Dies ist ein beachtlich bedenkliches Zeitzeugnis eines goldenen Ziegelsteins. Es wurde bei Ausgrabungen wirrer Sichtweisen entdeckt, gestern zum ersten Mal übersetzt und, aufgrund seiner Aktualität, heute sofort veröffentlicht.
Seit Urzeiten werden gerne viele schöne und weniger schöne Sachen gebaut. Vielen gefallen die Pyramiden. Das ist alles andere als erstaunlich, sind es doch auch sehr schöne, geheimnisvolle Zeugnisse vom Streben nach Vollkommenheit.
Pyramiden werden auch heute noch sehr gerne gebaut. Viele viele Pyramiden werden aus dem Boden gestampft, mit uns gebaut, den goldenen Ziegelsteinen. Auf der Spitze dieser modernen Pyramiden ist eine Kugel angebracht. Man weiss zwar gar nicht wirklich, ob es eine Kugel ist, denn eigentlich handelt es sich dabei um ein Licht. Ein sehr grelles, kalt strahlendes Licht, das sogenannte Irrlicht. Es bringt uns zum glänzen und das gefällt den meisten. In der Sonne glänzten wir zwar auch, aber dem kalten Licht ist eine ganz spezielle Anziehungskraft eigen.
Wie Schneewittchens Stiefmutter fragen viele von uns, ob sie wohl am meisten glänzen. Das erscheint ihnen irgendwie wichtig. Eine ganz irre Irrlichtsucht greift um sich. Die obersten Reihen der Pyramiden, also diejenigen die eigentlich am meisten glänzen, sind paradoxerweise am schlimmsten betroffen. Das ist traurig. Sie sind unzufrieden mit ihrem Glanz, wollen strahlen und leuchten, wollen selber ein Irrlicht sein. Immerhin irre sind sie ja schon. Irre frustriert sind sie auch und das hat Folgen.
Wie die Eiterpickel unzufriedener Jugendlicher, beginnen diese Ziegelsteine ein Sekret auszuscheiden. Ein zähflüssiges, zum Himmel stinkendes Sekret, eigentlich menschlichem Kot sehr ähnlich. Diese Masse fliesst natürlich die Pyramide herunter. Einerseits motiviert dies die quasi beschissenen Ziegelsteine noch intensiver nach Glanz, also in Richtung Irrlicht zu streben. Andererseits macht die Hektik des dadurch entstehenden Drucks und Gerangels unzufrieden und, von der Spitze her angefangen, beginnen nun immer mehr Ziegelsteine dieses Sekret auszuscheiden.
Ich befinde mich in einer der untersten Reihen. Ich befürchte, dass das Sekret den Boden bereits erreicht hat und, da immer mehr, nennen wir es mal ganz ordinär "herabgeschissen" wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir jämmerlich untergehen. Die Nahe Zukunft sieht auf jeden Fall trübe aus.
Das ist unschön, unschön für goldene Ziegelsteine die noch wissen, dass sie auch in der Sonne glänzen. Also lasst uns rechtzeitig gehen, uns wieder der Sonne zuwenden, aus dem Schatten der Pyramiden hervortreten. Ohne einen Blick zurück und nicht einmal so weit. Wozu auch? Ist doch klar was geschieht, wenn das Fundament dieser kranken, stinkenden Schattenspender sich auflöst.
Auf uns! Für Glanz und Glück!
(03.03.2006)