Dunkelheit. Fluch der immer währenden Dunkelheit. Zeitalter könnten vergangen sein, oder auch nur ein Tag. Wer vermochte dies schon zu sagen?

Ewig war es her, dass sie die Stimme ihres Bruders vernommen hatte und noch länger war es her, da hatte man ihren Vertrauten von ihr genommen. Fluch der Dunkelheit.

Ausgezehrt war ihr Leib, kaum noch existent ihre Muskeln. Die Ketten an ihren Handgelenken, sie spürte sie nicht mehr, als wären sie schon längst eins mit ihr geworden. Fluch der Dunkelheit.

Ihren Vertrauten hatten sie zuerst geholt. Immerwähren hat er Lärm gemacht und sich in seiner engen Zelle bewegt, hatte trainiert und blinde Schwüre von sich gegeben. Ihn hatten sie zuerst geholt. Zurück blieb die Dunkelheit und die Atmung ihres Bruders. Beständig, lebendig, voller Ruhe, doch auch ihn haben sie geholt. Wortlos war er gegangen. Voller Ruhe und zurück blieb nur die Dunkelheit. Fluch der Dunkelheit!

Doch nach dieser bewegungslosen Zeit kochte nicht mal mehr ein Funken Wut in ihr hoch. Wieso sollte es auch? Es war doch eh egal. Man hatte sie vergessen. Schon komisch. Jahrhunderte lang hatte man versucht sie einzufangen, sie, Narateal, die Herrin der Eiswölfe, aber nun, wo man sie hatte, vergaß man sie schlichtweg. Sicherlich wäre sie verhungert, wenn ihr Körper nicht von Wasser zehren würde und in diesem Kerker gab es wahrlich genug modrige Feuchtigkeit, die sie absorbieren konnte. Doch warum tat sie das noch immer? Wartete sie darauf, dass die Ketten vermoderten und die Wände ihres Gefängnisses langsam zu Staub wurden? Wahrscheinlich schon.

Es war so endlos viel Zeit in der Dunkelheit vergangen, dass die Gefangene Seele nicht einmal mehr aufschreckte, als es lauter wurde. Kampfeslärm drang bis zu ihr, doch noch war er weit weg. Man würde sie nicht finden, es war hoffnungslos. Keinerlei Regung in dem weißen Leib. Unverändert hockte sie da, den Kopf auf die angewinkelten Knie gelegt und die Beine umarmt. Eine armseelige Kugel die nicht mal ansatzweise Ähnlichkeit mit dem hatte, was man mit ihrem Namen einst verband.

Es wurde Wärmer und dies war unerträglich für die Herrin des Eises. Schritte polterten die steinerne Treppe herunter und leise Stimmen waren zu hören.

„Was zur Hölle ist das hier?“

„Sieht aus wie ein Verließ oder so… aber schon ewig nicht mehr betreten. Sie dir mal den ganzen Staub an.“

„Nein… hier war immer mal jemand… sie dir die Fußspuren an… Ich wette mit dir, hier ist der Schatz versteckt, den der Burgherr seit so langer Zeit für sich behalten hat…“

„Kann sein… boahhh… der muss wahrhaft prachtvoll sein, wenn man bedenkt wie dieses verfluchte Schloss befestigt ist.“

Danach erklang nur noch ein zustimmendes Grunzen. Es waren also zwei Männer. Zwei Krieger, Plünderer oder was auch immer und dieses Schloss, nun wusste sie wenigstens wo genau sie sich befand, war eingenommen worden. Hier sollte es einen Schatz geben. Irgendwie beschlich Narateal dieses unschöne Gefühl, dass die Männer etwas enttäuscht sein würden, wenn sie nur eine scheinbar tote Frau finden würden, aber dies blieb dahin gestellt. Auf jeden Fall folgten die Männer den Fußspuren. Weiter und weiter, sahen in jede Zelle. Ab und an klangen ihre Laute etwas angewidert. Wahrscheinlich hatten sie die sterblichen Überreste derer gefunden, die vor der Eiswölfin da gewesen waren.

