Natascha Meyer

Schicksal

 

Ich habe mir einen Platz am Fenster ausgesucht, da ich die Menschen gerne beobachte.

Ich sehe sie und frage mich, welche Geschichten sie wohl in sich tragen.

Ob sie Glücklich oder Traurig sind. Ob sie einen ganz bestimmten Menschen haben, bei denen sie sich wohl fühlen. Oder ob sie einsam sind.

Ich bestelle mir, bei der kleinen Vietnamesin, einen Kaffee ohne alles. Lange habe ich gebraucht, mich an diesen bitteren und herben Geschmack zu gewöhnen. Aber was tut man nicht alles…

Es fängt an zu regnen und ich muss unweigerlich an das Lied, „Why Does It Always Rain On Me“, denken.

Die Menschen, draußen, spannen ihre Schirme auf. Ein Meer aus Farben entsteht auf den Straßen und Wegen. Es gleicht einer frisch blühenden Wiese, wenn man nicht so genau hinschaut.

Ein warmer Sommerregen würden manche sagen. Doch mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Ich nehme die Tasse in die Hände und führe sie zu meinen Lippen. Der bittere heiße Geruch steigt mir in die Nase. Ich mag dieses Gefühl, zu wissen, wie er gleich meine Kehle hinunter läuft. Die Menschen um mich herum reden, doch ich nehme nur die Lautstärken wahr.

Ich hebe meinen Kopf und sehe wie er durch die Tür hinein kommt. Mein Herz verkrampft sich.

Er hält eine kurze Zeit inne.

Unsere Blicke treffen sich diesmal nicht.

Nachdem er mit seinen Augen die einzelnen Tische abgesucht hat, dreht er mir den Rücken und geht zielsicher auf einen der Tische zu.

Dort setzt er sich zu einem jungen hübschen Mädchen, der ich nicht im weitesten Sinne das Wasser reichen kann.

Es sind nur kurze Sekunden die jetzt vergehen, doch meine Befürchtung bewahrheitet sich. Er neigt sich zu ihr hinunter und küsst sie zärtlich.

Obwohl es wehtut, kann ich den Blick nicht von ihnen wenden. Sie lächeln. Sie sind Glücklich.

Ich packe meine Sachen zusammen und winke die kleine Vietnamesin zu mir. Zahle meinen nicht ausgetrunkenen Kaffee und warte einen günstigen Zeitpunkt ab. Da ich nicht will, dass er mich sieht.

Vor dem Café öffne ich meinen Schirm und laufe langsam an den Fenstern vorbei. Wage noch einen flüchtigen Blick und sehe wie er sich einen Kaffee ohne alles bestellt.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Natascha Meyer).
Der Beitrag wurde von Natascha Meyer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Natascha Meyer als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Meine Gedanken bewegen sich frei von Andreas Arbesleitner



Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Trauriges / Verzweiflung" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Natascha Meyer

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Ein Neuer Anfang von Natascha Meyer (Lebensgeschichten & Schicksale)
Stumme Kälte von Rainer Tiemann (Trauriges / Verzweiflung)
... direkt ins Herz von Monika Hoesch (Impressionen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen