Friederike Fischer

Endlich Frühling Teil 2

Kapitel 2
 
Die Tage bis zu Jerrys Geburtstag wollten einfach nicht umgehen. Besonders der letzte Tag war eine Herausforderung für meine Nerven. Ich bin nur kurz in die Stadt gefahren, um etwas für das Mittagessen zu besorgen, aber natürlich hatten sie nicht das, was ich eigentlich wollte und die Schlange an der Kasse war auch unendlich lang. Auf dem Rückweg wäre ich noch fast vom Fahrrad gefallen, als mir ein Hund vor mir die Seite auf dem Gehweg geändert hatte und ich beinahe in die Leine gefahren wäre. So kam alles zusammen und war für den Tag wirklich nicht mehr zu gebrauchen. Meine Eltern waren an diesem Tag nicht zu Hause und ich musste alleine essen. Ich hasse es alleine zu sein. Diese Stille, die das Haus durchzog, konnte einem glatt Angst einjagen, also machte ich mir ganz laut Musik an, setzte mich aufs Sofa und wartete auf das Ende dieses furchtbaren Tages.
Gegen Abend kamen meine Eltern wieder und fanden mich schlafend im Wohnzimmer.
Sie bemühten sich zwar leise zu sein, aber ich wachte trotzdem kurz danach auf.
Ich wollte eigentlich noch weiterschlafen, also ließ ich die Augen geschlossen und döste vor mich hin. In der Dunkelheit tauchten verschiedene Gesichter auf und sobald ich sie näher betrachtete verschwammen sie wieder. Da war Jerry, der mein Geschenk auspackte, dann meine Eltern, die versuchten mich aufzumuntern und schließlich der Junge aus der Stadt.
Sofort öffnete ich die Augen und erschreckte meine Mutter zu Tode, die sich gerade über mich gebeugt hatte.
„Oh Gott! Ich dachte du schläfst!“
„Hab ich auch bis ihr mich geweckt habt!“
Eigentlich wollte ich gar nicht genervt klingen, aber ich hatte meine Gefühle in dem Moment nicht wirklich unter Kontrolle: mein Herz raste geradezu und ich hatte keine Ahnung was das zu bedeuten hatte. Ich hatte wohl gerade an Jerrys Geburtstag gedacht und die Begegnung mit diesem Jungen nur mit seinem Geschenk in Verbindung gebracht. So musste es gewesen sein, so und nicht anders. Und was hatte dieses trommelnde Gefühl in meiner Brust für eine Bedeutung? Ich schob es letztendlich darauf, dass meine Mutter mir ebenfalls einen Schreck eingejagt hatte. Ich hatte ja keine Ahnung...
„Willst du was essen? Wir wollen Pizza bestellen“, fragte meine Mutter und in ihrer Stimme war keine Spur von Beleidigung oder Ärger zu entdecken. Entweder hatte sie den aggressiven Unterton nicht so deutlich gehört wie ich, oder sie wusste schon wieder mehr als mir lieb war. Okay, wohl eher Letzteres! Das Wort „Mitleid“ stand ihr schon fast auf die Stirn geschrieben.
„Also? Spuck´s schon aus! Was willst du mir sagen?“, fragte ich sie, damit ich so schnell wie möglich wieder alleine war. Doch langsam entwickelte ich ein gewisses Interesse für die Ratschläge meiner Mutter, welches neben Frust und Lustlosigkeit in meiner Stimme mitklang. Leider blieb meine Neugier an diesem Abend unbefriedigt, denn die einzige Antwort, die ich bekam war:
„Ich habe dir nicht mehr zu sagen, als ich schon gesagt habe. Willst du nun eine Pizza?“
Verdattert sah ich sie an und schüttelte den Kopf. Nach essen war mir nun wirklich nicht zumute und das Schlafen konnte ich jetzt auch vergessen. Mir grauste davor auch nur einen Gedanken an diesen Jungen zu verschwenden, sobald ich die Augen wieder schloss. Ich würde heute Abend stundenlang nicht einschlafen können. Aber morgen war ja endlich Jerrys Geburtstagsparty und ich hoffte auf einen erholsamen Tag; die Sommerferien, meine Depressionen, den Jungen aus der Stadt, all dies wollte ich aus meinem Leben streichen, und mit dieser neu gefassten Zuversicht schaffte ich es schließlich auch einzuschlafen.