Die Wärme kam immer näher, doch die Dunkelheit blieb. Sie blieb auch, als die Tür zu ihrer Zelle aufgestoßen wurde. Das Holz war schon so morsch, dass dies nicht mal schwierig war. Das Schloss mochte gehalten haben, doch der Rest der Tür nicht.

„Oh verflucht! Schau mal!“

Schritte näherten sich ihr noch weiter, doch noch immer blieb die Frau regungslos. Jemand befand sich nun direkt neben ihr. Schien sie anzusehen und langsam streckte sich eine Hand nach ihr aus, berührte sacht ihre Schulter.

„Oh bei allen Göttern… die ist ja ganz kalt! Schau mal! Die ist ganz weiß… aber… ich glaube die hat mal gelebt! Und.. die… die Haut ist noch… ganz weich…“

Auch der zweite Mann schien näher zu kommen, sie anzusehen und doch blieb Narateal völlig regungslos. Kein Wort, keine Bewegung. Sie konnte nicht, denn ihre Gelenke waren zu steif und sie zu schwach, als dass sie irgendetwas tun konnte. Ihr blieb nur noch eine Möglichkeit und so atmete sie tief ein und aus, dass ihre Schultern sich leicht bewegten.

„OH HIMMEL!“

Die Fackel fiel zu Boden und die Männer wichen zurück.

„Die… die at sich bewegt!! Sie hat sich bewegt! Das hast du doch auch gesehen, oder? Sag mir, dass du das auch gesehen hast!“

„Ja… ja das habe ich! Das habe ich!! Die… die lebt noch! Verdammt! Dieses Weib lebt noch!“

Na endlich hatten die beiden das geschnallt, leider liefen sie weg, anstatt die Fesseln zu lösen und sie mit in die Freiheit zu nehmen. Immer das gleiche mit den Männern… immer das Gleiche mit ihnen… Die Eiswölfin verharrte in ihrer Regungslosigkeit und ihr Herzschlag, der für einen Moment getrieben von sinnloser Hoffnung schneller geschlagen hatte, verlangsamte sich wieder zu diesem elendigen, immer gleich bleibenden Takt in der Dunkelheit. Fluch der Dunkelheit. Fluch der immer währenden Dunkelheit.
 
Okay… vielleicht hatte sie sich auch ein wenig getäuscht, gefangen in ihrer Verbitterung, denn ein weiteres Mal erklangen schnelle Schritte, doch diesmal waren es mehr, viel mehr und sie waren schwerer. Metall klapperte dabei, Ketten rasselten. Sie hatten Soldaten mitgebracht. Wie süß. Die Feiglinge holten sich Unterstützung, da sie sich erschreckt hatten. Aber nun bestand wieder ein Funken Hoffnung darauf, endlich frei zu kommen. Wieder näherten sich ihrer Zelle Schritte.

„Da… da ist sie, sehen sie? Da ist sie und sie lebt! Sie lebt!!“

Irgendwie klang der Kerl immer noch ein wenig panisch, aber Narateal konnte dies doch völlig egal sein. Sie hatten sich zu ihr gewagt und nicht anders herum. Nun kamen schwere Schritte noch näher und jemand hockte sich neben sie. Anspannung konnte sie spüren, Argwohn und sehr viele Blicke. Der Jemand machte sich dazu bereit zurückzuspringen, wenn es nötig sein sollte, wenn Narateal zum Angriff schreiten würde. Nun ja, aber sie tat nichts. Zumindest nicht mehr als sonst auch. Wieder bereitete sie sich darauf vor eine der wenigen Bewegungen zu machen, die sie noch konnte. Atmen. Tief durchatmen.

„Können sie mich verstehen, Lady?“

Wieder ein tiefer Atemzug und der Krieger wich ein Stückchen zurück.

„Okay… sie lebt also wirklich… Madam… können… können sie mich verstehen?“

Wieder ein tiefer Atemzug.

