Horst Dreizler

Kummerratte

An diesem Abend war die Wohnung leer, ich spürte schon beim aufschliessen der Tür die Einsamkeit, eine anfangs belanglose Einsamkeit, die mir allerdings die Tränen ins Gesicht trieb, als mich das kalte Licht eines leeren Kühlschranks blendete.
Es sind diese eher banalen Dinge, die etwas endgültiges haben, die einem die Augen öffnen.
Sie war weg, diesmal war es ein Endpunkt der gesetzt wurde, ich wusste es.
Die Mikrowelle stand halb offen, an den Türrändern schmierig belegt , in der Spüle zwei schmutzige Teller und ein Pilsglas, stammt noch von mir, muss eine Woche her sein, der Boden ist mit Schimmel schon grün bedeckt, ich erinnere mich, wir sassen im Esszimmer, wir stritten, es war belanglos, aber wir bissen uns fest, sie weinte, ihre stärkste Waffe, ich gab nicht nach,...und dann ging ich einfach, wie so oft, meine Lösung des Problems....
Plötzlich höre ich Glockengeläute, Klavierbegleitung, es kommt aus dem oberen Stockwerk, ich renne nach oben, sie ist da!!...ich reisse die Tür auf, zum Arbeitszimmer, sehe den Wäscheberg, den PC, in der Ecke ein schwaches Leuchten, der Musikwürfel, „High Hopes“ Pink Floyd, eingeschaltet durch die Zeitschaltuhr, unser Lied, wir haben es so oft gehört, jetzt höre ich es ...und sie, sie ist nicht da.
Als ich mich umdrehe dringt ein leises rascheln an mein Ohr.
Früher, vor Jahren, als wir da Streit hatten, lautstarke Auseinandersetzungen, haben wir uns abends dann immer versöhnt. Wir haben uns im Bett zusammengekuschelt, haben uns geliebt und haben leise Beschwörungsformeln gemurmelt, bis wir eingeschlafen sind. Wir haben die Kummerratte beschworen, dass sie uns in Ruhe lasse und aus unserem Leben verschwinde.
Ich drehe mich um und sehe eine leichte Bewegung unter der Wäsche, eine spitze Schnauze schaut hervor,
rötlich funkelnde Augen, es ist eine Ratte...wie selbstverständlich läuft sie die bis zur Tür, stellt sich witternd auf die starken Hinterbeine, unterstützt vom haarlosen Schwanz, dreht sich und verschwindet wieder unter dem Wäscheberg.
Ich gehe zur Tür, wie betäubt und ziehe sie hinter mir zu.
Die Zeit der Beschwörungen ist vorbei.

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