Robert Gryczke

Dark Memories: Das Tagebuch des Musikers

 

20. Mai 1840

Um meine Gesundheit steht es schlimm.
Der Keuchhusten, welcher meinen Körper seit nunmehr 12 Tagen plagt, will einfach nicht vorüber gehen.  
Hoffentlich tut die Sonne Nizzaa mir gut.
Aber sonst möchte ich nicht klagen. Es gäbe auch keinen weiteren Grund dazu.
Mein Leben scheint mir im Moment, bis auf die Gesundheit, perfekt.
Morgen gebe ich ein weiteres Konzert. Unter den geladenen Gästen sitzen einige wichtige Politiker, welche mich persönlich darum baten doch einmal für Sie zu spielen.


21. Mai 1840

Schon vor mehr als sechs Stunden hat die Sonne ihre letzten Strahlen auf die Erde geschickt.
Eigentlich wollte ich meinen erhitzten Körper gerade mit kühlem Wasser wieder beruhigen,
doch heute Abend ereigneten sich Dinge welche meine Gedanken permanent durchdringen.
Das Gefühl beobachtet zu werden ließ mich, seitdem ich die Bühne heut abend betrat, nicht mehr los.
Man soll mich nicht für verrückt erklären. Als Künstler auf der Bühne, bei einer Sondervorstellung
müsste einem die Tatsache beobachtet zu werden doch nicht ungewöhnlich vorkommen, oder?
Doch merke: Beobachtet und gesehen zu werden sind Geschehnisse welcher Bedeutung ich zweierlei zukommen lassen möchte.
So kam es dass mich während meines Spiels ein Mann nicht nur ansah, sondern zu dem auch beobachtete.
Er schien in mein Innerstes sehen zu können. Nahezu apathisch saß er da und rührte sich kein Stück.
Ein Edelmann war es wohl nicht, verbarg doch sein ungewöhnlich großer Hut, während der ganzen Vorstellung, sein Gesicht.
Der Unbekannte war zwar fremd, hatte ihn zuvor noch niemand bemerkt, aber gleichwohl mir nicht so fremd als dass ich sein Gesicht nicht schon einmal irgendwo gesehen hätte.
Für heute muss ich schließen. Zu stark sind die Schmerzen. Mein Körper scheint zu bersten.


22. Mai 1840

Liebes Tagebuch,
Der heutige Tag war angenehm.
Trotz der Tatsache dass ich nicht überall gern gesehen bin, verbrachte ich den Tag ruhig.
Kein Konzert. Auch mein Instrument welches sonst nach mir lechzt, zog mich nicht an.
Die Frühlingssonne war warm und ließ meine Umwelt in schönstem Licht erstrahlen.
Welch Ironie. Erst im Alter von 58 Jahren lerne ich es zu schätzen, das Licht der Sonne.
Und erst jetzt fiel mir auf wie schön die Poesie sein kann.
Aus einem mir unerfindlichen Grund nahm ich vorhin, gerade wieder angekommen von meinem nachmittäglichen Spaziergang,
Papier und Federkiel zur Hand und schrieb diese Zeilen, die ich dir nicht möchte.

Die Sonne wirft ihr gleißend Licht,
auf Blume, Mensch und Tier,
Schatten nur in mein Gesicht,
ich warte, steh` und blick zu Ihr.


Es gibt größere Dichter als mich, denke ich nur an Schiller, Goethe und Shakespeare aber es muss niemandem gefallen außer mir.
Seltsamer Weise erkannte ich heute in einem Passanten neben mir, den Mann von gestern abend.
Seine dunler Taint fiel mir sofort auf. Ebenso sein hoher Zylinder.
Der lange Mantel stach mir ins Auge und holte meine Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück.
Sollte mich dieser Mann etwa verfolgen? Ich hoffe nicht. Versuchten doch schon so viele Leute mich meiner Privatsphäre zu berauben, und bezahlten es mit Blut.
Nun werde ich mich den Saiten meines Instrumentes hingeben. Meine Sucht rumort im Inneren und schreit nach Befriedigung.