 
Mit einem Kikeriki weckte mich am nächsten Morgen der Wecker meines Handys. Es war doch erst neun Uhr morgens, wer um alles in der Welt hatte es gewagt den Wecker so früh zu stellen? Ich war es nicht, auch wenn das naheliegend erschien!
Grinsend kam mir mein Vater im Bad entgegen. Ja, das hätte ich mir auch denken können! Mein Vater war ein Witzbold wie er im Buche steht. Auch wenn die meisten seiner Opfer nicht sonderlich von seinen Streichen begeistert waren, kam er einfach nicht davon los.
„Ja. Haha! Sehr lustig!“, murmelte ich schnippisch, konnte mir ein Lächeln jedoch nicht verkneifen. Jeder, der meinen Vater kannte, würde diese Reaktion verstehen!
Und trotzdem empfand ich diesen Morgen nicht als gelungenen Tagesbeginn, vor allem nicht für diesen Tag, auf den sich jede Faser meines Herzens freute.
Missmutig watschelte ich wenige Minuten später in die Küche, in der zu meinem Entsetzen der Junge aus der Stadt saß. Er wandte mir sein Gesicht zu, doch außer Schatten und wagen Konturen vermochte ich nichts zu erkennen. Einen Moment lang redete ich mir ein funkelnde Augen gesehen zu haben sowie ein schelmisches Grinsen. Ich machte sofort auf dem Absatz kehrt und verschwand in mein Zimmer. Keuchend ließ ich mich an der geschlossenen Zimmertür herabsinken, starrte an die Decke und lauschte dem Klopfen meines Herzens. In meinem Kopf schwirrten unendlich viele Fragen herum, von denen ich nicht mal eine in Gedanken ausformulieren konnte, ohne dass sich  schon die Nächste dazwischen drängte. Mir wurde schwindelig und alles vor meinen Augen verschwamm und wurde schwarz.
Schweißnass wachte ich auf, ich lag in meinem Bett und die Decke auf dem Fußboden. Der kleine Zeiger der Uhr, die auf meinem Nachttisch stand, zeigte auf neun. Sofort sprang ich auf und lief im Flur meinem Vater in die Arme. Irritiert von meinem verstörten Gesichtsausdruck folgte er mir hinunter in die Küche, in der, zum Wohle meiner Gesundheit, nur meine Mutter stand.
Erschöpft und erleichtert zugleich ließ ich mich auf unsere Essbank plumpsen.
„Hab ich das nur geträumt, oder saß eben noch ein fremder Junge in unserer Küche?“
Ich wollte nur sicherstellen, dass es wirklich nur ein Traum gewesen war.
„Natürlich war kein Fremder in unserer Küche“, sagte meine Mutter mit einem Blick, als wolle sie mich noch heute einweisen.
„Geht es dir gut?“, fragte mein Vater, eher belustigt als ernst. Ich musste aber auch eine schauspielerische Glanzleistung hingelegt haben wie ich in dem Bruchteil einer Sekunde aus meinem Zimmer nach unten gestürmt war.
Dieser Terror war ja unerträglich! Was hatte mir dieser Junge nur angetan, dass ich nur noch an ihn dachte?!
Mal wieder hoffte ich auf Jerrys Geburtstagsfeier.
Um 21.30 Uhr konnte ich nicht länger warten und ging schon mal Richtung Jerrys Haus, obwohl ich höchstens 15 Minuten brauchen würde. Dann bin ich eben zu früh, sagte ich mir, als ich so durch die Straßen schlenderte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten es tatsächlich geschafft mich mit schlechter Laune auf den Weg zu Jerry zu machen.
