Friederike Fischer

Endlich Frühling Teil 7

Kapitel 11
 
Den ganzen Tag war ich von einem Zimmer zum anderen gelaufen, die Treppe hoch und wieder runter, jedes Mal beladen mit gefüllten Kartons. Zu einem Umzug gehört nun mal unendlich viel mehr als nur die Fahrt vom einen zum anderen Wohnsitz.
Erschöpft fiel ich auf mein Bett und schloss die Augen. Es war erst 20 Uhr abends und doch war ich so müde wie schon lange nicht mehr. Zum ersten Mal an diesem Tag war ich allein für mich, meine Eltern hatten sich spontan zu einem Spaziergang an der kühlen Winterluft entschlossen und das Haus in einsamer Stille zurückgelassen. Kein Geräusch war zu hören. Kein Scharren der vielen Kisten und Koffer, die über den Boden geschoben wurden, kein Knarren der Treppe und vor allem keine Rufe oder Befehle, die in den noch leeren Zimmern wiederhallten. Nur mein Atem und das langsam schneller werdende Klopfen meines Herzens durchzog die Stille. Verschwunden war das hektische Treiben in diesem Haus, das mich die ganze Zeit von meinen Gedanken abgelenkt hatte. Nun wurde meine Sehnsucht und mein Verlangen wieder stärker. Dan! Ich erinnerte mich an unsere gemeinsam verbrachte Zeit. Die schönen Stunden, die viel zu schnell vergangen waren. An seinen liebevollen Blick, wenn er mir sagte, dass er mich liebt. Was war es, das das Schicksal dazu bewogen hatte uns zu trennen? Warum hatte es uns zusammengeführt, um uns nach so kurzer Zeit wieder auseinanderzureißen? Niemand hatte mir je so viel bedeutet wie Dan und ohne ihn hier zu liegen erschien mir wie eine Strafe; eine Strafe ohne Straftat, die mir daher so unendlich sinnlos vorkam.
Oft ertappte ich mich selbst dabei, wie ich Löcher in die Luft starrte und in meiner Handlung inne hielt, um nur für einen winzigen Augenblick Dan bei mir zu haben. Wenn schon nicht direkt in meiner Nähe, dann doch immerhin in Gedanken, vor meinem inneren Auge. Was er wohl jetzt gerade tut? Am Mittwoch Abend hatte er mich angerufen und ich durfte endlich wieder seine Stimme hören. Jerry schien ihn ein wenig abzulenken, das hatte er mir zumindest versichert. Aber konnte ich Jerry trauen? War Dan bei ihm in guten Händen? Sicher war er das! Die beiden sind doch unzertrennliche Freunde! Unzertrennlich? Ja, doch war das von Vorteil? Vor drei Jahren war ich an Dans Stelle gewesen und schon damals hatte Jerry den Begriff ‚Freundschaft‘ falsch definiert. Konnte ich mir denn sicher sein, dass diese Phase vorbei war?
Damals war ich siebzehn Jahre alt und hatte mir erst vor Kurzem eingestanden, dass ich ausschließlich Jungs attraktiv fand. Jerry kannte ich zu dem Zeitpunkt schon etwas länger und wie er auf mein Outing reagiert hatte, würde ich nie vergessen. Wir hatten im Park auf einer Bank gesessen, ich war so nervös wie noch nie zuvor gewesen, doch er hatte ohne Unterbrechung auf mich eingeredet. Ich hatte keine Lücke in seinem Redeschwall finden können, in der ich ihm meine neue Erkenntnis hätte anvertrauen können und hatte deshalb weiterhin geschwiegen. Jeder Muskel meines Körpers war angespannt, die Finger verkrampft und meine Stimmbänder schienen nicht mehr funktionstüchtig gewesen zu sein. Kein Wort war über meine Lippen gekommen bis mich Jerry am Arm gepackt und leicht geschüttelt hatte. „Ryan, wo bist du gerade?“, hatte er gefragt und mich verdutzt angesehen. Mit einem Mal war mir alles egal gewesen. Ich hatte es loswerden müssen, es jemandem anvertrauen und Jerry habe ich immerhin für meinen besten Freund gehalten, ich hatte ihm vertraut. „Ich bin schwul“, hatte ich also tonlos gesagt.