23. Mai 1840

Es ist mittlerweile 2.00 Uhr nachts und noch immer klebt Blut an meinen Händen. Angst beherrscht mich in diesem Moment.
Heute mittag wollte ich mich von den Strapazen der vergangen Tage erholen.
Ich machte einen Spaziergang und traf dabei, so wie gestern, den Dunkelhäutigen. Er verfolgte mich.
Und so fasste ich den Entschluss mich dieses Subjekts zu entledigen. Mit festem Schnitt eilte ich in Richtung der menschenleeren Gegenden und bog in eine einsame Gasse ein.
Er folgte. Berechenbar und auf dem Fuße, wie ein Schoßhund. Der arme Narr wollte mich überholen. Vielleicht die Flucht nach vorne?
Kurzerhand drehte ich mich um und mit riss mit blutigster Inbrunst sein Haupt von den Schultern. Der leblose Körper kippte um. Wie ein nasser Sack klatsche der Leib auf den Boden.
Dabei zerbarst er. Fast als wäre der Körper schon 100 Jahre tod. Maden und Gewürm quollen hervor. Widerlich.
Kaum war die Tat vollbracht hörte ich hinter mir eine Stimme. Ich drehte mich eilends um.
Völlig entsetzt stellte ich fest dass der Mann, den ich tot geglaubt hatte am Ende der Gasse stand und mit einem Lächeln auf dem Gesicht folgendes zu mir sagte:
“Bravissimo, Geiger. Endlich zeigst Du dein wahres Gesicht. ”  Er klatschte in die Hände.   “Aber schau nur wen Du da gerade zerteilt hast.”
Trotz Lethargie drehte ich mich um und blickte auf den abgerissenen Kopf welcher mit weit aufgerissenem Mund und großen Augen neben dem Rest der Leiche lag.
Es war ein Bettler. Ganz harmlos. Er sah dem Mann der hinter mir stand nicht im entferntesten ähnlich, hatte kurze blonde Haare und trug zerfledderte Kleidung.
Ich stellte mir sofort die Frage wer dieser Mann war und wie er es fertig brachte mich derartig zu täuschen. Hexerei gab auch mir einst mein Talent, meine Macht.
Auch er hat die Magie innewohnen.
Wie ein verängstigtes Kind lief ich aus der Gasse heraus, richtete meinen Frack und machte mich auf den Heimweg. In meinem Kopf schallte ein grauenvolles Lachen.
Es begleitete mich bis zur Schwelle meiner eigenen Räume. Kaum betrat ich diese, hörte das Lachen schlagartig auf.
An Schlaf ist nicht zu denken. Auf keinen Fall. Die Saiten brüllen. Sie rufen nach mir. Sie wollen liebkost werden und gestreichelt.


24. Mai 1840

Die Ereignisse des heutigen Tages scheinten allesamt Teil eines größeren Ganzen zu sein.
Ich steuere ohne Rückhalt auf einen Höhepunkt zu dessen Ausmaß mir noch verborgen bleibt.
Die Neugier und eine innere Unruhe trieben mich heute zurück an die Stelle des gestrigen Zusammentreffens.
Die Leiche samt Kopf waren mittlerweile von der Straße verschwunden. Beim näheren Betrachten der Umgebung fiel mir eine Hand auf,
welche aus dem Gebüsch ragte. Unvermittelt schaute ich nach und wurde in meiner Erwartung bestätigt. Leiche und Körper lagen im Gebüsch.
Der Körper lag nackt neben dem Kopf. Obdachlose beklauen sich Gegenseitig. Mensch gegen Mensch.
Solcherlei Bilder sind mir nicht fremd. Oftmals, so wie hier, bin ich selbst der Verursacher.
Der völlig deformierte und aufgeplatzte Körper bot einen schauerlichen Anblick, der normale Menschen in den Wahnsinn treibt.
Das verzerrte, leichenblasse Gesicht. Das geronnene Blut auf dem Boden. Mein Blick fiel auf die Stirn des Kopfes. Auf ihr befand sich ein
Bannkreis. Irgendetwas sollte in diesem Schädel festgehalten werden. Urplötzlich fuhr Leben in den Kopf. Dunkles Leben. Der Bannkreis -das M in der Mitte
ist mir bekannt, ich weiß nur noch nicht woher- glühte. Mit einer Stimme welche nicht von dieser Welt stammen kann überbrachte der Schädel eine Botschaft.
"Drei Tage. Mitternacht. Tod." Während der dies gurgelte flossen seltsame, purpurne Flüssigkeiten aus seinem Mund. Unappetitlich.
Das Spielen quält mich. Mit jedem Streich der Saiten scheine ich schwächer zu werden. Ich fühle es. Ich spüre wie ich ausgesaugt werde.
Der Auftritt heute Abend wird ein Märtyrium.


25. Mai 1840

Meine Hände sind fast zu schwach um die Feder zu halten.
Mein Auftritt gestern laugte mich aus.
Schaue ich in den Spiegel erkenne ich nur mehr ein Schatten von dem Mann der ich einst war.
Ein Totenkopf mit Haaren und Augen, dass zeigt sich mir im Spiegel.
Ich habe langsam das Gefühl dass sich meine Dasein dem Ende neigt.
Dieses Instrument hat mein Leben verändert, verdorben, verflucht.
Angst haben einige Leute, andere halten es für Spinnerei. Mein Ruf eilt wie ein Schatten voraus.
Dies hatte er mir damals verschwiegen. Verschwiegen bei dem Tausch. Der Pakt.
“Der Ruhm. Das Geld. Anerkennung. Macht wie Du Sie niemals gekannt hast. Kraft. Schönheit.
Nicht mehr als deine Seele will ich haben.”
Was war schon eine Seele. Nichts zu dem was ich dafür  bekam. Dieser verdammte Teufel verschwieg mir dass der Zauber
in der Violine, seine Kraft aus meinem Körper bezog. Jede Saite nährte sich von meinem Leben.
Meine Vermutungen erhärten sich. Das "M" auf dem Körper der Leiche. Das ständige Auftauchen des Fremden sowie seine ungewöhnliche Kleidung und die offensichtliche Macht, welche unmöglich aus dem Diesseits
stammen kann, bestärken mich anzunehmen dass es sich bei dem Fremden nur um eine Person handeln kann.
Mephisto.
Scheinbar ist die Zeit gekommen. Er fordert seinen Preis.


26. Mai 1840

Morgen nacht zur Geisterstunde ist es soweit.
Mephisto kommt.
Mittlerweile habe ich keinerlei Zweifel mehr daran.
Ausgeschlossen dass es jemand anderes sein kann außer ihm.
Doch diesmal werde ich ihm einen Handel vorschlagen.
Mein Instrument gegen meine Seele.
Was war ich für ein Thor. Das weiß ich jetzt.
Und wenn ich keinen Funken Magie mehr in mir hätte, kein Geld und keinen Erfolg.
Egal. Ich will nur noch eines. Befreit werden von diesem Fluch. Denn mehr ist und war es nie.
Ein Midasfluch. Ich hatte Erfolg, Geld und Macht. Doch nicht ein Ton der Saiten stammte von mir.
Ich will nichts mehr von all diesem Schein, Schmerz und Betrug.
Bitte Gott. Lass mich stark genug sein um dem verdammten Seelenhändler entgegenzutreten.
Die einzige Waffe gegen dieses Ungetüm ist mein Instrument.
Meine letzten Kräften würde ich an es geben wenn ich dadurch den Dämon umbringen könnte.


27. Mai 1840

Heute nacht ist es soweit.
Ich trete Mephisto entgegen.
In der letzten Nacht drang eine Vision aus Morpheus` Reich zu mir.
Ich werde untergehen. Es gibt keine andere Alternative.
Der Traum hat`s mir verraten, hat`s mir gezeigt.
Selbst mit allen Mitteln der Welt kann man ihn nicht stoppen.
Ich bin wohl nicht sein einziger Kunde.
Mit jeder Seele welche er aus dem Körper entnimmt steigt seine Macht.
Sein Einfluss auf die Welt, seine Kräfte. All dies wächst in selbem Maße wie die Anzahl der Seelen welche er stielt, entnimmt, kauft.
Wie auch immer nun man dieses schreckliche Tauschgeschäft nennen mag.
Sicherlich ist dies mein Eintrag. Ich hoffe ich kann ihm Wunden zufügen.
Aber was soll ein Krüppel, der ich mittlerweile geworden bin, schon ausrichten können?
Mein Blick richtete gerade gegen die Uhr. Nur noch 12 Minuten und schon jetzt bemerke ich deutlich die magische, dunkle Präsenz welche in meinen Gemächern liegt.
Ich habe nicht mehr viel Geduld um noch länger zu schreiben.
Darum entsende ich hiermit eine letzte Botschaft an all die welche es lesen.

Ich bin nicht das Untier für das mich die Menschen halten.
Meine Macht auf einem Fluch
Den Zauber erhielt ich von Mephisto. Doch die Gefühle kamen dennoch aus meinem Herzen.
Ich bin nicht Le Diabolo de Violon.
Ich bin nicht der Teufelsgeiger.
Ich bin ein Mensch und meine Name ist Niccolò  Paganini.

 




 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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