Sonja Nic Rafferty

Später Brief ...

 
... an einen nie erlebten Vater. Es ist herrliches Sommerwetter, ich habe Urlaub, genieße den Anblick buntester Blumen von meiner Terrasse aus und wäre ich eine Katze, müsste ich jetzt vor Zufriedenheit schnurren. Nichts dergleichen! Ich formuliere einen Brief, den ich niemals abschicken kann, denn Verstorbene haben keine Adresse. Diese Zeilen kommen 30 Jahre zu spät, so lange ist Peter Rafferty schon nicht mehr auf dieser Welt. Ich laufe hingegen immer noch herum und grabe mit meinem emotionalen Spaten nach Wurzeln.

Liebster Vater,

komm, setze dich bitte auf dieser Sonnenterrasse neben mich. Wir haben einiges nachzuholen. Die Sonnenseite war uns selten vergönnt und das Beisammensein sogar niemals im Leben. Ich weiß viel mehr von dir als du von mir, denn deine jüngste Schwester, meine Tante, hat mir Fragen beantwortet. Ich bin so froh, dass ich sie habe.
Möchtest du wissen, wie es mir geht? Soweit gut, aber mit dir ginge es mir besser. Übrigens, du hast fünf Enkel und ein Urenkelkind.
Es war kein Zufall, dass ich als Lehrerin die Fächer Kunst und Englisch wählte. Das Künstlerische lag in Mutters Seite. Sie ist vor Jahren in ihrem Cottage in England, wo ich sie öfter besucht hatte, gestorben. Für Englisch entschied ich mich vor allem deinetwegen und war schon dreimal Gastlehrerin an schottischen Schulen um auf den Spuren meiner Ahnen zu wandeln.
John, meinen Halbruder, das Jüngste deiner zwei Kinder, habe ich kennen gelernt. Da war ich bereits 46 Jahre alt, aber ich empfinde Dankbarkeit, dass es überhaupt geschah.

Erzähle mir von der Kindheit und Jugend in Schottland. Ich besitze einige Fotos, die haben schon manches „gesagt“. Es ist doch aber zu wenig, oder? Schade, dass dein Elternhaus nicht mehr steht. John hat mir das Arbeiterviertel in Dundee gezeigt und auch die Werft, in der dein Vater Patrick, mein Großvater, arbeitete, seit er nicht mehr zur See fuhr. Es muss damals eine sehr harte Zeit gewesen sein! Dann der Krieg und die folgenden Jahre, als sie dich nach Deutschland schickten!
Ich hasse die Vorstellung, dass es mich nicht gäbe, wenn es keinen Krieg gegeben hätte.
Ich hörte, du sollst gut zu meiner Mutter gewesen sein, die nicht genug zu essen hatte. Obwohl es euch Soldaten verboten war, hast du ihr Lebensmittel gebracht. Ihr wart eine Zeit lang - wie lange eigentlich? - ein Paar um dann doch getrennt zu werden. Dein Bataillon ging nach Hongkong und du wusstest zunächst nichts von mir.
Ich werde es dir immer hoch anrechnen, dass du mich nach Schottland holen wolltest, als du von mir erfuhrst. Es war nur deswegen nicht möglich, weil ich bereits adoptiert worden war.

Ich könnte noch unendlich lange an dich schreiben. Also mache ich nicht Schluss, sondern unterbreche jetzt vorläufig.
Meine Einladung zum Sommerplatz ist ernst gemeint - und für die kältere Jahreszeit werden wir auch einen finden. Zögere bitte nicht, ich warte schon, seit ich ca. 12 Jahre alt war. Lass uns ein Zeichen verabreden. Streich mir übers Haar, so wie der Sommerwind. Dann weiß ich, dass du gleich bei mir bist. Es heißt doch: „Manchmal schließt man die Augen um besser zu sehen“. Ich werde sie schließen ...


deine dich immer liebende
Tochter

© Sonja Nic Rafferty ~ 6. August 2006


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.08.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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