Leise pfiff ein Wind durch die Baumkronen, kaum hörbar, aber da, wie Stimmen, die auf mich einredeten. Doch ich konnte kein Wort verstehen. Dieser Wind, obwohl nicht kalt, ließ mich frösteln und mir war als wollte er mich vor etwas warnen. Schon lange bevor ich von zu Hause aufgebrochen war, ist die Sonne, auf ein Wiedersehen am nächsten Morgen, hinter dem Horizont verschwunden. Die Straßenlaternen beleuchteten mir nun den Weg, der mir unendlich lang und schmal vorkam, als würde ich abstürzen, wenn ich auch nur einen falschen Schritt wagen sollte. So führte er mich unausweichlich auf das zu, vor dem mich der Wind warnte. Ich fühlte mich von der ganzen Welt verraten, besonders aber von meinen Träumen. Jeder hat doch einen Traum, dem er nacheifert, nach dem er sein Leben ausrichtet. Wie soll man aber auf die Erfüllung dieses Traumes hoffen, wenn man nachts von seinem schrecklichsten Abbild geweckt wird, wenn sich Wunsch und Angst so eng verbinden? Ich wehrte mich gegen diese Fragen, denn ich wollte mich einzig und allein auf den Geburtstag meines besten Freundes konzentrieren, auf den ich mich mal gefreut hatte. Den Blick gesenkt und mit schnellem Schritt lief ich dem Ziel entgegen. Meine Füße benötigten die Führung meiner Augen nicht, genauso wenig wie den immer stärker werdenden Rückenwind.
Völlig zerzaust kam ich schließlich bei Jerry an und hatte, wie schon befürchtet, keine Lust mehr länger da zu bleiben. Ich hatte einfach ein ungutes Gefühl.
Zu meinem Entsetzen hatte der Wind auch noch sofort nachdem ich Jerrys Haus betreten hatte wieder nachgelassen.
Von Schuhen und Jacke befreit saß ich schließlich neben Jerry auf seinem Sofa und sah ihm beim Geschenkeauspacken zu. Geübt streifte er das Geschenkband ab und öffnete die Hülle aus Papier. Hervor kam eine CD, von deren Interpreten ich noch nie etwas gehört hatte, aber Jerry schien sie sehr zu mögen. Die Gruppe kam aus England, wie ich später erfuhr, und Jerry hatte sie einmal life spielen sehen. Hoffentlich gefällt ihm mein Fotoalbum auch, dachte ich als er mein Geschenk in die Hände nahm und das selbe Ritual vollzog wie beim vorigen Päckchen.
Meine Vorahnung wurde nicht enttäuscht: er freute sich wirklich, aber freute er sich über das Geschenk oder darüber, dass es von mir war? Jedes Jahr das gleiche!
Mitten im Auspacken klingelte es an der Tür und Jerry bat mich dem Besucher zu öffnen.
„Das ist sicher Ryan“, sagte er knapp und wendete sich erneut seinen Geschenken zu. Ryan, ein ungewöhnlicher Name, aber sehr schön, befand ich. Bestimmt kommt er wie Jerry aus England.
Ich quälte mich aus der Sitzkuhle des Sofas, ich hatte es mir gerade gemütlich gemacht, verließ das Wohnzimmer und schlenderte lustlos Richtung Haustür. Meine Laune hatte sich schon etwas  gebessert, aber als die Tür aufschwang erreichte sie ihren tiefsten Tiefpunkt. Erstarrt stand ich da und vermochte nicht auch nur einen Muskel zu bewegen. Dem Jungen, der in der Tür stand schien es nicht viel besser zu ergehen, aber er machte schließlich den ersten Schritt. Natürlich! Er hatte sicherlich keine merkwürdigen Alpträume seit unserer letzten Begegnung gehabt.
„Hallo“, sagte er grinsend, „schön dich wiederzusehen. Ich bin Ryan.“
„Hi, ich bin Dan.“
Er musste mich für bescheuert halten. Nicht mal einen vernünftigen Satz brachte ich hervor, ohne dass man denken konnte ich hätte eine Gesichtslähmung, oder wie er es auch immer interpretierte.
„Darf ich reinkommen oder bist du mir noch böse, dass ich dich umgerannt habe?“ Immer noch zierte ein Lächeln sein Gesicht, in dessen Erkundung ich nun versank. Nun kenne ich dein Gesicht und deinen Namen! Warum diese Feststellung meine Laune plötzlich anhob und meine Starre löste, konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären. Er sah mich fragen an, aber ich war immer noch damit beschäftigt sein Äußeres genau zu untersuchen. Er war ein wenig größer als ich, hatte hellbraune zum Teil lockige Haare, die bis kurz über die Ohren reichten und grüne Augen. Endlich konnte ich mir ein genaues Bild von ihm machen und ihn auch mal zur Tür herein lassen.