Als Jerry nach kurzem Zögern aufgestanden war, hatte ich gedacht er würde davonlaufen und niemals wieder ein Wort mit mir wechseln. Doch er hatte sich nicht von mir entfernt, im Gegenteil, er ist auf mich zu gekommen, neben mir stehengeblieben und hatte mir seine Hände auf die Schultern gelegt. Aus Angst, er könnte mich schlagen wollen, hatte ich die Augen zusammengekniffen und auf den Schmerz gewartet. Ich hatte seine Hand auf meinem Gesicht gespürt, doch sie hatte mich nicht verletzt, sondern nur sanft über meine Wange und Lippen gestrichen, wo sie schließlich von seinem Mund abgelöst wurde. Entsetzt hatte ich die Augen wieder aufgerissen und Jerry von mir gestoßen. „Was sollte das? Ich hab gesagt ich bin schwul, nicht ich liebe dich!“ Aufgebracht und ungläubig hatte ich mit den Armen gefuchtelt und Jerry fassungslos angestarrt. Dass mein Geständnis nicht ohne Folgen bleiben würde, war von vornherein klar gewesen, aber dass es mein ganzes Leben dermaßen auf den Kopf stellte, hatte ich nicht vorhergesehen. Tatsächlich hatte sich seitdem einiges geändert. Jerry war kurz darauf nach Deutschland gezogen und ich hatte ihn erst wiedergesehen als meine Eltern sich ebenfalls entschieden hatten nach Stade zu ziehen. „Ist es nicht schön, wenn du endlich wieder in der selben Stadt wie Jerry lebst?“, hatten sie gesagt, doch gerade davor hatte ich mich schrecklich gefürchtet. Nachdem er mich im Park geküsst hatte, hatte er sich erneut neben mich auf die Bank gesetzt und mir gestanden, schon einige Zeit in mich verliebt zu sein. Als meine Eltern und ich in Stade angekommen waren, hatte ich nicht den blassesten Schimmer gehabt wie ich ihm nach der Zeit wieder unter die Augen treten sollte. Ein schüchternes ‚Hallo‘ beim ersten Treffen war auch vorerst das Einzige gewesen, was wir uns zu sagen hatten. Es verging wieder eine lange Zeit, in der wir uns nicht gesehen und auch nicht miteinander geredet hatten, doch zum Glück hatte auch dies irgendwann ein Ende gefunden. Jerry hatte den ersten Schritt gemacht und  mich zu sich nach Hause eingeladen. Wir haben uns ausgesprochen und sind uns am Ende in die Arme gefallen, glücklich nicht länger auf den Beistand und die Freundschaft des Anderen verzichten zu müssen. Jerry selber tat seine frühere Verliebtheit ab, indem er sie in der Schublade ‚jugendlicher Leichtsinn‘ unterbrachte.
Etwas weniger als ein Jahr später hatte ich Dan kennengelernt und auch durch Jerrys große Unterstützung konnte ich ihn nun meinen Freund nennen, den ich über alles liebte.
Jetzt lag ich auf meinem Bett, hier in England, zurückgeworfen in einen früheren Lebensabschnitt, den ich für lange Zeit aus meinem Gedächtnis gelöscht hatte und kam mir vor wie ein Verräter, da ich meinem besten Freund nicht einmal das Minimum an Vertrauen entgegenbrachte und ihm sogar zutraute, dass er sich, während meiner Abwesenheit an meinem Freund vergriff. War ich wirklich so nachtragend? Immerhin hatte Jerry Dans Coming Out nicht mit einem Kuss und einem Liebesgeständnis kommentiert. Und doch ging mir die Geschichte zwischen Jerry und mir nicht mehr aus dem Kopf.
