Wolfgang Hengstmann

Der Grimm Simulator

Der Grimm Simulator

 

 

Hans hatte sich auf den Abend mit Linda gefreut, doch kurz bevor sie aufbrechen wollten, klingelte es. Er öffnete und die Kinnlade sank ihm herunter, Lindas Mutter stand vor der Tür und bedachte ihn mit ihrem falschen Lächeln. Sie beide verband eine herzliche gegenseitige Abneigung. Sie hatte ihm nie verziehen, das er der mittellose Emporkömmling, ihre über alles geliebte Tochter geheiratet hatte. Er war zwar um den Schein zu wahren stellvertretender Direktor in ihrer Firma, hatte aber praktisch nichts zu melden.

Sie wartete, das er sie pflichtschuldigst umarmte, dabei drückte sie ihm zwei angedeutete Küsse auf die Wange.

„Ich habe euch gesehen, gestern abend, du und die Tussi aus dem Lager, Arm in Arm. Was hast du eigentlich Linda vorgelogen?“ Flüsterte sie ihm ins Ohr.

Ihre von Abneigung geprägte Miene verzog sich zu einem zuckersüßen Lächeln, als ihre Tochter in der Tür auftauchte.

„Was habt ihr denn miteinander zuflüstern?“ Lachte Linda, als sie die beiden sah.

„Dein lieber Mann hat mich gerade eingeladen, euch aufs Volksfest zu begleiten“ sagte sie mit aufgesetztem Lächeln. Mit gefrorenem Lächeln starrte Hans sie an, dabei hätte er sie am Liebsten erwürgt.

 

 

Hans tauchte immer wieder gern in die Rummelplatzatmosphäre ein. Der Geruch nach gebrannten Mandeln, Bratwürsten und Steckerlfisch umfächelte die Nasen, die immer wieder gleiche alte Rockmusik wurde gespielt, vom Autoscooter her dröhnte der Summertime Blues von Eddie Cochran. Die bunten Lichter blitzten, die heiseren Stimmen der Losverkäufer und Budenbetreiber überschrien sich gegenseitig, die Drehorgelmusik brachte nostalgische Klänge hervor., das alles faszinierte ihn jedes Jahr aufs neue.

Doch heute war ihm die Stimmung verdorben, aber er musste gute Miene zum bösen Spiel machen.

Seine Schwiegermutter war wie aufgekratzt, sie spendierte Bratwurst, Zuckerwatte, sogar ein Gläschen Wein wollte sie unbedingt bezahlen.

Hans wusste nicht, wie ihm geschah. Aber er ahnte, das sie etwas im Schilde führte.

„Ach wartet, da drüben, das ist neu. Das wollen wir uns mal ansehen.“ Sie zog ihn am Arm und  bugsierte ihn vor eine Bude, die beinahe nur aus verspiegelten Glaswänden bestand. Sie stand eingezwängt zwischen der Geisterbahn und einer Schießbude. Er hörte das Kreischen der Mädchenstimmen aus der Geisterbahn.

Über der Bude stand in blinkenden Neonbuchstaben

 

 

„GRIMM – SIMULATOR“

 

 

Er las das Plakat, das eine Glaswand bedeckte.

 

 

Grimm Simulator, das neueste aus den USA

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Befreien sie die Prinzessin

Töten sie den Drachen

Erleben sie eines der letzten Abenteuer

 

 

Hans bekam große Augen „das mache ich“ rief er und suchte nach dem Eingang.

„Welches Märchen willst du denn?“ Lachte Linda.

„Das Märchen vom dummen August gibt’s wohl nicht?“ Ätzte seine Schwiegermutter und schaute ihn spöttisch an.

„Du könntest die Hexe aus Hänsel und Gretel spielen“ knurrte er ärgerlich zurück.

Dann betrachtete er den Automaten, den er jetzt erst bemerkt hatte und studierte die Anleitung.

Hans warf eine Münze ein, eine bisher verborgene Tür glitt zur Seite und gab den Blick auf eine enge Kabine frei.

„Geh nur hinein“ lachte Linda „ich drücke die Kombination. Was willst du sein, das tapfere Schneiderlein, oder lieber der Prinz aus Schneewittchen?“

„Überraschung“ lachte er und betrat die enge Kabine. Die Tür schloss sich hinter ihm.

Die Schwiegermutter drängte sich vor den Automaten und gab eine Zahlenkombination ein, dabei überzog ein breites Grinsen ihr Gesicht.