„Klar, kannst du reinkommen, ist ja schließlich Jerrys Haus und seine Feier. Außerdem bin ich dir auch nicht mehr böse, wieso auch?“ Ich lächelte ihn an und ließ ihn ins Haus. Während er sich von seiner warmen Jacke und den Stiefeln befreite sah ich ihm gespannt zu, ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden und ihn schien es nicht mal zu stören. Ich war mir sicher, dass er es bemerkt hatte, aber wie gesagt ließ es ihn völlig kalt. Vielleicht gefiel es ihm sogar, denn er lächelte und legte den Arm um mich, als wir ins Wohnzimmer gingen. Ich musste ungefähr die Farbe einer Tomate angenommen haben, fühlte mich allerdings pudelwohl. Jerry schien die Situation nicht so ganz zu verstehen.
„Wie jetzt? Ihr kennt euch?“ Er hatte natürlich erwartet, dass wir uns vollkommen fremd sind und das hier wiedersprach einfach allem.
„Na ja, ein bisschen ... eigentlich gar nicht“, versuchte Ryan die Sache zu erklären, aber Jerry sah noch immer unbefriedigt aus.
„Klar, genau, jetzt weiß ich über alles Bescheid ... eigentlich gar nicht“, machte er Ryan nach und alle brachen in lautes Lachen aus.
„Also eigentlich war das so“, begann ich die Geschichte erneut, „ich hab in der Stadt dein Geschenk gekauft und bin in einer Nebengasse stehengeblieben, weil mich das Gewitter überrascht hat. Dann kam er aus einer anderen Gasse gelaufen und hat mich zu Boden geworfen.“
„Wie romantisch!“, neckte Jerry, er hatte unsere Ankunft im Wohnzimmer wohl noch nicht vergessen.
Beide gleichzeitig stürzten Ryan und ich auf Jerry zu und rissen ihn zu Boden. Die Umstehenden bildeten sofort einen Kreis, als ob wir eine Schlammschlacht machen würden und kreischten alle wild durcheinander.
„Und so hat das dann ungefähr ausgesehen“, witzelte Ryan.
„Dann kann ich aber nicht nachvollziehen, warum Dan dir verziehen hat“, sagte Jerry und fasste sich an den Hinterkopf.
Wir halfen ihm wieder hoch und quetschten uns nun zu dritt aufs Sofa. Ich saß in der Mitte und war durchaus zufrieden damit. Meinen besten Freund auf der einen Seite und ... tja, was auch immer Ryan für mich war auf der Anderen. Der Abend hatte sich doch noch positiv entwickelt und das durch den Faktor, der die Atmosphäre hätte stören müssen. Ich war ganz glücklich, dass nicht immer alles so kommt wie man es erwartet hatte. Zudem war ich aber etwas traurig, dass dieser Geburtstag sich von den Vorigen unterschied, da ich mir dieses Mal zumindest einen Namen merken würde: Ryan.
In dieser Nacht schlief ich sehr gut und so entspannt wie schon lange nicht mehr.
 
 
Kapitel 3
 
Die nächsten Tage vergingen, ohne dass etwas Großartiges geschah, ich konnte absolut nichts mit mir anfangen. Da hast du einen Abend richtig Spaß am Leben und an den Tagen danach kommt es dir so vor, als müsstest du dafür bezahlen, wer will denn da noch glücklich sein?!
Ich saß abwechselnd auf dem Sofa oder meinem Bett, schnappte mir ein Buch aus dem Regal, fing an zu lesen, legte es wieder weg, schaltete den Fernseher an und wieder aus und entschied mich schließlich für das allseits beliebte „Rumgammeln“. So hatte ich mir das nun wirklich nicht vorgestellt. Am Samstag Morgen hatte ich voller Entsetzen festgestellt, dass ich von Ryan nur den Namen kannte, und dass er tatsächlich wie Jerry aus England kommt. Sie hatten sich auf einem Stadtfest kennengelernt, als Ryan Jerry versehentlich seine Zuckerwatte ins Gesicht gehalten hatte. Ryan schien neue Freunde immer auf die selbe Weise kennen zu lernen, durch einen „Unfall“. Ich musste zwangsläufig kichern als Jerry mir diese Geschichte erzählte und Ryan warf mir sofort einen halb entschuldigenden halb belustigten Blick zu.