Um meine Sorgen wenigstens für eine Weile zu zerstreuen, beschloss ich schließlich Dan anzurufen. Immerhin hatte ich ihm versprochen, dass ich mich bei ihm melde, warum also nicht jetzt? Ich setzte mich auf, nahm den Telefonhörer in die Hand, legte ihn jedoch kurz danach wieder auf mein Kopfkissen. Schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Ich wollte Dan nicht nur anrufen, um ihn über Jerry auszuhorchen und meine lächerliche Eifersucht zu beruhigen. Das erschien mir falsch. Wenn ich ihn anrufen sollte, dann nur, um seine Stimme zu hören, zu erfahren wie es ihm geht und wieder ein wenig ein seinem Leben teilhaben zu können. Doch was nun? Ich wollte seine Stimme hören, aber ich wollte auch über Jerry Bescheid wissen. Sollte ich ihn anrufen oder doch lieber nicht? Sicher wartete er schon auf darauf, zumindest würde es mir so gehen. Letztendlich entschied ich mich für einen Anruf und hatte mir vorgenommen nicht nach Jerry zu fragen. Besonders glücklich war ich mit dieser Entscheidung zwar nicht, aber es war mir eindeutig wichtiger mit Dan zu sprechen, als Jerrys Gefühle auszuspionieren. Erneut griff ich zum Telefon und wählte die Nummer nach Deutschland, nach Stade, Dans Nummer.
Es klingelte und klingelte und klingelte. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, doch dann hörte ich ein Knacken in der Leitung und ein durch lautes Atmen kaum verständliches „Hallo?“.
„Hey Kleiner, ich bin´s. Wo kommst du denn her? Aus dem Keller?“
„Nein, von Jerry“, schnaufte er in den Hörer. „Ich habe das Klingeln durch das offene Küchenfenster gehört und bin so schnell wie möglich reingelaufen, weil ich gehofft hatte, dass du es bist. Und es hat sich gelohnt. Schön, dass du anrufst.“
„Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Wie geht´s dir?“
„Na ja, über seine Ablenkungstaktiken sollte Jerry noch mal nachdenken.“ Also doch! „Er hat mir eine unglaubliche Geschichte erzählt.“
Sprachlos starrte ich an die Zimmerdecke und konnte gerade noch verhindern, dass mir das Telefon aus der Hand glitt. Dans Atmung hatte sich inzwischen wieder normalisiert und er fragte etwas verwirrt „Äh, hallo? Bist du noch dran?“
„Sicher... ähm... was hat er dir denn erzählt?“
„Dass er sich mal dich verliebt hatte.“
Okay, zu spät. Das Telefon lag auf dem Boden.
„Ryan?“
„Moment“, rief ich, rappelte mich auf und griff nach dem Hörer.
„Sorry, bin wieder da.“
„Was machst du denn?“
„Mir ist das Telefon aus der Hand gefallen.“
„Wenn du schon so reagierst, was meinst du wie geschockt ich war!“
„Und es stört dich nicht?“
„Was? Dass Jerry FRÜHER mal in dich verliebt war?“
„Ja.“
„Nein. Er hat mir versichert, dass das vorbei ist.“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. An seiner Stelle wäre ich maßlos eifersüchtig gewesen, aber eigentlich war ich ganz froh, dass Dan nicht derart reagiert hatte.
„Ich glaube ihm“, fügte er hinzu.
„Danke.“
„Wofür?“
„Dafür, dass du Jerry glaubst. Es wäre auch nicht nötig, dass du deshalb eifersüchtig bist.“
„Ich weiß und das gilt auch für dich, nicht wahr?“
„Was meinst du?“
„Darüber haben wir doch neulich schon gesprochen, als du eifersüchtig auf Jerry warst.“
„Oh.“ Stimmt, das hatte ich vollkommen verdrängt.
