Gaby Schumacher

Möchtest Du auch...?

In unserer Familie tat es niemand. Meine Eltern nicht und wir Kinder erst recht nicht. Zumindest unsere frühe Kindheit lang durften wir das mit Fug und Recht von uns behaupten. Aber dann...
 
Wie das so lief, wenn der ältere Bruder seiner Schwester gleich 6 1/2 Jahre voraus hatte, zählte er sich bereits zu den selbstverständlich "so ganz doll selbstbewussten" Twens, bei denen man aber besser das selbstsichere Gehabe nicht für wahre Münze nehmen durfte. Im Gegenteil: Brachte einer von ihnen eine neue Idee an, gab`s gleich ein Serienspektakel. Nur in der Gruppe fühlte man sich stark, nur dort ließ es sich notdürftig verbergen, wie labil man eigentlich noch war. Andernfalls wäre nämlich nie passiert, was dann folgte.
 
Kleine Schwestern bewunderten ihre großen Brüder, umso mehr dann, wenn die soo viel erwachsener waren. Was kleine Schwestern ja nicht ahnten, war, dass die in den meisten Fällen nur so taten.
 
Ich war eine solche kleine Schwester, die ihren Bruder fast vergötterte, in ihm neben meinem Vater den Inbegriff alles Männlichen sah. So riss ich doch in recht ungläubigem Entsetzen meine bis dato unschuldigen, neunjährigen Kinderaugen weit auf, als ich eines Nachmittages etwas Schreckliches entdeckte.
Es roch so komisch aus dem Kinderzimmer. Neugierig schlich ich näher. Ich stieß die Tür auf. Da stand mein Bruder, lässig gegen den Tisch gelehnt und hielt etwas Schmales, Längliches zwischen den Fingern der rechten Hand. Mit der linken fuhrwerkte er irgendwie fast beleidigt quer durch die Luft vor seinem Gesicht. Wieder und wieder.
 
Mein Herz klopfte wie wild. Auf einen Schlag war mir klar geworden: Der tat da etwas Verbotenes. Etwas, was meine Eltern nullkommanix auf die Palme brächte, kriegten sie das´raus. Das war fast noch schlimmer als abends vor dem Schlafengehen nicht zu beten.
 
Meine schwesterlichen Augen drohten aus des besorgten Blickes aus ihren Höhlen zu treten. Auf den zweiten Schlag hatte ich erkannt, was er da eitgentlich tat: Der rauchte. Mein Bruder, mein Vorbild in fast allem qualmte, was das Zeug hielt! Wir könnten es grantiert nicht geheimhalten. Im Zimmer stank es schließlich wie die Pest. Da nutzte so schnell auch kein Fensteraufreissen. Rauch pflegte sich ruckzuck gehässig in jeder noch so winzigen Ritze festzusetzen.
Ein schreckliches Donnerwetter war uns gewiss.
 
Doch es kam noch schlimmer.
Mein Bruder erwartete wohl die gleiche Bescherung von oben, ääh, eher von Seiten unserer Erziehungsberechtigten wie ich. Die Ausweglosigkeit seiner Lage begreifend, sagte er sich wohl:
"Jetzt ist eh alles zu spät. Was soll`s!"
Genau deshalb spann er weitere, dann ziemlich halbstarke Überlegungen, deren Ergebnis er nicht widerstehen wollte und es auch nicht konnte. Da doch jetzt sowieso alles zu spät schien, plante er ein keckes Experiment, bei dem ich eine nicht unwesentliche Rolle übernehmen sollte. Er hatte vor, mich in die Gepflogenheiten der Jugend einzuweisen und rechtfertigte das vor seinem Gewissen mit:
"Immerhin ist sie ja schon neun!"
 
Kurzerhand zog er eine zweite Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an und zögerte kein bisschen mehr bezüglich der dann nachfolgenden Frechheit. Er hatte sein Gewissen einfach in den Urlaub geschickt.
Dieser Möchtegern-Jungerwachsene stellte sich also neben mich und steckte mir, der mir der Mund immer noch vor Schrecken offen stand, den Glimmstengel einfach zwischen die Zähne. Leider konnte ich es nicht verhindern. Ich gierte nach neuem O-O und atmete einmal tief ein. Das hätte ich ahnungsloses Küken besser lassen sollen.
 
Ich spuckte und konnte gar nicht so schnell husten, wie ich mich an dem widerlichen Zeug verschluckt hatte. Iih, war das eklig. Es schüttelte mich. Mit dann puterrotem Kopf röchelte ich aus dem letzten Loch. Der frisch farbene Teint meiner Wangen imponierte mir kein bisschen. In mir stieg Wut hoch. So eine Gemeinheit! Wie konnte er nur...?!
 
Ich wollte es ihm entgegenschleudern, was ich da von ihm hielt. All meine Anstrengungen hätte ich mir sparen können. Stimme war keine mehr da. Das Einzige, was ich hinkrigte, war ein hifloses Krächzen. Krähengesang war Sopran dagegen:
"Ha..ast D..se..ch..all..?"
 
Wie gerne hätte doch wenigstens den letzten Buchstaben noch angehängt, um dann die Wirkung meiner Bemerkung doch bestimmt ganz doll geniessen zu können. Doch das blieb mir verwehrt. Das doofe Mini-E fand den richtigen Lautweg nicht und steckte mir in der Kehle fest.
 
Ein Grund für mich, noch saurer zu werden. Jetzt nicht allein auf meinen greinenden Bruder, sondern zusätzlich noch auf den dämlichen Buchstaben, der sich meinem kindlichen Willen so unverschämt erfolgreich widersetzte.
 
Gerade rechzeitig kam mir die rettende Idee:
Wenn schon nicht so, dann eben soo:
Es tat den dritten Schlag:
Ich holte aus und haute meinem Bruder eine runter!
Wenigstens das klappte!!
 
Mein Bruder bekam übrigens Zigarettenschachtelentzug und obendrein eine Woche Hausarrest.
Äätsch.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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