Aber nun war dieser Spaß vorbei und ich hatte keine Ahnung, ob ich Ryan überhaupt jemals wiedersehen würde. Immer wieder stellte ich mir die Frage warum mir soviel daran lag. Wenn man sich als Junge nach einem anderen Jungen sehnt, bekommt man natürlich sofort Angst schwul geworden zu sein, aber das wollte ich mir gar nicht erst einreden. Und wenn es doch so war? Tatsächlich hatte ich in letzter Zeit keinen einzigen Gedanken an mein voriges Problem verschwendet. Vielleicht hatte ich einfach genug davon gehabt und mich unterbewusst nach etwas Anderem umgesehen. Es war doch vollkommen unmöglich vom einen auf den anderen Tag schwul zu werden, das konnte einfach nicht stimmen. In jedem Ratgeber über die Pubertät lässt sich dieses Verhalten nachlesen. Mit der Frage wann die Pubertät eigentlich beendet ist, beschäftigte ich mich erst gar nicht.
Ich hatte definitiv zu viel Zeit zum nachdenken. Am Donnerstag sollte die Schule wieder beginnen und ich hatte erstaunlicherweise nichts dagegen einzuwenden, da mir diese quälenden Fragen durch den Schulstress hoffentlich erspart bleiben würden.
Doch die Liebe lässt sich nicht einfach verdrängen, egal ob sie ehrlichen Gefühlen oder schmerzhafter Sehnsucht entspringt, und dass es sich bei dem, was ich empfand um wahre und natürliche Liebe handelte, die sich seit jenem Tag in der Stadt in mein Herz gefressen hatte, wurde mir nur wenige Tage nach Schulbeginn bewusst.
Meine Pläne, nach einer Freundin Ausschau zu halten, hatte ich natürlich vollkommen vergessen, obwohl ich einmal daran gedacht hatte, als ich mir über mein Verhältnis zu Ryan klar werden wollte. Und jetzt, da ich keine Gedanken mehr daran verschwendete, kam ein Mädchen auf mich zu und fragte mich, ob ich zu ihrer Geburtstagsfeier kommen würde. Ich hatte vorher nur flüchtig mit ihr geredet, aber trotzdem schien sie der Meinung zu sein, wir würden uns gut kennen.
Ich habe ihr abgesagt, obwohl ich auf so eine Chance mein ganzes Leben gewartet hatte. Vor ein paar Wochen noch hätte ich Freudensprünge gemacht und die Einladung auf jeden Fall angenommen. Aber nun bedeutete mir das alles gar nichts und als Jerry mich fragte was dieses Mädchen von mir wollte, wurde mir Ryans Einfluss auf meine Gefühlswelt erst bewusst. Ich hatte es zwar schon geahnt, aber nun gestand ich es mir endgültig ein. Meine Augen weiteten sich und meine Sätze wurden zunehmend unvollständiger. Jerry musste das bemerkt haben und ich bekam auf einmal wahnsinnige Angst, dass er sich von mir abwenden würde, wenn er erfuhr, dass ich mich in einen Jungen verliebt hatte, noch dazu in einen seiner Freunde. Meine Stimme war inzwischen total verstummt und ich saß nur da und starrte Jerry an. Wie hatten uns an einen Tisch in der Pausenhalle gesetzt, da wir zwei Freistunden vor uns hatten, aber keiner sprach, beide saßen wir uns nur schweigend gegenüber. Die Pause war vorbei und die Schüler drängten die Treppen hinauf, um sich auf die verschiedenen Unterrichtsräume zu verteilen. Minuten vergingen, oder waren es doch nur Sekunden, bis sich die Pausenhalle geleert und vollkommene Stille um uns ausgebreitet hat. Auf einmal sah Jerry auf und stellte mir leise eine Frage, fast im Flüsterton, und mir kam es so vor, als hätte ihn diese Frage schon länger beschäftigt.
„Sag mal, Dan, hat das was mit Ryan zu tun?“
Ich hatte richtig gedacht. Jerry hatte es herausgefunden und würde nie wieder mit mir sprechen, ich würde meinen besten Freund verlieren, den Einzigen, mit dem ich reden konnte.
„Ja, ich denke schon.“
Diesmal war ich es, der sprach, ohne seinen Gegenüber anzusehen. Ich konnte es einfach nicht. Es wäre unmöglich für mich seinem Blick standzuhalten.