„Was heißt hier ‚Oh‘? Der wird schon nicht über mich herfallen. Und ich würde mir das sowieso niemals gefallen lassen, also mach dir keine Sorgen.“
„Ja, aber...“
„Nichts aber. Ich liebe dich, klar? DICH! Auch wenn du hunderte von Kilometern entfernt bist.“
„Ich weiß schon. Es ist nur so, dass du mir wahnsinnig fehlst.“
„Du mir auch. Jeden Tag mehr.“
„Ach, ist das so?“, fragte ich grinsend.
„Ja, das ist so.“
„Hey, nächste Woche ist schon Weihnachten.“
„Ja, und da werde ich dich erst recht vermissen, das wird die Hölle.“
„Aber dann ist der Februar schon näher. Noch ein paar Wochen, dann komme ich zu dir.“
„Das ist noch viel zu lange.“
„Ich freue mich aber jetzt schon.“
„Und ich mich erst.“
„Du Dan, mein Magen knurrt ganz schrecklich. Ich muss unbedingt etwas essen.“
„Gute Idee, das werde ich auch tun.“
„Wir sprechen uns bald wieder, ja?“
„Natürlich.“
„Also, bis dann. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
„Tschüss Kleiner!“
„Bye!“
Seufzend legte ich den Hörer beiseite, setzte mich auf die Bettkante, sah zur Tür und schrak augenblicklich zusammen. Dort stand meine Mutter und sah mich verwirrt an. Einige Augenblicke sagte keiner von uns etwas, dann machte sie ein paar Schritte auf mich zu, setzte sich zu mir und fragte schließlich:
„‚Ich liebe dich‘? Wer war das?“
Ich schluckte und hatte das Gefühl, dass mein Körper nicht mehr mir gehörte.
„Das war Dan. Er... er ist... mein Freund.“
 
 
Kapitel 12
 
Das englische Wort ‚boyfriend‘ hat, wie mir auffiel, einige Vorteile gegenüber seinem deutschen Synonym ‚Freund‘. Meine Mutter wusste ohne nachfragen zu müssen sofort, wie sie meine Beziehung zu Dan definieren sollte und das ersparte mir unangenehme Erklärungen. Es war auch so schon schwer genug für mich einen einigermaßen passenden Anfang zu finden. Warum ist der Satz ‚Ich liebe dich‘ verdammt noch mal bei jedem Menschen in jeder Sprache verständlich. Egal ob ich ‚Ich liebe dich‘, ‚I love you‘, ‚Je t´aime‘, ‚Ti amo‘, oder sonst was gesagt hätte, meine Mutter hätte es verstanden und ich umgekehrt genau so. Ich hätte mich natürlich auch rausreden können und einfach behaupten ich hätte mit meiner Freundin telefoniert, aber wozu? Meine Eltern hätten sie unbedingt kennenlernen wollen. Und dann? Das wäre niemals gut gegangen. Wahrscheinlich war es ohnehin an der Zeit, dass sie die Wahrheit erfuhren, auch wenn ich in diesem Moment nicht darauf vorbereitet war.
Schweigend saß ich neben meiner Mutter und wäre liebend gerne an einem anderen Ort gewesen; am allerliebsten natürlich bei Dan. Aber ich war hier, in meinem Zimmer, auf meinem Bett.
„Du hast also... einen Freund. In Deutschland. Der Junge, der bei uns übernachtet hat?“, fragte sie.
„Ja.“
„Und du liebst ihn?“
„Hmhm.“
„Und er liebt dich?“
Ich wusste zwar nicht wohin das führen sollte, aber ich nickte.
Wieder schwiegen wir. Meine Mutter stand auf, lief ziellos im Zimmer auf und ab und schien angestrengt nachzudenken. Wahrscheinlich suchte sie nach den richtigen Worten, um mir zu sagen wie abstoßend sie mich fand. Sie setzte sich schließlich wieder zu mir, seufzte und wollte gerade etwas sagen, doch ich hatte während ihres Streifgangs all meinen Mut zusammengenommen und kam ihr zuvor.