„Du führst doch bestimmt was im Schilde Mutter“ nörgelte Linda „Lass endlich Hans in Ruhe.“

„Ach was“ rief ihre Mutter energisch. Sie warf ebenfalls eine Münze ein, und während die Tür aufglitt tippte sie eine Zahlenkombination ein. Dann verschwand sie mit lautem Lachen in der Kabine deren Tür sich ebenfalls hinter ihr schloss.

Plötzlich knisterte es im Automaten, Funken schlugen aus dem Kästchen und es roch verschmurgelt.

Linda schrie auf und rief nach Hilfe.

 

 

Hans verspürte ein leichtes Unwohlsein, die Umgebung verschwand im Nebel, dann verspürte er einen heftigen Stoß und landete auf seinem Hintern.

Überrascht betrachtete er die Umgebung, er saß im Unterholz, die Bäume um ihn standen dicht an dicht. Es war dämmerig, da nur wenig Sonnenlicht durch das dichte Laub der Bäume drang. Ein kaum merklicher Pfad schlängelte sich durch die Wildnis. Es war merkwürdig still, die Luft flimmerte vor seinen Augen. Trotz des schattigen Waldes, lief ihm der Schweiß über den Körper. Hans schaute an sich herunter und erschrak. Er war barfuss, trug nur eine fadenscheinige, dünne Hose, die am Bund kniff und ihm zu eng war, sowie ein zerrissenes schmuddeliges Hemd.

Für das tapfere Schneiderlein stimmte die Kulisse nicht, und für den Prinzen, der Schneewittchen befreien wollte, nicht das Outfit. Wo war er nur hingeraten? Er erhob sich mühsam und stolperte den schmalen Pfad entlang, dabei zerstachen ihm Fichtennadeln die Fußsohlen und dauernd stolperte er über Wurzelwerk. Er schwitzte und der Durst peinigte ihn zusehends.

 

 

Endlich, als er fast am Ende seiner Kräfte war, erreichte er eine winzige geduckte Hütte, deren Schilfdach beinahe bis zum Boden reichte. Hans beugte sich über einen kleinen Brunnen, schöpfte Wasser und trank es gierig. Das Häuschen schaut doch aus wie bei...., überlegte er noch, dann wurde es plötzlich wieder schwarz um ihn.

 

 

Als Hans erwachte brummte ihm der Schädel, er wollte sich aufrichten, doch er konnte sich kaum bewegen und stieß sich den Kopf an. Mit vor Schreck offenstehendem Mund merkte er, das er an Händen und Füssen gefesselt war und splitternackt in einem engen Käfig lag.

„Ach du Scheiße, ich bin in Hänsel und Gretel gelandet. Hilfe, lasst mich raus!“ Kreischte er bis ihm die Stimme versagte.

 

 

„Lass sehen Hänselchen, ob du schon fett genug bist?“ Hörte er plötzlich zu seiner maßlosen Verblüffung eine ihm wohlbekannte Stimme.

Entsetzt sah er seine Schwiegermutter, die ihn in einem merkwürdigen, altertümlichen Kostüm gekleidet grinsend beobachtete.

 

 

„Was machst du denn hier. Du schaust aus, wie die alte Hexe“ rief er mürrisch.

„Ich bin die Hexe liebes Schwiegersöhnchen. Wie gefällt es dir hier?“ Lachte sie. „Du brauchst übrigens kein Stöckchen herausreichen, ich bin ja nicht senil“ kicherte sie dann und genoss seine entsetzten Blicke. Er kniff die Augen fest zu, der Alptraum musste doch gleich ein Ende haben.

„Du kommst hier nicht mehr raus. Nein, nein, der Computer scheint seltsamerweise abgestürzt zu sein“ schien sie seinen Wunsch zu ahnen und lachte hämisch. Dann beugte sie sich über ihn, griff durch die Gitterstäbe, fasste eine große Portion Fleisch aus seiner Hüfte und rollte es zwischen den Fingern.

„Der Ofen ist angeheizt, das Wasser im Kessel brodelt gleich.....“

Sie griff hinter sich und zückte ein großes Fleischmesser, dabei murmelte sie „Warte, warte nur ein Weilchen....hihi“

 

 

Ende


Märchen sind eine Sache für sich, wenn du Streß mit deiner Schwiegermutter hast, kann das böse ins Auge gehen.
Wolfgang Hengstmann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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