„Du liebst ihn, hab ich Recht?“
„Ja.“
„Dan“, er machte eine Pause und ich befürchtete schon das Schlimmste, „für mich ist das ok.“
Mein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Ich war verwirrt und überglücklich zugleich. Jerry würde weiterhin mit mir sprechen, er würde mein bester Freund bleiben? Das hätte ich nicht für möglich gehalten. In letzter Zeit war einfach zu viel schief gegangen.
Endlich hob ich meinen Blick und strahlte Jerry an.
„Du findest das nicht abstoßend oder eklig? Er ist immerhin ein Freund von dir!“
„Ich denke es ist am wichtigsten, was du denkst und fühlst. Warum sollte ich etwas dagegen haben? Und außerdem weiß ich, dass du es ehrlich meinst. Aber Ryan weiß noch nichts, oder?“
„Nein, und das soll auch so bleiben, bitte Jerry!“
„Ich werde ihm nichts sagen, aber meinst du nicht er sollte es wissen? Du quälst dich doch nur, wenn du das in dich reinfrisst und du weißt doch gar nicht, ob er nicht das gleiche fühlt wie du.“
„Doch, das weiß ich! Glaubst du im Ernst, dass ich mal Glück habe und sich der, den ich liebe auch in mich verliebt hat? Es gibt Schwule doch nicht wie Sand am Meer!“
„Nein, das kannst du nicht wissen! So, wie ihr an meinem Geburtstag ins Zimmer gekommen seid und wie ihr euch amüsiert habt, würde ich das nicht ausschließen.“
„Ich sag es ihm aber trotzdem nicht, da kannst du dich auf den Kopf stellen!“
„Du tust ja, als ob es an mir wäre die Entscheidung zu treffen. Das musst du schon tun. Ich wollte dir nur auf den richtigen Weg helfen, dir deine Rechte erläutern.“
Er grinste mich an und sofort war unser lächerlicher kleiner Streit beendet. Jerry war ein Fan von allen möglichen Krimiserien und ließ keine Gelegenheit aus verschiedene Zitate in ein Gespräch einzubringen.
Aber er hatte Zweifel in mir geweckt, was Ryan betraf. Wenn ich daran dachte es ihm zu sagen, wurde mir schlecht. Allerdings lag Jerry schon richtig, als er sagte ich würde mich nur quälen. Verliebtsein hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt, schöner, unbeschwerlicher, einfach leichter. In diesem Moment änderte sich meine Einstellung zur Liebe, die ich Jahre lang aufrechterhalten hatte und dies veränderte auch mich selbst. Mein bisheriges Leben war dem Ziel gefolgt, die wahre Liebe zu finden, aber jetzt, da ich verliebt war, wusste ich nicht weiter, ich fühlte mich leer. Nicht zu wissen woran man ist, ist schlimmer als alles andere! Liebt er mich? Will er mich wiedersehen? Hat er genug von mir? Bin ich schon wieder abgeschoben? Den ganzen Tag saß ich da, überlegte, war dem Weinen nahe und nichts vermochte mich aufzumuntern. Ich hatte weder Hunger, noch sehnte ich mich nach Gesellschaft, außer der von Ryan. Doch die würde ich nicht bekommen. Ich ging schon so weit, dass ich im Internet versuchte eine Adresse, eine Telefonnummer oder zumindest einen Nachnamen herauszufinden. Noch vor Kurzem hatte ich mir eingeredet, dass ein Lächeln, der Besuch eines Freundes oder ein guter Film die Laune erheblich anheben konnten, jedoch brachte ich kein Lächeln hervor, kein Freund außer Jerry besuchte mich und der wusste nicht, was er mit mir reden sollte und im Fernsehen kamen nur Filme, die sich ausgiebig mit allen möglichen Problemen beschäftigten. Überhaupt ist mir zu der Zeit aufgefallen, dass es kaum einen Film ohne Liebesinhalt gibt, genau so auch bei Musik. Egal ob ich das Radio oder den Fernseher anschaltete, immer erinnerten mich die Texte an mich und mein Unglück. Zum Beispiel der Film „Moulin Rouge“:
„Never knew I could feel like this ... I want to vanish inside your kiss, every day I love you more and more ... Come what may, I will love you until my dying day ... Suddenly the world seem such a perfect place.“
So was lief ständig im Radio und natürlich kamen zu dem Zeitpunkt auch die schnulzigsten Filme im Fernsehen. Die Schule tat mir zu dem Zeitpunkt sehr gut, da ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren, um meine Noten zu verbessern und für einige Stunden gelang es mir tatsächlich Ryan zu vergessen. Zwei Monate Schule vergingen wie im Flug und als die Herbstferien näher rückten, überkam mich ein scheußliches Panikgefühl. Den ganzen langen Tag würde ich zu Hause hocken und viel zu viel Zeit zum Nachdenken haben. Ich konnte natürlich den ganzen Tag lernen, aber wenn ich die Schuleatmosphäre nicht um mich hatte, fiel mir dies wesentlich schwerer. Wie erwartet saß ich also nur in meinem Zimmer, wusste nichts mit mir anzufangen und hatte ununterbrochen das Bedürfnis mit jemandem zu sprechen, wollte verstanden werden. Unerwarteter Weise fand ich diesen Jemand doch in Jerry.