„Ich weiß, was du sagen möchtest und ich werde es wohl oder übel akzeptieren müssen, aber ich werde Dan nicht aufgeben!“
„Du vermisst ihn sehr, nicht wahr?“
Was sollte denn diese Frage? Ich fühlte mich etwas überrumpelt und starrte sie nur sprachlos an.
„Warum hast du es uns nicht gesagt? Du verliebst dich in Deutschland und wir zerren dich mit nach England. Du warst von Anfang an nicht begeistert von der Idee, aber dein Vater und ich haben uns nichts weiter dabei gedacht. Wir dachten du wolltest nicht schon wieder umziehen. Hätten wir das doch nur gewusst! Wir hätten es bemerken müssen.“
Dann nahm sie mich auf einmal in den Arm.
„Es tut mir Leid, Ryan!“
„Es macht dir nichts aus?“
„Was denn?“
„Dass ich eine Jungen liebe?“
„Natürlich nicht, Schatz.“
„Danke“, flüsterte ich, denn zu mehr war ich nicht in der Lage.
 
Okay, das war verwirrend. So verwirrend, dass ich mich auch am nächsten Morgen noch nicht daran gewöhnt hatte. Wir hatten am vorigen Abend noch mit meinem Vater gesprochen, ihm alles erklärt und er hatte genau wie meine Mutter reagiert. Seltsam. Ich hatte mit einem Mal das Gefühl gehabt, dass sie mich tatsächlich verstanden. Auf meine Nachfrage, warum sie die ganze Geschichte dermaßen gelassen sahen, hatten sie mir erzählt wie ihre Beziehung angefangen hatte. Es war beinahe unheimlich das zu hören, denn sie hatten ungefähr die selben Probleme gehabt, die meine Beziehung mit Dan zur Zeit sehr schwierig gestalteten. Kennengelernt und verliebt hatten sie sich in England, in dieser Stadt, in der wir nun wieder lebten. Doch als die Eltern meiner Mutter sich entschlossen hatten nach Deutschland zu ziehen, ist mein Vater alleine zurückgeblieben. Sie sind zwei qualvolle, lange Jahre getrennt gewesen, in denen sie sich ausschließlich in den Schulferien sehen konnten und sind, wie mein Vater mir erklärte, fast daran zerbrochen. Als meine Mutter jedoch endlich 18 Jahre alt geworden war, hatte sie sich mit ihrem gesamten Besitz ins Flugzeug gesetzt und ist zu meinem Vater nach England zurückgekehrt.
Bis 1.12 Uhr saßen wir im Wohnzimmer und redeten, doch dann waren wir alle drei zu müde und haben uns entschieden schlafen zu gehen.
Beim Frühstück war noch niemand wirklich wach, dadurch entstand später vor der Tür zum Badezimmer ein Stau, da sowohl meine Mutter, als auch mein Vater und ich zuerst duschen wollten. Gewonnen habe letztendlich ich.
Frisch geduscht und einigermaßen wach lag ich auf meinem Bett und durchweichte das Kopfkissen mit meinen noch nassen Haaren. Zum Fönen hatte ich mich an diesem Morgen noch nicht durchringen können, obwohl es draußen wirklich sehr sehr kalt war, es hatte in der Nacht sogar zum ersten Mal in diesem Jahr geschneit. Pünktlich kurz vor Weihnachten. Begeistern konnte ich mich allerdings nicht dafür. Schnee ist eine Erfindung der Natur, die ich höchstens direkt an Weihnachten vermissen würde.  Ansonsten fühlte ich mich eher dadurch belästigt, dass die Straßen und Gehwege kaum passierbar waren und sich niemand dazu berufen fühlte, das zu ändern. Am schlimmsten wurde es jedoch erst, wenn der Schnee taute und sich alles um mich herum in eine einzige Moorlandschaft verwandelte. Nur die Kinder hatten ihren Spaß an den weißen Flocken. Ausgelassen spielten sie im Schnee, bauten Schneemänner und ließen sich von den Eltern auf dem Schlitten ziehen. Ich stand auf, sah aus dem Fenster und beobachtete einige Minuten dieses Schauspiel. Etwas Entspannendes hatte es schon in die fröhlichen, von der Kälte geröteten Gesichter zu sehen und sich darin wiederzufinden.