„Gut, gut… ich werde sie jetzt anfassen… Also nicht erschrecken…“

Und schon konnte sie seine Hände spüren, wie diese zu den ihren glitten und vorsichtig die Finder von den Handgelenken lösten. Es tat weh, denn die Bewegung war ihrem Körper schon so schrecklich fremd und doch hatte sie das Gefühl, dass der Krieger sehr umsichtig war. Und vor allem, er war warm. Seine rauen Hände waren so ungewohnt warm und er fühlte sich so lebendig an. Kaum hatte er ihre Arme gelöst, würde Narateal vorsichtig hingelegt. Ihre Beine schmerzten so sehr, dass sie für einen Moment die Luft anhielt, als man sie ausstreckte. Es war so seltsam wieder zu liegen und dann veränderte sich auch noch das Gewicht der Ketten, dass sie diese wieder als Fremdkörper ansah. Ihre Atmung wurde wieder deutlich sichtbar und ihr Herzschlag befreite sich aus dem schlafenden Zustand, wurde wieder schneller. Es schien, als würde sie aus einem Winterschlaf erwachen. Wieder waren da diese Hände, doch diesmal wurde sie etwas zugedeckt. Schon komisch.

„Madam… können sie die Augen öffnen?“

Die Hitze der Fackeln entfernte sich etwas. Wahrscheinlich hatten sie Angst die verletzte und geschwächte Frau zu blenden… wie sehr sie sich doch irrten. Sicher konnte Narateal die Augen öffnen… aber die Reaktion darauf war ihr vorher schon klar und so schlug sie die Augen auf.

Ein scharfes Einsaugen von Luft war zu hören und ein paar vor Schreck zurückweichende Schritte.

„Okay… können sie denn auch sprechen?“

Die Stimme des Mannes wackelte nun ein wenig, aber es war ja auch nichts anderes zu erwarten. Aus irgendeinem Grund fasste er nach ihrer Hand. Glaubte er etwa, dass es sie noch schreckte, dass sie noch nicht verarbeitet hatte, was man ihr kurz nach ihrer Gefangennahme angetan hatte? Nun, Menschen waren eh ein seltsames Volk, so fern ein Mensch vor ihr kniete. Leider konnte die Eiswölfin ihre Lippen nicht mal wirklich zu einem Lächeln verziehen, wie sollte sie dann sprechen?
           
Ihr Schweigen wurde wohl richtig gedeutet, denn irgendwann erklang erneut die angenehm tiefe und doch weiche Stimme des Mannes. Irgendwie hatte er etwas Einfühlsames an sich, oder aber Narateal war einfach nur glücklich, dass irgendwer mit ihr sprach.

„Okay… scheinbar nicht. Ich möchte ihnen keine Angst einjagen oder so, deswegen bräuchte ich doch ein paar mehr Informationen. Sie scheinen ja ihre Augenlieder bewegen zu können… Ich werde ihnen ein paar Fragen stellen… Diese können sie mit Ja oder Nein beantworten… Für nein schließen sie die Augen einmal kurz. Für Ja zweimal… okay?“

Okay… wenigstens meinte der Kerl es gut mit ihr, auch wenn ihr, der Eiswölfin, einer der wohl gefurchtesten Söldnerinnen ihrer Zeit, das ganze ein wenig blöd vorkam. Doch da sie hier raus wollte klimperte sie zweimal mit den Wimpern. Deutlich konnte man hören, wie der Mann neben ihr erleichtert aufatmete und ganz kurz drückte er ihre Hand ein wenig fester.
   
____ Autorennotiz_____
 
Ich mal wieder… hier also meine zweite Geschichte… oder wohl eher das erste Kapitel davon… Die Regeln sind wie immer… sobald ich darum gebeten werde weiter zu schreiben, werde ich dies auch tun… Kritik ist wie immer erwünscht… und ansonsten… nun ja… Die Besonderheit an Narateal ist, dass ich eine Szenerie aus zwei Perspektiven schreibe… das bedeutet, als nächstes schreibe ich dieses Part aus der Sicht des jungen Fremden… dann ist er auch nicht mehr fremd… danach kommt die Fortsetzung^^

(Wenn was mit den Absätzen nicht stimmt tut es mir leid... ich bin noch nicht sonderlich erfahren im Veröffentlichen^^)
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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