Da ich sowieso sehr viel Zeit im Internet verbrachte, kam ich auf den Gedanken Jerry eine Mail zu schreiben, die wahrscheinlich locker zwei Din A 4 Seiten einnahm, und dabei ist mir aufgefallen, dass er so viel offener auf meine Fragen antwortete. Als ich seine Antwort auf meine Mail durchlas, schlich sich doch tatsächlich ein Lächeln auf mein Gesicht! Und es half unglaublich, auch wenn ich danach wieder zu grübeln begann. Zum ersten Mal nach jenem Tag meiner Erkenntnis fühlte ich mich wieder stark und beschloss Ryan alles zu beichten. Natürlich waren meine Zweifel und meine Angst keinesfalls verschwunden und ob ich das durchziehen würde war auch fraglich, aber ich hatte es mir zumindest mal vorgenommen und darauf war ich schon verdammt stolz.
Meinen Eltern konnte ich kaum ins Gesicht sehen, da ich befürchtete meine Gedanken seien ein offenes Buch für sie. Wie hätte ich nach den vergangenen Monaten auch anders von meiner Mutter denken können?! Aber wie das nun mal so ist, bemerkten sie es durch mein sehr ungewöhnliches Verhalten schließlich doch und bedachten mich pausenlos mit fragenden Blicken. Was genau passiert war konnten sie natürlich nicht wissen und ich würde ihnen das Buch nicht aufschlagen!
So vergingen auch die gefürchteten zwei Wochen der Herbstferien. Es war kaum zu glauben, aber Jerrys Geburtstag lag nun schon über zwei Monate zurück und die Erinnerung an diesen Tag war sehr schmerzhaft für mich. Am Mittwoch, dem letzten Ferientag, beschloss ich schließlich etwas zu unternehmen.
Da ich wie gesagt nur Ryans Vornamen wusste, blieb mir nur Jerry als Informant. Er hatte ganz bestimmt Adresse und Telefonnummer von Ryan. Ohne zu zögern gab er mir auch beides, sobald ich ihn danach gefragt hatte. Wir waren am Donnerstag nach der Schule zu ihm gefahren und er suchte sofort alles heraus. Er schien sichtliches Interesse an einer Beziehung zwischen zweien seiner Freunde zu haben.
„Warum hilfst du mir eigentlich so?“, fragte ich ihn, den Zettel mit der ersehnten Information schon in der Hand.
„Du bist doch mein bester Freund.“ Er sah mich verständnislos an. „Und außerdem gebt ihr beiden so ein schönes Paar ab! Ich will ja nicht schon wieder damit anfangen, aber auf der Party  ...“
„Ja, ich weiß, Jerry“ , unterbrach ich ihn, bevor er in eine nicht zu stoppende Schwärmerei ausbrach.
„Vielen Dank für die Info, ich werd sehen was sich damit anstellen lässt.“
„Wenn das jetzt nicht klappt! Schnapp ihn dir!“, rief er mir hinterher, während ich die Einfahrt verließ und mich auf den Nachhauseweg machte.
Immer wenn ich diesen Weg von Jerry zu mir, oder andersrum einschlug, musste ich unwillkürlich an Jerrys Geburtstag denken, als mich noch ganz andere Gefühle beschäftigten. Sehr oft wünschte ich mich zu diesem Abend zurück und jetzt da ich eine schwere Aufgabe vor mir hatte ging es mir nicht anders.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Friederike Fischer).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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