Lächelnd wendete ich mich ab, setzte mich zurück aufs Bett und griff zum Telefon. Dan musste sofort von diesen fantastischen Neuigkeiten erfahren. Meine Eltern und ich hatten gestern noch sehr viel Zeit damit verbracht, zu überlegen wie...
„Hallo?“
„Hallo Schneeflöckchen.“ Oh Gott! Die Kinder hatten mich sentimental gemacht.
„Schneeflöckchen? Da hat aber jemand gute Laune“, kicherte Dan.
„Ja, sorry, ist mir so rausgerutscht. Es hat hier heute Nacht geschneit und ich hatte mich gerade darüber aufgeregt, dass du nicht vom Himmel gefallen bist.“
„Danke, das ist süß von dir!“
„Und wie geht es dir?“
„Wenn ich daran denke, dass du nicht da bist: mies! Wenn ich daran denke, dass morgen wieder Schule ist: auch nicht besser!“
„Oha, dann muss ich dich jetzt anscheinend ein bisschen aufbauen.“
„Haha, womit denn?“
„Was machst du an Weihnachten?“
„Das hatten wir doch schon. Ich werde mich betrinken müssen, um es zu überleben.“
„Dann bemerkst du aber gar nicht wie ich dich umarme und dich küsse.“
Schweigen.
„Wie meinst du das?“, fragte er schließlich.
„So wie ich es gerade gesagt habe.“
„Heißt das... du kommst zu mir? Über... Weihnachten?“
„Ja, das heißt es. Und weißt du auch wieso?“
Keine Antwort.
„Dan?“
„Ja?“, schniefte er.
„Sag mal, weinst du?“
„Nein.“
„Ich höre das doch. Ich mag es nicht, wenn du weinst. Das ist ansteckend.“
„Tut mir Leid.“
„Heb dir das lieber auf, bis ich da bin. Dann kann ich dich wenigstens in den Arm nehmen und trösten.“
„Ja. Ich kann´s gar nicht glauben. Wieso geht das denn auf einmal?“
„Meine Eltern lassen mich an der Uni für ein ‚Familienfest‘ beurlauben.“
„Wieso das denn? Die wissen doch nichts von uns.“
„Doch, seit gestern Abend.“
„Was?“, fragte er überrascht. „Du hast es ihnen gesagt und jetzt helfen sie dir?“
„Nein, sie helfen UNS. Es hat sie nicht im geringsten gestört, dass ich mich in dich verliebt habe.“
„Das steht mir wohl auch noch bevor.“
„Wenn du willst, helfe ich dir dabei, wenn ich da bin.“
„Ja, das wäre toll, danke.“
„Ich liebe dich!“
„Ich dich auch!“
„Ich komme Donnerstag Abend vor Weihnachten, ist das ok?“
„Sicher. Wie kommst du denn?“
„Meine Eltern fahren mich. Sie wollen dich jetzt offiziell als meinen Freund kennenlernen.“
„Oh je.“
„Sie haben schon ein Hotelzimmer gebucht.“
„Aber du bleibst doch über Nacht bei mir, oder?“
„Wenn es deinen Eltern nichts ausmacht, natürlich.“
„Ich freue mich!“
„Ich mich auch. Wir telefonieren aber trotzdem vorher noch mal, ja?“
„Ja.“
„Bis bald, Schneeflöckchen.“
„Bis bald.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.07.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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